Mehr als Klischees

Pop-up im Kreis 4: «Shqipstër» will die albanische Kultur neu erzählen

Obwohl die albanische Diaspora zu den grössten in der Schweiz zählt, bleibt vieles von ihrer Geschichte im Dunkeln, während sich hartnäckige Stereotypen halten. Das Pop-up «Shqipstër» im Zürcher Kreis 4 möchte mit Kunst und Kulinarik ein neues Licht auf die vielfältige Kultur werfen.

Shqipstër Pop-up
«Shqipstër» ist das erste albanische Pop-up in Zürich. (Bild: Bleona Ramabaja)

Seit drei Wochen laden zwei Räume an der Kernstrasse dazu ein, in die albanische Kultur einzutauchen. Das Pop-up «Shqipstër» bietet weitaus mehr als Köstlichkeiten und ein ausgelassenes Ambiente. Wer vorbeikommt, kann etwas über die Geschichte der albanischen Diaspora lernen. «Wir haben viel mehr zu bieten als das Bild, das manchmal von uns gezeichnet wird», erklärt Linda Arifi, die Gründerin des Vereins Brezi Ynë, der hinter dem Pop-up steckt.

Das achtköpfige Team habe schon länger den Wunsch gehabt, einen grösseren Anlass zu organisieren. «Als sich die Gelegenheit der Zwischennutzung unerwartet anbot, griffen wir einfach zu», erzählt Arifi. Das Konzept sei dann innerhalb von sechs Wochen auf die Beine gestellt worden.

Der Name «Shqipstër» setzt sich aus den Wörtern «shqip», was albanisch bedeutet, und «Hipster» zusammen. Er steht für das Leben zwischen zwei Kulturen und das Bewusstsein von Herkunft und Gegenwart.

Ein Raum für Begegnungen und Geschichte

Der Verein möchte mit «Shqipstër» zeigen, dass Albaner:innen und ihre Kultur weit vielfältiger sind, als oft angenommen. «Wir sind auch künstlerisch, talentiert und gebildet», sagt Arifi. Schon früh merkte sie, dass Menschen mit albanischen Wurzeln in der Schweiz keinen guten Ruf geniessen. Negative Medienberichte haben ihr zufolge die Wahrnehmung der Diaspora über Jahre hinweg geprägt.

Deshalb sei das Pop-up nicht nur für Personen mit albanischen Wurzeln, sondern für alle Interessierte. Arifi ist überzeugt, dass Vorurteile am wirksamsten im direkten Dialog abgebaut würden. Immer wieder komme es zum Austausch mit verschiedenen Besucher:innen, bei denen unerwartete Gemeinsamkeiten sichtbar würden. Laut Arifi sind es genau diese Gespräche, in denen «man förmlich spürt, wie Stereotypen aufbrechen».

Beim Pop-up geht es jedoch nicht nur darum, Vorurteile abzubauen, sondern auch, ein Stück albanischer Geschichte in der Schweiz sichtbar zu machen. Dazu soll auch die  Kunstausstellung «Enough to Become History, Yet Never Long Enough to Belong» von Driton Selmani beitragen.

Shqipstër Pop-up
Besucher:innen haben am 16. Oktober die Chance, sich beim Artist Talk mit dem Künstler auszutauschen. (Bild: Bleona Ramabaja)

Die Werke thematisieren die schwierigen Lebensrealitäten der Saisonniers aus Ex-Jugoslawien, die in den 1980er-Jahren als Arbeitskräfte in die Schweiz kamen. «Saisonniers haben einen grossen Beitrag für die Schweiz geleistet, dennoch wird ihre Geschichte auch heute noch übersehen», erklärt Arifi.

Selmani setzt mit seiner Kunst den Fokus wieder auf die Vergessenen. Seine Arbeiten sind stark symbolisch geprägt. Dafür nutzt der Künstler unter anderem Pässe, Flaggen oder auch historische Dokumente.

Für die Kinder der Saisonniers sei das Auseinandersetzen mit der Familiengeschichte oft herausfordernd, sagt Arifi. Nur dank der Opfer ihrer Eltern würden sie heute freier leben können: «Sie haben gebaut – wir sind aufgeblüht.»

Zusammenspiel von Tradition und Moderne

Die albanische Gastfreundschaft spiele auch an der Kernstrasse eine bedeutende Rolle: «Auch wenn wir keine Profis aus der Gastronomie sind, bleiben wir immer Gastgeber:innen», sagt Arifi. Als Inspiration für das Konzept und die Einrichtung des Pop-ups diente der gängige albanische Leitspruch «Ha, Pi, Rri», die übersetzt «Iss, Trink und Verweile» bedeutet. Dabei spiegelt sich die Verbindung von traditionellen und zeitgenössischen Elementen in der Speisekarte wie auch im Interieur wider.

  • Shqipstër Pop-up
    Ein Teil der Einrichtung wurde von albanischen Designer:innen entworfen. (Bild: Bleona Ramabaja)
  • Shqipstër Pop-up
    Der «Çaj» wird in traditionellen Teegläsern serviert. (Bild: Bleona Ramabaja)
  • Shqipstër Pop-up
    Die albanische Spezialität Fli ist vergleichbar mit einem mehrschichtigen Pfannkuchen. (Bild: Bleona Ramabaja)

Der Raum wirkt wie ein Wohnzimmer. Kissen und Hocker laden zum Sitzen ein, doch statt der typischen Hocker aus vielen albanischen Haushalten gibt es hier farbenfrohe Designer-Versionen der Klassiker. Auch die Beleuchtung wurde neu interpretiert: Ausgehöhlte Kürbisse, die einst als Wassergefässe zum Duschen genutzt wurden, hängen als Lichtquellen von der Wand. Ein alter Holzofen und gehäkelte Tischdecken erinnern an das Zuhause in der Ferne.

Kulinarisch werden neben Bubulinas, neuartige Baklava-Cheesecakes, auch die Spezialität Fli mit frischem Fetakäse und Dill angeboten. Dazu gibt es Kaffee und Tee «wie vo Dunne» sowie albanisches Bier und einen nordalbanischen Wein zu probieren, der direkt importiert wird.

Aufwachsen zwischen Stuhl und Bank

Arifi hat den Verein Brezi Ynë vor zwölf Jahren aus dem Wunsch heraus gegründet, Zugehörigkeit zu schaffen und Gleichgesinnte zu vereinen. Denn als Schweizerin, mit albanischen Wurzeln verspürte sie oft das Gefühl, nirgendwo richtig dazuzugehören. «Viele Personen mit Migrationsgeschichte können dem nachfühlen – wir sind zwischen Stuhl und Bank aufgewachsen», erklärt Arifi.

Deshalb möchte der Verein die Erfahrungen der gesamten albanischen Community in den Vordergrund stellen und nicht die Geschichten einzelner Mitglieder. Linda Arifi und Vereinspräsidentin Elona Gashi halten jedoch fest, dass das Pop-up ohne den engagierten Einsatz der Vorstandsmitglieder und den Freiwilligen nie zustande gekommen wäre.

Am 22. Oktober schliesst das «Shqipstër» seine Türen. Die Organisator:innen möchten sich zunächst Zeit nehmen, um die Eindrücke Revue passieren zu lassen. Künftig will sich der Verein intensiver mit der damaligen Situation der Saisonniers befassen.

Bis dahin freuen sich Arifi und ihr Team auf viele weitere Besucher:innen. Die Reaktionen seien bisher sehr positiv gewesen. Trotzdem wünscht sich Arifi, dass noch mehr Menschen den Weg ins Pop-up finden und sich auf die Erfahrung einlassen: «Die Stadt Zürich könnte sich ruhig etwas mehr trauen.»

Ohne Deine Unterstützung geht es nicht.

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2700 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 3000 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!

Jetzt unterstützen!
tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare