Massenkündigung in Albisrieden: 138 Haushalte müssen raus
Ganze Wohnblöcke zu kündigen und sie dann zu sanieren, ist in Zürich Usus geworden. Jüngst zwingt diese Praxis etwa 200 Menschen an der Langgrütstrasse im Kreis 9 zur Wohnungssuche.
Die Massenkündigung bei den Sugus-Häusern sorgte für Aufsehen – dabei sind sie längst kein Einzelfall. Nirgendwo sonst in der Schweiz gibt es so viele Leerkündigungen wie in der Stadt Zürich, das zeigt ein aktueller Bericht der Zürcher Kantonalbank. Das jüngste Beispiel befindet sich in Albisrieden. Ende November erhielten die Mieter:innen dreier Wohnblöcke an der Langgrütstrasse 17/21, 25/29 und 33/37 die Kündigung. Ein Anwohner zählte Türklingeln und Balkone und kam auf das Ergebnis, dass insgesamt 138 Haushalte betroffen sind.
«Ich stehe plötzlich vor dem Nichts. Die Kündigung prägt mich und beschert mir seither unruhige Nächte.»
Daniel Piotaz
Die Kündigung hängt in der Luft
Daniel Piotaz lebt seit 20 Jahren in Zürich, davon 14 in seiner 3.5-Zimmer-Wohnung an der Langgrütstrasse. Nun muss der über 60-Jährige Abschied nehmen. «Ich stehe plötzlich vor dem Nichts. Die Kündigung prägt mich und beschert mir seither unruhige Nächte», erzählt er. Piotaz hat die Schlichtungsbehörde eingeschaltet, um das Mietverhältnis so lange wie möglich zu verlängern. Bis März 2026 bleibt ihm Zeit, um eine neue Bleibe zu finden.
«Die Kündigung war ein Schock», sagt Piotaz, doch sie sei nicht völlig unerwartet gekommen. Gerüchte, dass frei gewordene Wohnungen nur noch befristet vermietet würden, seien bereits vor einem Jahr im Umlauf gewesen. Auf Nachfrage bei der Verwaltung wurde ein Umbau damals zwar noch verneint, doch seine Skepsis blieb. Seither hat er rund 50 Wohnungsanfragen verschickt – doch zu einer Besichtigung ist es laut Piotaz bisher nicht gekommen.
«Ich könnte hier problemlos noch zehn Jahre leben», betont Piotaz. Die Wohnung sei in gutem Zustand: Die Küche wurde kurz vor seinem Einzug erneuert, vor vier Jahren liess er alles frisch streichen, und erst kürzlich wurden die Wasserleitungen bei ihm im Bad ersetzt. 1500 Franken bezahlt er für die 75 Quadratmeter grosse Wohnung. «Zu diesem Preis finde ich in Zürich höchstens noch ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft», sagt Piotaz.
Verantwortliche äussern sich nicht
Die betroffenen Wohnblöcke wurden vor 68 Jahren erbaut und gehören der Star Immobilien AG. Das Zürcher Unternehmen ist eng mit der Verwaltung Wonneberg verwoben, die den Mieter:innen das Kündigungsschreiben aushändigte. Im Brief begründet man die Leerkündigung damit, dass die Bausubstanz so stark beeinträchtigt sei, «dass weder eine nachhaltige Sanierung noch eine Erweiterung möglich ist».
Die Häuser würden «nicht mehr den heutigen technischen Anforderungen entsprechen». Was das genau bedeutet, bleibt unklar. Ebenfalls, wie viele Personen betroffen sind und was mit dem Grundstück danach passieren wird. Weder der Geschäftsleiter der Verwaltung Wonneberg, noch der Inhaber der beiden Firmen, Bernard Sternbuch, reagierten auf die Anfragen von Tsüri.ch.
Dabei ist es nicht das erste Mal, dass es Sternbuchs Unternehmen in die Medien geschafft hat. Vor zwei Jahren berichtete der Landbote, dass die Verwaltung Wonneberg das heruntergekommene Zentrum Töss in Winterthur, das ebenfalls Star Immobilien AG gehört, vernachlässige. Der sanierungsbedürftige Betonkomplex sei ein Flickwerk, schmuddelig und geprägt von Littering. Eine Anwohnerin berichtete dem Landboten, dass die Verwaltung selbst bei ausgefallenen Heizungen erst reagierte, nachdem der Mieterverband eingeschaltet wurde.
Albisrieden verändert sich
Bei ihnen in der Siedlung habe es kaum Probleme gegeben, erzählt Daniel Piotaz, obwohl sich Albisrieden in den letzten Jahren verändert habe. Laut Quartierspiegel der Stadt Zürich wächst die Bevölkerung hier gerade schneller als anderswo. Über 2000 neue Wohnungen sind in den letzten Jahren im Quartier gebaut worden.
Auch unweit von Piotaz Zuhause entstehen gerade neue Überbauungen. Doch diese Entwicklung hat ihren Preis: Wie die Mietpreiserhebung der Stadt Zürich zeigt, sind die Mieten in Albisrieden seit 2022 um bis zu 16,7 Prozent gestiegen. Betrug die Miete für eine 3-Zimmer-Wohnung vor zwei Jahren 1667 Franken, sind das heute 1946 Franken.
Für Piotaz steht deshalb fest: Sollte er in Zürich keine bezahlbare Wohnung finden, wird er die Stadt – und möglicherweise die Schweiz – verlassen. «Ich gehe in Richtung Pension. Zwar arbeite ich noch als Selbständiger, aber wenn ich keine Wohnung finde, sehe ich nur eine Lösung: Ich ziehe ins Ausland. Vielleicht ans Meer.»
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