Interview mit Zürcher Grasdealer: «Ich werde sehr geschätzt für das, was ich tue.» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Philipp Mikhail

Redaktor

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4. April 2017 um 11:53

Interview mit Zürcher Grasdealer: «Ich werde sehr geschätzt für das, was ich tue.»

Drogenhändler werden in unserer Gesellschaft als Monster dargestellt. In meiner Kindheit wurde mir in Fernsehen und Zeitung vermittelt, dass Dealer entweder Unterdrückte, Randständige und zum Dealen Gezwungene oder Mafiabosse, die über Leichen gehen, sind. Dieses Interview mit einem Grasdealer zeigt auf, dass die Klischees nicht immer zutreffen. Ich habe mit Thomas (*Name geändert) über seinen Job, Moral, Kokain und die Legalisierung von Cannabis gesprochen.

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Du verkaufst also Gras?
Thomas: Gras und Hasch, ja.

Schämst du dich manchmal für deinen Beruf?
Schön, dass du es «Beruf» nennst (lacht). Scham wäre das falsche Wort. Natürlich würde ich, wenn ich nach meiner Tätigkeit gefragt werde, am liebsten gleich sagen, dass ich mit Cannabis handle. Leider haben Gras und Hasch teilweise immer noch einen schlechten Ruf und deshalb darf ich in gewissen Kreisen nicht über meine Tätigkeit sprechen. Insofern habe ich sicher das Gefühl, dass ich einen Teil meines Ichs verstecken muss. Ich schäme mich jedoch nicht. Es ist eher eine gesunde Zurückhaltung. Ausserdem werde ich in den Kreisen, in denen ich arbeite, sehr geschätzt für das, was ich tue. Und so gleicht sich das ganze etwas aus.

Warum hat Cannabis einen schlechten Ruf?
Haben wir so viel Zeit? Ich kann hier gerne etwas über die Geschichte von Cannabis erzählen, wenn du das wünschst.

Oh ja gerne!
(...) Abgekürzt würde ich sagen, dass alle Rauschmittel aus historischen und kulturellen Gründen einen schlechten Ruf geniessen.

Das hast du schön gesagt. Cannabis ist also gesund und macht schön.
Du möchtest also eigentlich wissen, ob Kiffen gefährlich ist?

Genau.
Cannabis kann sehr gefährlich sein, wenn es falsch konsumiert wird.

Soll ich also nur noch pures Gras in der Pfeife rauchen?
Das hat nicht primär mit der Art wie du Gras konsumierst zu tun, sondern eher mit der Frage wieviel. Es ist schon verwunderlich, dass das Offensichtliche noch immer so kontrovers diskutiert wird. Der Rausch ist ein fester Bestandteil der Menschheit. Sobald jemand sich zu oft oder zu sehr berauscht, wird das Rauschmittel für die Konsequenzen verantwortlich gemacht.

Wenn ich diese Logik auf das Waffengesetz übertragen würde, müsste ich vehement widersprechen.
Gut, dass du das eben nicht machst. Waffen und Drogen sind nicht dasselbe. Ich bin ebenfalls Pazifist und kann mich in meinem Leben an keine Situation erinnern, in der ich eine Waffe benötigt hätte.

Als Dealer muss ich die fehlende Prävention der Gesellschaft ausgleichen.

Macht kiffen süchtig?
Psychisch kann fast alles abhängig machen. Das Problem unserer Gesellschaft ist, dass wir, statt einen moderaten Umgang mit unseren Süchten zu erlernen, die Sucht als grundsätzlich schlecht abstempeln. Ich kenne niemanden, der in seinem Leben gänzlich frei von Sucht oder Abhängigkeit war. Damit will ich Sucht nicht verharmlosen oder schönreden. Von etwas abhängig zu sein, ist scheisse und es bedarf an viel Aufwand und harter Arbeit, sich von einer Abhängigkeit zu lösen. Und dann gibt es ja noch die körperliche Abhängigkeit, z.B. bei Alkohol oder Heroin. In diesen Fällen geht man bei einem kalten Entzug, also von einem Tag auf den anderen hören, sogar ein lebensgefährliches Risiko ein.

Nimmst du auch andere Drogen?
Ja, aber ich würde diese nie verkaufen. Zu Silvester gönne ich mir meist etwas Kokain. Und an der Streetparade natürlich MDMA oder Amphetamine.

Mit anderen Drogen lässt sich viel mehr Geld verdienen. Warum verkaufst du nur Cannabis?
Ach, es gibt so viele Gründe, weshalb ich nur mit Cannabis handeln möchte; Das Klientel ist ganz anders. Meine Kund*innen haben ihren Konsum viel besser im Griff. Es gibt keine «Gras-Junkies», die hundertmal anrufen, weil sie unbedingt «ihren Stoff» brauchen. Darüber hinaus wird nicht irgendwo in Peru eine Bauernfamilie zum Anbau von Cannabis gezwungen, wie beispielsweise beim Kokainhandel. Es hört sich vielleicht etwas blöde an, aber ich glaube, dass jeder Dealer schlussendlich eine eigene Moral haben sollte. Letztlich habe ich auch zu wenig Erfahrung und Wissen, um mit anderen Drogen zu handeln. Halluzinogene wie LSD, Pilze oder 2CB finde ich zwar toll, das überlasse ich aber lieber anderen.

Mit der Moral ist es so eine Sache. Für viele Menschen ist der Handel mit Cannabis unmoralisch. Du predigst Wasser, trinkst aber Wein. Du sprichst den Drogenkrieg in Amerika an, schnupfst aber selber Koks. Übrigens: Kiffen ist verboten.
Ich glaube an eine Moral. Moral und Gesetz sind gesellschaftliche Phänomene und beeinflussen sich gegenseitig. Sie verändern sich ständig und werden trotzdem nie gleich sein. Ein Beispiel: Wenn sich das Volk in Kalifornien für die Legalisierung von Cannabis entscheidet, hat sich die Einstellung und damit auch die Moral der Menschen bereits im Voraus stark verändert. Und plötzlich ist etwas, das für lange Zeit gesellschaftlich geächtet wurde, akzeptiert. Für mich besteht Moral aus Regeln, die das Zusammenleben organisieren und nicht wegen einer Instanz, wie z.B. Gerichte oder Polizei, sondern aus eigenem Antrieb und eigener Überzeugung eingehalten werden. Meine Moral wird selbstverständlich durch äussere Faktoren beeinflusst. Alles was ich beispielsweise erlebe, formt meine Moral. Nach zehn Jahren Handel mit Cannabis kann ich mit voller Überzeugung sagen, dass die Vorteile dieser Pflanze überwiegen. Mein Antrieb war immer etwas zu verändern, weil ich sehen konnte, dass das Gesetz in diesem Fall einfach falsch liegen muss. Schlussendlich liegt es an uns, das gesellschaftliche Wertesystem immer wieder in Frage zu stellen und zu optimieren. Und noch etwas: Der Krieg gegen die Drogen ist seit jeher gescheitert. Es wäre einiges pragmatischer, grundsätzlich den Menschen einen «gesunden» Umgang mit jeglichem Konsum beizubringen. Die Kriminalisierung von Drogen ist also sogar mitverantwortlich für den Drogenkrieg. Deine Anmerkung zeigt darüber hinaus auf, dass von einem Drogendealer offensichtlich mehr Moral und Ethik verlangt wird als von einem Banker oder Journalisten.

Gras verkaufen ist sicher nicht der anstrengendste Job, aber man muss viel Nerven und Geduld aufbringen.

Siehst du dich manchmal als eine Art Medizinmann oder Guru?
Als Dealer muss ich die fehlende Prävention der Gesellschaft ausgleichen. Wenn es jemandem nicht gut geht, sollte diese Person wahrscheinlich weniger oder gar nicht kiffen und das sage ich den Kund*innen auch. Den Verkauf habe ich aus diesem Grund auch schon verweigert. Ich habe eigentlich nur Stammkundschaft. Dabei handelt es sich um Freunde und langjährige Bekannte. Nie würde ich ihnen Schaden zufügen wollen. Es kommt nicht selten vor, dass ich dabei sogar die Rolle eines Therapeuten übernehme. Meine Kundschaft ist auch ausserhalb des Geschäftlichen stets bei mir willkommen. Die Menschen erzählen mir von ihrem Leben, ihren Problemen und Ängsten. Dabei geht es allerdings nicht darum, gute Ratschläge zu geben, sondern ums Zuhören und für jemanden da sein. Ich beliefere aber auch Menschen, die an Krebs erkrankt sind und wegen den Schmerzen oder wegen dem fehlenden Hunger in der Chemotherapie kiffen. Die richtige Beratung ist essenziell. Es gibt so viele Sorten von Cannabis und Haschisch und die individuelle Wirkung variiert stark. An dieser Stelle ist es wichtig, auf Bedürfnisse eingehen zu können und herauszufinden, welche Sorte am besten passt, aber auch welche Sorten möglichst viele Bedürfnisse abdecken könnten.

Wie sieht dein Tagesablauf aus?
Ich bin kein Morgenmensch. Meist stehe ich nicht vor 10 Uhr auf. Danach trinke ich einen Kaffee, gehe der Hausarbeit nach, mache die Einkäufe oder putze die Wohnung. Die meisten Kunden melden sich bereits einige Tage zuvor an und so kann ich meinen Tag meist recht einfach planen.

Das hört sich nicht sehr anstrengend an. Wieviel verdienst du?
Das möchte ich lieber nicht verraten, auch wenn das deine Leser*innen sicher interessieren würde. Gras verkaufen ist sicher nicht der anstrengendste Job, aber man muss viel Nerven und Geduld aufbringen. Über die Jahre habe ich zudem ein Know-how entwickelt. Dies betrifft die Inspektion der Ware aber auch die finanzielle Planung und Umsetzung des Handels. Und wie gesagt glaube ich, dass ein Dealer unbedingt auch soziale Eigenschaften mitbringen sollte.

Wo und wie beziehst du deine Produkte?
Ich möchte zu diesem Thema nicht zu viel sagen. Haschisch kommt meist aus Marokko. Und beim Gras gibt es verschiedene Kanäle. Das Geschäft mit Cannabis konnte sich glücklicherweise in vielen Fällen von anderen Zweigen der Kriminalität distanzieren. Meine Lieferanten handeln eigentlich nur mit Cannabis, was ich als sehr angenehm empfinde.

Was würdest du tun, wenn Cannabis legalisiert würde?
Ich bin ein Idealist. Es ging mir nie darum, möglichst viel zu verkaufen oder möglichst hohen Gewinn zu machen. Cannabis hat mir viel gegeben. Für mich ist Hanf eine geniale Pflanze, die im Übrigen noch viel mehr Vorteile als nur den Rausch hat. Würde Cannabis in der Schweiz legalisiert, wäre ich durchaus interessiert, auch weiterhin in diesem Beruf tätig zu sein. Ich wäre aber sicher nicht enttäuscht über den Verlust meines Berufs. Es würde mich freuen, auf diese Weise meinen Job zu verlieren.

An dieser Stelle möchte ich Thomas für das Interview danken. Ich muss zugeben, dass ich manchmal nicht ganz seiner Meinung bin und wir viele Dinge, die er hier erwähnt hat, noch etwas genauer diskutieren müssten. Dealer sind aber - das kann ich nach diesem Gespräch mit Sicherheit sagen - nicht immer Monster, die über Leichen gehen. In vielen Fällen sind es Menschen wie du und ich. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass sie für ihre Arbeit zu wenig Respekt in der Gesellschaft geniessen.

---> Warum Frauen weniger kiffen als Männer

---> Die Geschichte der Hanfläden in Zürich

---> Die schönsten Zürcher Kifferplätze

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