Tanzhaus-Chefinnen: «Wenn nicht mehr über Kultur gesprochen wird, ist das ihr Tod»

Catja Loepfe und Inés Maloigne vom Tanzhaus erklären im Interview, weshalb es jetzt eine Stärkung der Kulturberichterstattung in Zürich braucht.

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Catja Loepfe und Inés Maloigne vor dem Tanzhaus. (Bild: Tsüri.ch)

Nina Graf: Das Tanzhaus hat den Appell gegen das Ende vom Züritipp gestartet, der mittlerweile von über 90 Kulturinstitutionen und Gastrounternehmen unterzeichnet wurde. Wie kam es dazu?

Catja Loepfe (Künstlerische Leitung): In der Kulturberichterstattung wird seit Jahren gespart. Dass jetzt auch noch der Züritipp wegfällt, war für uns wie das letzte Fallbeil, das noch runtersaust. Wer soll denn noch über Kultur berichten?

Inés Maloigne (Leiterin Kommunikation): Wir fanden, dass wir diesen Moment gegenüber unserem Publikum und unseren Künstler:innen nicht unkommentiert lassen können. Also haben wir den Krisen-Chat aktiviert, der zu Corona Zeiten unter verschiedenen Zürcher Kulturinstitutionen gestartet wurde.

Und diese Aktion hat schnell gezündet.

C.L.: Mega schnell! Zuerst kamen Stimmen aus der Theaterwelt zusammen, doch dann weitete sich der Kreis aus. Die Museen, die Bar- und Clubkommission, , die Filmbranche, und auch Pro Kultur Kanton Zürich sprangen auf. Denn das Ende vom Züritipp betrifft ja nicht nur die klassischen Kulturinstitutionen. Die Redaktion hat ja auch über neue Restaurants, Wochenmärkte, Flohmis, das Nachtleben oder Angebote für Familien und Kinder berichtet.

Böse Zungen würden behaupten, Sie vermissen die gratis Werbung.

I.M.: Nein, es geht uns überhaupt nicht nur um Publicity. Wir wollen, dass sich Expert:innen kritisch mit dem Programm auseinandersetzen – mit Betonung auf kritisch.

C.L.: Ausserdem kann man ja auch so argumentieren, dass es keinen Sinn ergibt, dieses Angebot, das grosszügigerweise von Steuergeldern subventioniert wird, für die Öffentlichkeit nicht mehr spürbar und sichtbar ist. Wenn das, was wir hier machen, nicht mehr nach aussen getragen wird, dann bewegen wir uns ja nur noch in unserer eigenen Bubble und das ist der Tod der Kultur.

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Catja Loepfe: «Wenn man nicht über etwas schreibt, dann ist es nicht vorhanden.» (Bild: Tsüri.ch)

Wie zeigt sich der Rückgang der Kulturberichterstattung in Ihrem Alltag im Tanzhaus?

C.L.: Wir merken es vor allem daran, dass fast keine Kritiker:innen mehr kommen, um eine Performance zu rezensieren. Darunter leiden die Künstler:innen, denn sie werden nicht gesehen. Und darunter leidet auch die Stadtbevölkerung, denn sie hat keine Einordnung von dem, was gerade läuft. Wenn man nicht über etwas schreibt, dann ist es nicht vorhanden. 

I.M.: Im Tanzhaus bespielen wir ja einerseits eine Nische im Kulturangebot und andererseits haben wir viele Nachwuchskünstler:innen, die noch am Anfang der Karriere stehen.

Was bedeutet das?

C.L.: Jene Kritiker:innen, die es noch gibt, die kommen nur noch zu den «Leuchtturmprojekten» und im Rahmen von grossen Festivals. Und sonst wird, wenn dann über die Oper und das Schauspielhaus geschrieben, und damit fällt auch die Vielfalt weg. Früher las man immer wieder Rezensionen über das Programm der Roten Fabrik, dem sogar Theater, dem Tanzhaus und das fehlt. Seit Jahren.

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Inés Maloigne: «Vielleicht gibt uns das Ende vom Züritipp den notwendigen Tritt, damit wir uns für eine funktionierende Debatte über Kultur einsetzen.» (Bild: Tsüri.ch)

I.M.: Wir sehen ja auch, dass es für diese Journalist:innen nicht einfach ist. Jene, die heute noch über zeitgenössischen Tanz schreiben, sind alles Freischaffende. Früher hatten NZZ und Tages-Anzeiger noch feste Redaktor:innen. Heute müssen die Freischaffenden  den Text selber nochmals den Redaktionen «verkaufen», damit sie den Auftrag erhalten. Und da fällt weg, was vermeintlich weniger gut klickt.

Heisst: Zürichs Kultur ist zwar vielfältig, das nimmt die Bevölkerung aber nicht wahr, weil wenig darüber berichtet wird?

C.L.: Genau. Gerade in der freien Szene oder in den kulturellen Nischen gibt es Akteur:innen, die man als Seismografen für die Gesellschaft werten kann. Sie bringen neue Ideen rein, schaffen Denkräume und stelle Utopien dar. Klar ist eine Figaro-Oper wichtig, die zieht ein breites Publikum an. Aber die Nischenkulturen sind es genauso. Wir sind oft bissiger, kritischer und zeigen mit der Lupe auf die Brennpunkte einer Gesellschaft.

Was wünschen Sie sich von den verschiedenen Akteur:innen?

I.M.: Die aktuelle Krise schärft das Bewusstsein. Manchmal sind wir in Zürich ja auch etwas bequem. Und vielleicht gibt uns das Ende vom Züritipp jetzt den notwendigen Tritt, damit wir aktiv werden und uns für eine funktionierende Debatte über Kultur einsetzen.

C.L.: Es muss jetzt schnell eine Alternative für den Züritipp her. Etwas, das die kulturelle Vielfalt dieser Stadt wieder sichtbar macht. Ich wünschte mir, dass auch Stadt und Kanton jetzt aktiv werden. Nur immer von der Kulturstadt Zürich reden, aber dann nicht handeln, wenn diese bedroht wird, das geht nicht.

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