Experte: «Das ist eine Comeback-Tournee alter, weisser Männer»
Ueli Maurer, Thilo Sarrazin und Co.: Bekannte Gesichter von rechts bis rechtsextrem haben sich am Montag in Zürich versammelt, um den Verein «Leonhard-Kreis» vorzustellen. Ein Extremismus-Experte ordnet ein.
«Treffen sich Ueli Maurer, Thilo Sarrazin und Hans-Georg Maassen in Zürich…» Das ist kein Auftakt für einen Scherz, sondern am Montag tatsächlich so geschehen.
Gemeinsam mit Marie-Christine Giuliani von der rechtspopulistischen österreichischen FPÖ und dem Journalisten und Autor Radu Golban trafen sich die Männer an unbekannter Adresse, um ihren neuen Verein «Leonhard-Kreis» vorzustellen. Golban veröffentlicht auf seiner Webseite insbesondere Artikel zur Corona-Pandemie und schrieb 2014 auf Rumänisch das Buch «Die Schweiz – ein Vorbild für Rumänien».
Der Verein «Leonhard-Kreis» setzt sich gemäss Statuten für Freiheit, Demokratie und freie Meinungsäusserung ein. Wie das in der Praxis klingt, dazu gab Hans-Georg Maassen an der Pressekonferenz, die vom Blick übertragen wurde, gleich einen Einblick: So nahm er etwa den deutschen Kanzler Friedrich Merz und dessen kontroverse Aussage zum «Problem mit dem Stadtbild» in Schutz. Wegen der Aussage, die sich auf Bürger:innen mit Migrationshintergrund bezog, ist zuletzt Strafanzeige wegen Volksverhetzung gegen Friedrich Merz erhoben worden.
Maurer kämpft gegen «Denkverbote»
Dem einstigen CDU-Politiker Maassen wird vorgeworfen, in seiner einstigen Rolle als Verfassungsschutzpräsident rechtsextreme Strömungen in Deutschland verharmlost zu haben. Inzwischen wird er selbst vom Verfassungsschutz beobachtet. Nach seiner Entlassung Ende 2018 näherte sich Maassen immer mehr der AfD an und gründete die «Werteunion». 2023 gab es gegen ihn ein Parteiausschlussverfahren, schliesslich verliess er selbst die Partei. In Sachen Parteiausschluss ist er bei Thilo Sarrazin in guter Gesellschaft: Dessen Buch «Deutschland schafft sich ab» wurde unter anderem von einem UN-Ausschuss als rassistisch kritisiert und führte zu Sarrazins Ausschluss aus der SPD.
Zwischen den beiden sass an der Konferenz der Vereinspräsident und Alt-Bundesrat Ueli Maurer.
Auch Maurer klagte über die angeblich mangelnde Meinungsfreiheit: «Meine Kinder haben immer darunter gelitten, dass ich SVP-Präsident war. Sie wurden ausgegrenzt, haben keine Jobs erhalten und mussten sich von mir distanzieren», sagt er. Zwei seiner Kinder seien deshalb ausgewandert, zwei weitere hielten sich regelmässig im Ausland auf.
Auch in einem Beitrag auf der Webseite pocht Maurer auf «das Recht auf freie Rede ohne Denkverbote». Wie auch Sarrazin und Maassen hat er dafür guten Anlass: So wurde etwa seine Nähe zu den Freiheitstrychlern breit kritisiert.
Wünschen sich die Herren also einfach, durch den Verein ungestört ihre Ansichten verbreiten zu können und dass ihnen jemand zuhört?
«Wenn es heiss wird, dann wegen Zanetti»
«Inhaltlich, so meine Prognose, geht es vor allem um Krawall und nicht um differenzierte Auseinandersetzung mit den Problemen der heutigen Zeit», sagt dazu der Sozialwissenschaftler Marko Ković. Für den Experten, der zu Verschwörungstheorien forscht, handle es sich um «eine Comeback-Tournee von alten weissen Männern, die die besten Jahre ihres Einflusses hinter sich haben».
Das Demokratiegefüge in der Schweiz, Deutschland und Österreich werde der Verein nicht verändern, so Ković. Dennoch könne sich der Verein, der mit einer schlichten Webseite auftritt, womöglich als gut vernetzter Think-Tank etablieren.
Auch die mediale Aufmerksamkeit sei kritisch zu betrachten. Der Blick streamte die Pressekonferenz live, der Tages-Anzeiger und 20 Minuten berichteten. Dass der Tagi den Verein von einem Rechtsextremismus-Experten einordnen liess, rief schnell die Weltwoche auf den Plan. Diese titelte «So frech manipuliert der Tages-Anzeiger seine Leser» und bezeichnet Maassen und Sarrazin im Artikel als «hochverdiente und prominente Mitglieder».
Ković kommentiert dazu: «So wichtig finde ich diese Personen nicht. Da wurde ein kleiner Medienhype ausgelöst, den Claudio Zanetti mit orchestriert hat, obwohl noch gar nicht viel Inhalt da ist.» Das Programm des Vereins bezeichnet der Experte als «fantasielos». Dennoch dürfte er ein gewisses Publikum finden: «Denn an Wutbürger:innen, die sich unterdrückt fühlen wollen, mangelt es nicht.»
Am meisten Ambitionen dürfte der ehemalige SVP-Nationalrat Claudio Zanetti haben, der den Verein ins Leben gerufen hat. «Er könnte als Joker funktionieren – wenn es heiss wird, dann wegen Zanetti. Denn die öffentliche Meinung zu beeinflussen, ist sein Metier», sagt Ković.
Zanetti ist bereits seit einiger Zeit mit Hans-Georg Maassen bekannt. So sass er schon im Stiftungsrat von Maassens Atlantis-Stiftung mit Sitz in Zug. Diese ist jedoch inzwischen aus dem Handelsregister gelöscht.
Gegenüber dem Tages-Anzeiger kündigt Zanetti «Konferenzen, Vorträge und Kurzvideos» an – folgt also bald der Youtube-Auftritt?
«Ich könnte mir gut vorstellen, dass es einen Podcast oder Youtube-Videos geben wird. Die schauen dann die gleichen Leute, die heute schon die Weltwoche-Inhalte schauen», so Ković.
Finanziert wird der Verein durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Fördergelder. Jedoch gebe es auch Unterstützung durch Unternehmen, sagt Maassen in einem Video auf der Webseite. Wie ernst es den Männern mit der «Comeback-Tournee» ist, bleibt abzuwarten.
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Bachelorstudium in Germanistik und Philosophie an der Universität Zürich, Master in Kulturanalyse und Deutscher Literatur. Während des Masters Einstieg als Redaktionsmitglied in der Zürcher Studierendenzeitung mit Schwerpunkt auf kulturellen und kulturkritischen Themen. Nebenbei literaturkritische Schreiberfahrungen beim Schweizer Buchjahr. Nach dem Master Redaktor am Newsdesk von 20Minuten. Nach zweijährigem Ausflug nun als Redaktor zurück bei Tsüri.ch