Wie viel gibst du?

Trinkgeld in Zürich bleibt stabil – trotz höherer Preise

Acht Franken für einen Flat White ohne Service – und das Kartenterminal fragt nach Trinkgeld. Warum werden Getränke immer teurer, und warum fühlen sich viele Gäst:innen von digitalen Trinkgeldabfragen genervt? Ein Blick auf die aktuelle Debatte in Zürich.

Trinkgeld in Zürich Gastronomie
Die Kundschaft reagiere bei Getränken sensibler auf Preiserhöhungen als bei Essen, sagt der Gastronom Nicolas Kern. (Bild: Isabel Brun / Tsüri.ch)

«Acht Franken für einen Flat White, selbst geholt, kein Service – aber das Kartenterminal blinzelt mich an wie ein Tamagotchi auf Entzug: Willst du ein Trinkgeld geben?»

Im Onlineforum Reddit findet seit einigen Tagen eine lebhafte Debatte statt. Im Kern geht es um zwei Fragen: Warum werden Getränke wie Kaffee in Zürich immer teurer und warum fragt das Kartenzahlgerät so offensiv nach Trinkgeld?

Tatsächlich ist das Café Creme und auch die Stange Bier in den letzten Jahren in Zürich teurer geworden. Vor 15 Jahren kostete der Kaffee leicht über 4 Franken, heute sind es circa 5 – wobei ein Cappuccino auch mal 6.50 Franken kosten kann. Auch der Preis für das kleine Bier ist von damals rund 5 Franken auf 5.50 oder gar 6 Franken erhöht worden.

Beim Bier schauen Kund:innen genauer als beim Salat

Gemäss Nicolas Kern, Präsident des Verbandes Gastro Stadt Zürich reagieren die Gäst:innen bei Kaffee und Bier besonders sensibel auf Preisveränderungen. Dies, weil die Preise besonders einfach verglichen werden können. 

Eine Stange ist überall gleich gross, aber wenn die meisten 5.50 Franken verlangen, die eine Bar aber auf 6 Franken hochgeht, falle dies den Kund:innen auf. Im Gegensatz dazu fällt es weniger auf, wenn der gemischte Salat 50 Rappen teurer wird. 

Dass die Gastronom:innen ihre Preise in den vergangenen Jahren erhöhen mussten, ist für Kern, der die Wirtschaft Degenried in Zürich führt, eine Notwendigkeit: «Alles ist teurer geworden: die Löhne, die Betriebskosten, die Warenkosten.» Die Margen in der Gastronomie seien bereits sehr tief, weshalb höhere Kosten an die Gäst:innen weitergegeben werden müssten.

Auf der anderen Seite spürt auch die Kundschaft die höheren Lebenshaltungskosten. Während unter anderem Mieten und Krankenkassenprämien erhöht werden, steigen die Löhne nicht im gleichen Mass mit. Die Folge: Kaufkraftverlust. 

Einige Gastronomiebetriebe in Zürich merkten im aktuellen Jahr, dass weniger konsumiert wird, erklärt Kern. Vor allem beim Alkohol werde gespart.

Dies beobachtet auch Naomi Biaduo, Gastronomin im Restaurant Kantine und Vorstandsmitglied von Gastro Zürich. «Die Leute gehen lieber ins Reformer Pilates und geben dort viel Geld aus, statt unter der Woche zwei Flaschen Wein zu trinken.»

Früher habe man sich die Sorgen weggetrunken, «heute sagt einem die App, man solle früh ins Bett, damit man für das Lauftraining am Morgen fit ist», so Biaduo. 

Trotz Kaufkraftverlust und teilweise höheren Preisen beobachten die beiden Gastronom:innen keinen Rückgang des Trinkgeldes pro Person. «Die älteren Gäst:innen geben gut Trinkgeld», sagt Biaduo, insgesamt liege man bei sieben bis acht Prozent. Auch Kern ist zufrieden und sagt: «Das Trinkgeld ist auf einem erfreulichen Niveau für die Mitarbeitenden.»

Neue Zahlterminals kommen schlecht an

Eine neue Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zeigt, dass mit rund 60 Prozent ein Grossteil der Schweizer:innen gerne Trinkgeld gibt. Wer darauf verzichtet, nennt dafür meist finanzielle Gründe – weil die Preise bereits hoch sind, oder sie selber nicht genug Geld haben.

Was bei den Gäst:innen schlecht ankommt, zeigt nicht nur die ZHAW-Studie, sondern auch die Diskussion auf Reddit: Zahlungsterminals, die das Trinkgeld nach fixen Prozentzahlen erfragen, werden als unsympathisch und bevormundend wahrgenommen. 

Am liebsten gibt die Kundschaft ihr Trinkgeld mit Bargeld und wenn sie wissen, dass es direkt beim Personal ankommt. Digitale Trinkgeldfunktionen würden nur dann akzeptiert, wenn sie als freiwillig, diskret und einfach wahrgenommen werden, heisst es in der Studie.

Die Wut einiger Zürcher:innen auf Reddit richtet sich in erster Linie also gegen aufdringliche Zahlgeräte. Oder wie es ein User formuliert: «Es ist ein schwieriges Thema, aber wenn der Kaffee gut ist und der Service stimmt, lasse ich gerne ein kleines Trinkgeld – auch wenn es keine Pflicht ist.»

Ohne Deine Unterstützung geht es nicht.

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2600 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 3000 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!

Jetzt unterstützen!
simon

An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Nina. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare