Quartier kämpft für 30er-Zone auf Winterthurerstrasse
Anwohnende der Winterthurerstrasse pochen aus Sicherheitsgründen auf Tempo 30. Mit ihrem Anliegen geraten sie zwischen die Fronten des politischen Kampfs zwischen Stadt und Kanton in der Tempo-Frage.
Zu Besuch an der Haltestelle Kinkelstrasse im Quartier Oberstrass: Hier rauschen von früh bis spät Privatautos, Lastwagen und Trams durch, zugleich liegt direkt an der Haltestelle eine Kita, ein Schild macht auf zwei aufeinanderfolgende Zebra-Streifen aufmerksam.
Anwohner:innen, die sich um die Sicherheit insbesondere kleiner Kinder auf dem Weg zur Schule oder zur Kita sorgen, haben hier eine Petition gestartet. Ihr Ziel: tagsüber Tempo 30 durchsetzen. Dabei sprechen sie von einem «entscheidenden Schritt, um die Sicherheit der Anwesenden zu erhöhen».
«Alle Kitas und Schulen liegen unterhalb der Hauptstrasse»
Dominik Sieber hat die Petition «Verlängerung 30er-Zone: Rigiblick bis Letzistrasse» ins Leben gerufen und stützt sie mit elf weiteren Personen. Es ist ein typisches Familienquartier, mehrmals wöchentlich überquert auch Sieber mit seiner vierjährigen Tochter die Winterthurerstrasse auf dem Weg zur Kita.
«Alle Kitas und Schulen liegen unterhalb der Hauptstrasse», sagt er. Die einzige Unterführung sei mehrere hundert Meter weiter und würde deshalb nicht genutzt. Auch mit Blick auf die Kita KiBiz, die direkt an der Winterthurerstrasse liegt, sorgt er sich: «Kleine Kinder sind so schnell einmal weggerannt».
Vorschläge wie die Errichtung eines stationären Blitzers oder von Bremskörpern zur Strassenberuhigung seien auf taube Ohren gestossen.
Sieber wünscht sich, dass die Stadt die Bedürfnisse der Anwohnenden ernster nimmt als die Wünsche des Durchgangsverkehrs. Anders ausgedrückt: «Die Stadt sollte nicht vor dem Kanton kuschen». Auch wenn es sich um eine kantonale Strasse handelt, hat die Stadt das Recht, Tempo 30 durchzusetzen, denn mit Ausnahme der Autobahnen befinden sich alle Strassen auf Stadtgebiet in städtischem Besitz.
Stadt fürchtet, Tempo 30 könne ÖV ausbremsen
Die Dienstabteilung Verkehr (DAV) teilt auf Anfrage mit, am betreffenden Abschnitt der Winterthurerstrasse würde ein «unabhängiger Bahnkörper», also Gleise am Boden, die ausschliesslich für Trams bestimmt sind, geprüft. Lasse sich ein solcher umsetzen, könnte Tempo 30 auch tagsüber Realität werden, ansonsten werde Tempo 30 nur nachts umgesetzt. Das würde zwar den Strassenlärm lindern, für die Sicherheit der Kinder auf dem Weg in die Schule oder Kita hilft es jedoch nicht.
Sieber vermutet jedoch, dass die Stadt auch deshalb nicht handelt, um dem Kanton nicht auf die Füsse zu treten. Tatsächlich ist die Tempo-Durchsetzung auf kantonalen Strassen und Hauptverkehrsachsen innerorts längst zum Politikum im Abstimmungskampf um die Mobilitäts-Initiative geworden.
So plädiert die Stadt aus diversen Gründen wie Lärmschutz, Umweltschutz und Verkehrssicherheit für Tempo 30 innerorts, kommt aber nur schleppend voran. Der Kanton andererseits drängt mit der Mobilitäts-Initiative auf Tempo 50 innerorts und greift die Autonomie der Stadt bei der Tempo-Regelung an.
Stadt und Kanton ringen um die Tempo-Frage
Ein Ja zur kantonalen Mobilitäts-Initiative, die von der SVP lanciert wurde, würde den Städten Winterthur und Zürich das seit über 150 Jahren geltende Recht entziehen, das Tempo auf ihren Strassen selbst zu bestimmen.
Wie auch bei den Umwelt- und Velo-Initiativen der letzten Jahre und der im April lancierten Verkehrswende-Initiative spielt sich mit der Mobilitäts-Initiative ein Kampf um den Stellenwert des Autos ab. Dabei hat sich die Zürcher Stimmbevölkerung immer wieder klar für Velo-Infastruktur und die Umgestaltung des öffentlichen Raums auf Kosten des Autos ausgesprochen.
Mit dem Lärmschutz hat die Stadt Zürich zudem noch einen bundesrechtlichen Auftrag zu erfüllen: Denn noch immer sind in Zürich rund 125’000 Einwohner:innen und damit über 28 Prozent der Bevölkerung übermässigem Strassenlärm ausgesetzt.
In einer Medienkonferenz zur Lärmschutzstrategie machten die Stadträt:innnen Simone Brander (SP), Karin Rykart (Grüne) und Andreas Hauri (GLP) am Montagmorgen unmissverständlich klar: Das wirksamste Mittel, um den Lärmschutz in der Stadt Zürich voranzutreiben, ist Tempo 30.
So hat Brander denn auch schon angekündigt, die Initiative, im Falle eines Ja an der Urne, juristisch bekämpfen zu wollen. Denn der Initiativtext widerspreche dem Bundesrecht und würde zudem «ein Wirrwarr an Zuständigkeiten schaffen».
Was dieser politische Kampf für den Abschnitt zwischen Rigiblick und Letzistrasse bedeutet, bleibt abzuwarten. Sieber und die anderen Initiant:innen wünschen sich, dass die Stadt an der Winterthurerstrasse zügig handelt, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen – am liebsten noch vor der Abstimmung im Herbst.
Stand Dienstag wurde ihre Petition von 465 Personen unterschrieben, bis zu 1000 sollen es werden. Am wichtigsten sei jedoch, dass die Petition Unterstützung aus dem Quartier erfährt. «Mit unserem Anliegen wollen wir auch andere Stadtzürcher:innen animieren, selbst aktiv zu werden und aus den Quartieren heraus Druck auszuüben», so Sieber. Im Sommer soll die Petition schliesslich an Simone Brander übergeben werden.
Auf das Anliegen angesprochen sagte Simone Brander jedoch am Montag, diese sei an sie falsch adressiert und müsste sich stattdessen an Karin Rykart und das Sicherheitsdepartement wenden, das für die Umsetzung von Tempo 30 zuständig ist. Grundsätzlich begrüsse Brander die Vorstösse in Richtung Tempo 30, jedes Gesuch müsste jedoch einzeln geprüft werden.
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Bachelorstudium in Germanistik und Philosophie an der Universität Zürich, Master in Kulturanalyse und Deutscher Literatur. Während des Masters Einstieg als Redaktionsmitglied in der Zürcher Studierendenzeitung mit Schwerpunkt auf kulturellen und kulturkritischen Themen. Nebenbei literaturkritische Schreiberfahrungen beim Schweizer Buchjahr. Nach dem Master Redaktor am Newsdesk von 20Minuten. Nach zweijährigem Ausflug nun als Redaktor zurück bei Tsüri.ch