Angst ist keine Form der Prävention – auch nicht, wenn es um Cannabis geht - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Philipp Mikhail

Redaktor

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22. Mai 2017 um 12:08

Angst ist keine Form der Prävention – auch nicht, wenn es um Cannabis geht

Ursprünglich wollte ich hier ein Interview mit einem Polizisten über Cannabis führen. Aber die Angst, dass ich dadurch in Schwierigkeiten kommen und meinem Umfeld damit schaden könnte, ist zu gross.

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Ich behaupte, dass ich die meisten Dealer in Zürich, die mit Cannabis handeln, und die meisten Produzenten, die Gras züchten, kenne oder zumindest jemanden kenne, der diese kennt. Das Ziel meiner Kolumne war und ist es, der breiten Öffentlichkeit die Welt des Cannabis zumindest teilweise zugänglich zu machen. Bei meinem letzten Beitrag musste ich feststellen, wie kompliziert es nach wie vor sein kann, über Cannabis zu schreiben. Im Interview mit einem Dealer durfte ich nicht nach dessen Gehalt fragen resp. dieses - sofern er es mir verraten hätte - nicht veröffentlichen. Der Grund für diese Zensur ist, dass in Basel vor einiger Zeit ein Gerichtsurteil eine Journalistin dazu zwang, nach einem Interview mit einem Dealer seine Identität der Polizei preiszugeben. Gemäss dem Bundesgericht falle, sobald ein Dealer über 10’000 Franken Gewinn erzielt, die gesetzliche Grundlage des Quellenschutzes für Journalist*innen weg, da es sich bei einem solchen Gewinn um einen «qualifizierten Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz» handle. Das gab mir zu denken und bereitete mir Angst: Was, wenn ich dem Polizisten, den ich befragen wollte, meine eigene Identität preisgeben müsste? Wird dann mein Telefon abgehört? Gefährde ich damit mein Umfeld, welches in der Szene tätig ist? Soll ich mein persönliches Umfeld, Freunde, Bekannte, in potentielle Gefahr bringen, um einen Beitrag für eine liberale Wahrnehmung von eben dem illegalen Stoff, mit dem sie täglich zu tun haben, zu leisten? Dieser Text ist mein Versuch, mit diesem Dilemma umzugehen.

Schon als ich die Idee für diese Kolumne hatte, war mir klar, dass ich unter einem Pseudonym schreiben muss, um allfällige polizeiliche Massnahmen oder die Gefahr, meine Freunde aus der «Grower-Szene» zu beeinträchtigen, möglichst im Keim zu ersticken. Obwohl so viele Menschen in Zürich kiffen und eine unglaubliche Menge an Cannabis konsumiert wird, liest man inzwischen fast täglich von Plantagen, die von der Polizei «hopsgenommen» werden oder von Razzien bei denen Gras beschlagnahmt wurde. Die medialen Inszenierungen solcher «Triumphe» der Polizei haben das Ziel, einzuschüchtern und die Bagatellisierung des Handels mit Cannabis zu unterbinden. Sie fördern die Angst, verunsichern. Es erinnert etwas an die asozialen deutschen Fernsehsendungen, die glorreiche Namen wie «Achtung Kontrolle» oder ähnliche tragen. In diesen Sendungen wird z.B. suggeriert, dass man am Flughafen in Berlin, oder sonst wo, in jedem Fall zur Kasse gebeten wird, würde man versuchen, Zigaretten oder verbotene Lebensmittel in den EU-Raum zu schmuggeln. Tatsächlich rate ich davon ab, diesen Humbug anzuschauen, wenn man vorhat, ein solch schweres Delikt zu begehen.

Denn mit der Angst ist nicht zu spassen und diese «Unterhaltung» ist eine regelrechte Angstmaschine. Auch ich kann mich dieser Wirkung nicht entziehen. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass ich mit jedem Artikel, den ich über dieses Thema schreibe, die Kriminalisierung von Cannabis noch mehr fördere. Diverse Studien belegen, dass Angst einen direkten Einfluss auf unser Urteilsvermögen aber auch auf unser Wohlbefinden ausübt. Wer in ständiger Angst lebt, ist mit grosser Sicherheit unglücklich oder verhält sich in gewissen Momenten unverhältnismässig. Und so geht es auch mir, wenn ich mit 50 Gramm Gras - nur zum Eigengebrauch versteht sich - durch die Langstrasse spaziere und ein freundliches aber zugleich prüfendes Gesicht aus einem weiss-orangen Auto den Augenkontakt mit mir sucht. Ich habe Angst. Diese Furcht versaut mir dann auch den Joint, den ich mir, sobald ich zuhause angekommen bin, zur Beruhigung reinziehen muss. Und sie fördert meinen Hass gegen die Polizei. In diesen Momenten, wenn ich der Polizei demonstrativ ins Gesicht lachen muss, fällt es mir schwer, zu akzeptieren, dass sie nur ihre Arbeit macht. Es fällt mir schwer, zu akzeptieren, dass der Fehler eigentlich bei mir liegt und ich, würde ich nicht kiffen, auch keine Bange haben müsste. Frei nach: Wer nichts zu verbergen hat, muss sich auch keine Sorgen machen.

Was bedeutet Kontrolle? Und wo sind die Grenzen der Kontrolle? Leben wir in einem Kontrollstaat? Zugegeben entlarve ich mich immer wieder, wenn ich mir wegen meiner Angst solche verschwörungstheoretischen Fragen stelle. Denn eigentlich haben wir Kiffer es doch gut. Zehn Gramm Gras dürfte ich immerhin besitzen und würde mit einer Ordnungsbusse gemahnt. Wer einmal wegen eines Verdachts auf «Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz» durchsucht wurde, weiss dennoch, dass es dabei nicht nur um das Rauschmittel selbst, sondern auch um die Würde eines Menschen geht. Auf der offenen Strasse kontrolliert zu werden, die Beine zu spreizen, ist entwürdigend. Würde für jedes Mal, wenn einem*r Polizist*in vorgeworfen wird, eine Person, die kifft, wie eine*n Schwerverbrecher*in zu behandeln, einen Franken für vernünftige Prävention gespendet, hätte dieser Text wahrscheinlich einen ganz anderen Charakter. Es liegt mir fern, an dieser Stelle das Klischee des «guten Kiffers» und des «böse*n Polizist*in» zu bedienen. Jedoch findet sich auch in diesem Klischee ein Fünkchen Wahrheit. Ich will mich auch nicht in Selbstmitleid suhlen und in eine Art Opferrolle zwängen. Vielmehr soll es Ausdruck meines Unbehagens als Kiffer, der mit seinem Konsum höchstens sich selbst schadet, aufzeigen. Besonders ironisch ist hierbei, dass Kiffen in vielen Fällen die Paranoia noch zusätzlich fördert. Und so werde ich zunehmend mit dem Gedanken konfrontiert, einfach mit dem Kiffen aufzuhören. Vielleicht sollte ich mich kurzerhand dem Gesetz fügen. Wie der*die Polizist*in, der*die einfach die Regeln, die ihm*ihr aufgetragen wurden, befolgt, ohne sich weitere Gedanken zu machen.

Eine Frage, die ich im geplanten Interview mit einem Polizisten stellen wollte, war: «Inwiefern befolgen Sie in Ihrem Job einfach blind die Anweisungen, die Ihnen gegeben werden?». Diese Frage beinhaltet eine leise, vielleicht sogar unberechtigte Frage, nach der gesetzlichen Ordnung in einer Gesellschaft und könnte ebenso als etwas banalen Aufruf zur Anarchie verstanden werden. Wenn eine Gemeinschaft, die, um zu funktionieren, selbstverständlich auf Regeln und Gesetze angewiesen ist, wegen deren Politik diese Regeln unverhältnismässig - wie im Fall mit Cannabis vollkommen unlogisch - bestimmt kann dies die übergreifende Relativierung aller Regeln zur Folge haben. Hier nimmt die politische Kommunikation eine wichtige Rolle ein. Damit meine ich, wie öffentlich mit dem Thema umgegangen wird. Ein Verbot zu rechtfertigen, ist kein einfaches Unterfangen. Und ebenso schwierig ist es, die Aufhebung eines Verbots zu erklären. Wenn es um Cannabis geht, lässt sich die schon fast schizophrene politische und somit öffentliche Auslegung und Interpretation eines Rauschmittels hervorragend aufzeigen. In Holland, Tschechien oder Portugal kifft man seit Jahren legal. Wirft man einen Blick über den grossen Teich, findet man eine regelrechte Vermarktung des Cannabis. In den USA machte man den einen oder anderen gegnerischen Stimmberechtigten mit Versprechen über hohe Steuereinnahmen gefügig. Philipp Morris hat derweil bereits die Patentrechte für die offizielle Cannabis-Zigarette gekauft. Die grösste Schwierigkeit bei der Legalisierung von Cannabis stellt sicher der Handel dar. Die bisher am sinnvollsten erscheinende Lösung ist, dass Kiffer ihr eigenes Gras anbauen dürfen. Dies hätte zur Folge, dass der Schwarzmarkt weitgehend unterbunden wird. Marco Cortesi hat einmal in einem Interview für ein billiges Aargauer Medium versprochen, dass man sich nicht fürchten müsse, wenn man auf dem Balkon ein Paar Hanfpflanzen ziehe. Einige Freunde meinerseits würden dem zu Recht energisch widersprechen, da sie nur kurze Zeit nach dieser Aussage für eben dieses Vergehen gebüsst wurden, ihre Häuser teilweise mit einem bewaffneten Grossaufgebot gestürmt wurden. Vielleicht ist es politisches Kalkül, zu versprechen, dass man mit seiner Pflanze auf dem Balkon sicher ist. Vielleicht ist es aber bloss ein Einschüchterungsversuch, dann trotzdem, wegen Hanfpflanzen im Garten, Bussen auszustellen.

Tatsache ist: Ich habe zu grosse Angst, mit einem Polizisten ein Interview zu führen. Die Politik und die Polizei, die schlechten Erfahrungen mit Gummihandschuhen in meiner Arschritze und die Beeinflussung der allgemeinen Berichterstattung, nicht aber das Kiffen selbst, haben mich letztendlich paranoid gemacht. Wahrscheinlich würden alle Horror-Szenarien, die ich mir einbilde, gar nie eintreffen. Aber mit der Angst ist nicht zu spassen. Ungeachtet dessen, ob Angst effizient ist und selbstverständlich auch diskursiv betrachtet werden kann, sie ist keine Form der Prävention. Sowohl in der Politik als auch in der Rechtsprechung untergräbt die Einschüchterung und Angstmacherei die ursprünglichen Beweggründe, ein Gesetz einzuhalten; Den Respekt vor anderen, das Gemeinwohl. Die Legalisierung von Cannabis schützt präventiv vor starkem Missbrauch und nimmt Kiffenden zumindest eine Angst; die, dabei erwischt zu werden.

Aus diesem Grund möchte ich nun hier direkt die Leser*innen ansprechen: Bitte nimm mir die Angst! Bitte unterstütze die Legalisierung von Cannabis in der Schweiz! Unterstütze die bald kommende Volksinitiative zur Legalisierung von Cannabis! Bitte trage mit Deiner Stimme dazu bei, dass ich vielleicht in ferner Zukunft, ein Interview mit einem Polizisten führen kann, ohne, dass ich mir Sorgen machen muss, dass ich oder mein Umfeld damit geschädigt werden könnten! Und habt vor allem keine Angst, euch zumindest zu informieren!

---> Warum Frauen weniger kiffen als Männer

---> Die Geschichte der Hanfläden in Zürich

---> Die schönsten Zürcher Kifferplätze

---> Interview mit einem Gras-Dealer

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