Pitch-Night: 7 Perspektiven auf die Kreislaufwirtschaft
In einer Kreislaufwirtschaft landen Materialien und Energie nicht auf dem Abfall oder verpuffen. Ist das die Lösung für die Klimakrise? An der Pitch-Night geben sieben Expert:innen Antworten.
Jede Zürcher:in produziert im Schnitt drei Tonnen Abfall pro Jahr. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung und der Rohstoffverbrauch steigt stetig. Genau hier setzt die Kreislaufwirtschaft an: Sie denkt Produkte von Anfang an ressourcenschonend und hält Materialien möglichst lange im Kreislauf.
Wie das in der Praxis aussieht, ist oft schwer zu greifen. Die Pitch-Night von Tsüri.ch schafft einen Raum, um diese Komplexität zu verstehen und darüber zu diskutieren. Am Mittwochabend präsentierten sieben Speaker:innen in je sieben Minuten ihre Perspektiven auf das Thema.
Jonas Kissling - Mitgründer Studio Eidola
Den Auftakt machte Jonas Kissling vom Studio Eidola. Das Forschungs- und Designstudio beschäftigt sich mit Kreisläufen lokal gewonnener Mineralien. Sie legen einen besonderen Fokus auf die Nebenprodukte der mineralischen Rohstoffindustrie. Diese sind stark von der Geologie der Schweiz geprägt und enthalten eine Vielzahl an Materialien. Das Studio Eidola arbeitet daran, diesen Materialien ein zweites Leben zu geben.
Nina Bachmann - Mitglied der Geschäftsleitung Swiss Textiles
Nina Bachmann ist Mitglied der Geschäftsleitung von Swiss Textiles, dem Branchenverband der Schweizer Textilindustrie. Die Textilbranche produziert enorme Mengen Abfall. Allein in der Schweiz landen jedes Jahr rund 60 000 Tonnen Altkleider in Containern – und das sind nur die Kleidungsstücke. Für viele andere Textilien, wie Bettwäsche, Frotteetücher, Stoffreste aus der Schneiderstube gibt es kaum Sammel- oder Recyclingmöglichkeiten. Auch bei recycelten Kleidern bleibt oft unklar, wo die gesammelten Stoffe am Ende landen.
Hier setzt die Branchenorganisation mit ihrem Projekt «Fabric Loop» an. Dieses will Kräfte bündeln, klare Regeln schaffen und für Transparenz sorgen. So sollen Unternehmen Planungssicherheit gewinnen, die Sammelquoten steigen, und recycelte Fasern einst in verlässlicher Qualität verfügbar sein.
Michael Widmer - Geschäftsführer Baustoff Kreislauf Schweiz
Einen Einblick in die Bauwirtschaft gab Michael Widmer, Geschäftsführer von Baustoff Kreislauf Schweiz. Die Baubranche steht vor gewaltigen Herausforderungen: Rund 20 Prozent der Treibhausgasemissionen in der Schweiz gehen auf ihr Konto, jährlich fallen etwa 75 Millionen Tonnen Abfall an – und das in Zeiten knapper werdender Ressourcen.
Widmers Ansatz: Rohstoffe vorausschauend planen, Materialien wiederverwenden, Emissionen senken und Abfälle fachgerecht entsorgen. Sein Beitrag zeigte, wie Kreislaufwirtschaft auch in der Bauwelt Realität werden soll.
Ricarda Fieber - Group for Sustainability and Technology (SusTec), ETH Zurich
An der ETH Zürich erforscht Ricarda Fieber, wie Kunststoffe kreislauffähiger werden können. Der Handlungsbedarf ist enorm: In Kunststoffen stecken heute über 16 000 verschiedene Chemikalien – geprüft oder reguliert ist davon nur ein Bruchteil. Diese Vielfalt macht ein echtes Recycling praktisch unmöglich.
Fieber fordert deshalb weniger komplexe Rezepturen, strengere Vorgaben, mehr Transparenz – und vor allem, die Kreislauffähigkeit von Materialien bereits im Designprozess mitzudenken.
Davide Mastrodomenico - CEO Girsberger AG
Davide Mastrodomenico wollte zeigen, dass auch die Möbelbranche zirkulär funktionieren kann. Ein anschauliches Beispiel ist die Kollektion, die sein zirkuläres Möbelunternehmen Girsberger AG für den Kanton Zürich ausgeführt hat: Anstatt neue Materialien zu beschaffen, griff das Unternehmen auf den vorhandenen Bestand zurück und verwandelte ihn in neue Möbelstücke. Die Botschaft dahinter ist eindeutig – weniger neu produzieren, mehr wiederverwenden und Materialien so recyceln, dass sie am Ende wieder in den Kreislauf gelangen.
Lisa Mazzone - Grüne Schweiz
Lisa Mazzone, die Parteipräsidentin der Grünen Schweiz, sprach über den aktuellen Stand und die Chancen der Kreislaufwirtschaft. In der Schweiz gibt es kein einzelnes Kreislaufwirtschaftsgesetz, sondern eine umfassende Revision des Umweltschutzgesetzes (USG). Erst dadurch wurde der Grundsatz der Ressourcenschonung und der Kreislaufwirtschaft im Gesetz verankert.
Trotzdem kritisierte Mazzone, dass es an verbindlichen Vorgaben mangele. Viele Bestimmungen, etwa im Bau- oder Textilbereich, seien nur als «Kann»-Regelungen formuliert. Während Recycling politisch vergleichsweise leicht durchsetzbar sei, gebe es bei Reduktion und Wiederverwendung noch kaum Fortschritte.
Mazzone plädierte deshalb für eine starke Industriepolitik vor Ort: Statt auf Freihandel und Importe zu setzen, solle die Schweiz Produktion, Innovation und Wertschöpfung im eigenen Land stärken – und so unabhängiger von internationalen Krisen werden.
Prof. Daniel Schwendemann - Ostschweizer Fachhochschule, IWK
Daniel Schwendemann zeigte, dass Kreislaufwirtschaft und Kunststoffe kein Widerspruch sein müssen. Denn während der weltweite Kunststoffverbrauch rasant steigt, gibt es bereits praktische Wege, ihn im Kreislauf zu halten.
Projekte wie das des Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung in Zusammenarbeit mit FREITAG und der Argo Stiftung in Davos machen Recycling greifbar. Gemeinsam mit seinen Studierenden verarbeitet der Professor für alte Skischuhe zu Handyhüllen. Die Schuhe, die sonst im Abfall landen würden, werden zu Granulat verarbeitet, was als Basis für neue Produkte dient Alle Arbeitsschritte erfolgen lokal und die Produkte können am Ende erneut in den Kreislauf zurückgeführt werden.
Die Pitch-Night wurde unterstützt von:
Swiss Textiles, Freitag, Baustoff Kreislauf Schweiz, Zurich Design Weeks und Made in Zurich Initiative