Theater Zuhause: Von einsamen Küchen

Das Theater Neumarkt setzt ein Plädoyer für die verändernde Kraft des Theaters und schickt es den Zuschauenden in Zeiten von Corona kompakt in einem braunen Umschlag nach Hause. Alles, was es dafür braucht, ist etwas Zeit und Vorstellungskraft.

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Ein Schlupfloch in der Küche durch Möglichkeits-Unmöglichkeits-Überlagerung.

Auf dem Boden

Mit dem Ohr auf einem Blatt Papier liege ich in der dunklen Küche. Der Kühlschrank summt ein wenig, der Boden schwankt. Aber nicht so, wie er schwanken würde, wenn ich betrunken wäre. Mir wurde gesagt, dass er schwankt. Besser gesagt: Ich habe es gelesen. Bilde ich mir das nur ein?

Das Neumarkt lässt Zuschauer*innen per Post zu Protagonist*innen werden. In fast komplett analoger Form lässt man sich auf ein 30-seitiges Theaterstück ein. Es gibt einen fakultativen Startpunkt und die Dauer bleibt offen – das hängt von Lesegeschwindigkeit und dem eigenen Spiel ab.

Zurück am Küchentisch

Meine Protagonistin schaut nicht aus dem Fenster. Sie stellt sich lieber vor, wie der Himmel von Mittelgrau zu Dunkelgrau und gegen Ende des Stücks wieder zu Hellgrau wird. Das Stück wandelt in der Zeit und spielt sich in der imaginären Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ab. Nicht überall hin kann das erzählende «Ich» die Zuschauer*innen führen: Wenn er*sie zum Beispiel über eigene Erinnerungen berichtet und dabei eine Aufgabe stellt, ist die Gefahr gross, in eigene Gedanken abzuschweifen oder über den Sinn dieser Aufgabe nachzudenken.

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Der Brief

«52 Hertz – Ein Zuhause Theater» handelt von einer agentischen Briefübernahme im Supermarkt und erfordert etwas Fantasie und Vorstellungskraft. Zurück im Haus verführt es zu einer Verbundenheit mit dem eigenen Daheim, die durch neues Kennenlernen erzeugt wird. Entfremdung von etwas Vertrautem führt zu mehr Vertrauen. Das Stück dauert gerade so lang, dass die Stimme ein bisschen kratzt, und ist so kurz, dass dabei bleiben kein Problem ist. Es hat etwas Meditatives, Bekanntes und in dieser Form trotzdem Neues. Ein bisschen wie das erste Mal im Sommer durch das kühle Limmatwasser gleiten. Zu solchen Gedankenexperimenten mischen sich vertraute Theatermomente: Wenn Musik erklingt und sich der vorgetragene Monolog in den fast luftleeren Raum schlägt und kurzes Luftanhalten verursacht. Beim Vermischen der eigenen Stimme mit dem Soundtrack ist fast so, als stünde der oder die Empfänger*in des Stücks selbst auf der Bühne und die Musik hätte auf ihren*seinen Einsatz gewartet.

Für sich

Der Titel «52 Hertz 52» führt zu einer Geschichte von Einsamkeit: Durch ein biologische Abweichung wird Kommunizieren schwierig. Einsam durch die Welt gehen und dabei unverstanden bleiben. Es fühlt sich wie eine sehr sanfte Version von Theater an. Keinesfalls weniger herausfordernd, aber entspannender. In Trainerhosen und ohne die Wohnung zu verlassen konsumiert man Referenzen zur Literatur, bekommt altbekannte und nie ausgefragte Fragen gestellt und dazu auch ein paar neue. Reale und fiktive: Wie viele da draussen schwimmen und schweben gerade auch herum? Unter der gleichen Anleitung? Wie viele sind wir und wie sehen ihre Küchen aus? Kenne ich wen? Das Stück spielt die eigene Subjektivität aus und adaptiert sich gerade soweit auf die verschiedenen Protagonist*innen, dass Reibung und Überraschung bestehen bleiben.

Selber spielen

Ab und zu fällt man aus «52 Hertz» raus in die Realität. Einerseits, wenn nicht ganz klar ist, was gerade zu tun ist oder erwartet wird. Und andererseits, wenn etwas nicht funktioniert, wie wenn die Musik noch spielt aber nicht soll oder wenn das «magische Blatt Papier» zu früh auftaucht. Das führt zu einem Gleichzeitigen hinter, auf und vor der Bühne sein: Die Technik muss funktionieren, das Licht stimmen; an, aus. Anweisungen befolgen, improvisieren, Atem anhalten und beobachten, aushalten.

Das Klatschen am Schluss vermisse ich nicht. Es wird kein klarer Schlussstrich gezogen und «52 Hertz» hallt auch noch nach dem Weglegen des Skripts in der dunklen Küche nach.

52 HERTZ - Ein Zuhause Theater

  • Text&Regie; Anna-Kirstine Linke
  • Bühne: Anna Gohmert
  • Dramaturgie: Nikolai Prawdzic

Premiere: 30. April 2020 um 21 Uhr

Weitere Spieltermine jeden Freitag, Samstag und Sonntag im Mai

Anmeldung über den Ticketshop

  • Eintrittspreise: Villa-Preis: CHF 45.– | Wohnungspreis: CHF 15.– | WG-Preis: CHF 0.–

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