Nachtspaziergang: Arbeiten im Langstrassenquartier

Wie ist es, im Dunkeln zu arbeiten? Am 31. Oktober lud Tsüri.ch zum Nachtspaziergang ein, um an fünf verschiedenen Schauplätzen über Schatten- und Schwarzarbeit zu sprechen. Von Flora Dora bis Zukki.

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«Du wirst nicht Taxifahrer aus Passion, sondern weil du sonst keinen Job findest»: George Botanakis. Foto: Elio Donauer

Der Nachtspaziergang war innert kürzester Zeit ausgebucht. Für alle, die wegen der beschränkten Teilnehmer*innenzahl leider nicht mitkommen durften, haben wir hier den nächtlichen Rundgang zusammengefasst.

21 Uhr, Station 1: Schutz & Rettung Zürich, Neumühlequai 40

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Alle Fotos: Elio Donauer

Der Nachtspaziergang startet bei Schutz & Rettung Zürich (SRZ), nahe des Hauptbahnhofs. Remo Reichlin, der Teamleiter des Abends, empfängt die 30 Teilnehmer*innen. Seine Schicht dauert heute von 18:30 Uhr bis 6:30 Uhr in der Früh. Dann wird er von der Tagesschicht abgelöst. Seit 35 Jahren arbeitet er bei SRZ. «Ich mag die Nachtschichten», meint er.

Er erwartet eine strenge Nacht. Es ist zwar Donnerstag, aber der Freitag (1. November) ist in vielen Kantonen ein Feiertag, was viel Partyvolk von ausserhalb an die Langstrasse locke. Die meisten Einsätze in der Nacht in der Partymeile seien dem Alkoholkonsum oder dem Konsum anderer Rauschmittel geschuldet. Bis in die 80er Jahre hätten sie noch Handschellen dabei gehabt. «Ich bin froh, ist das nicht mehr so», sagt er. Jetzt trägt Remo eine Schutzweste, um sich im Nachtdienst zu schützen. Je nach Situation zieht er die Polizei hinzu. Er führt uns vorbei an Büroräumlichkeiten, weiter in die Halle, wo die Rettungsfahrzeuge für den Einsatz bereitstehen. Der Rettungsdienst von SRZ hat noch eine Wache beim Triemli und am Flughafen. Er präsentiert die elektrische Bahre. «Das erleichtert den Rettungssanitäter*innen die Arbeit ungemein und ist rückenschonender», sagt er.

Das SRZ leistet pro Jahr über 37 000 Einsätze. Je nach Einsatzort sind die Rettungssanitäter*innen in 6 bis 8 Minuten dort. Im oberen Stock warten die Rettungssanitäter*innen auf ihren Einsatz. Dort gibt es eine Lounge mit TV und Ruheräume, um sich in der einsatzfreien Zeit auszuruhen. Die obligate Rutschstange führt in die Fahrzeughalle, doch während unserem Besuch ist es gespenstisch ruhig.

21:45 Uhr, Station 2: Flora Dora, Helvetiaplatz

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Zu Fuss geht es durch die Langstrasse zum Helvetiaplatz. Dort treffen wir Andrea Blaser und ihre Kollegin von Flora Dora. Die Frauenberatung Flora Dora unterstützt Frauen auf dem Strassenstrich oder wie es die beiden erklären: «Wir sind Sozialarbeiter*innen für Strassensexarbeiter*innen.»

Flora Dora ist sowohl an den drei legalen Strichplätzen in Altstetten, an der Häringstrasse und in der Brunau als auch an der Langstrasse präsent, wo die Sexarbeit illegal ist. Flora Dora ist ein städtisches Angebot und bietet eine niederschwellige Beratung an. Die Sozialarbeiter*innen sind aufsuchend unterwegs und beraten die Sexarbeiter*innen zu allen Lebensthemen, ob zur Krankenkasse oder notwendigen Bewilligungen. Flora Dora ist per Handy jederzeit erreichbar. Eine Schicht dauert normalerweise von 13:30 Uhr bis 22 oder 24 Uhr. «Wir treffen uns jeweils vor dem Coop an der Langstrasse», erklären sie. Von dort ziehen sie los, in die Kontaktbars und durch die Langstrasse. Sie verteilen Kondome und einen Schlüsselanhänger mit der Flora-Dora-Nummer drauf. «Wir sind bei den Sexarbeiter*innen bekannt», sagt Andrea. Das vorherrschende Thema sei oft die Existenz – erwischt die Polizei die Sexarbeiter*innen beim illegalen Anwerben auf der Strasse, kann das schnell mal einen Busse von bis zu 2000 CHF nach sich ziehen.

22:20 Uhr, Station 3: Sans-Papier, Schreinerstrasse

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Vom Helvetiaplatz geht es ein paar Strassen weiter an die Schreinerstrasse, wo uns ein Mitarbeiter von der Züri City Card die Türe öffnet. Hier treffen wir eine ehemalige Sans-Papier, die zwar nicht in der Nacht arbeitet, aber lange auf Schwarzarbeit angewiesen war. Wir treffen sie in diesem Raum, weil sie hier einst eine Spielgruppe geleitet hat. «Ich mag den Ausdruck Sans-Papier nicht, weil kein Mensch ein Papier ist», stellt sie von Anfang an klar. Dann steht sie auf und beginnt zu erzählen.

Vor 22 Jahren reiste sie von Brasilien in die Schweiz. Dort hat sie bereits Philosophie studiert und kam dann mit einer Bewilligung an die UZH. Nach sechs Jahren Psychologiestudium wurde ihre Bewilligung nicht verlängert und sie wurde zur Sans-Papier. «Ich habe keinen Bezug mehr zu Brasilien und wollte hier bleiben – auch ohne Bewilligung», erklärt sie. Freund*innen haben sich von ihr abgewandt, die Arbeitgeberin hat sie ausgenutzt. Es brauchte viel Überwindung sich an die Sans-Papier-Anlaufstelle Zürich (SPAZ) zu wenden. Seit drei Jahren hat sie nun eine Bewilligung und versucht, wieder ins Leben zu finden. «Das ist nicht einfach, eine Bewilligung löst keine Probleme», sagt sie. Sie arbeitet bei einer Reinigungsfirma für einen «Schandlohn», wohnt in einem Zimmer im Keller und kann mit ihrem Lohn knapp die Miete und die Krankenkasse bezahlen. Gerne würde sie die Kulturlegi verlängern, doch sie kann die 20 Franken nicht aufbringen. Spontan schlägt ein Teilnehmer vor, ein «Crowdfunding» für sie zu starten und das notwendige Geld zu sammeln, welches innert Minuten in einem Tsüri-Bag zusammengetragen wird.

22:45 Uhr, Station 4: Club Zukunft

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Jetzt geht es in den Untergrund. Kurz bevor die Zukki öffnet, führt uns Dominik Müller, einer der sechs Partner*innen der Zukunft, in den Club hinunter. Es ist ungewohnt, die Räumlichkeiten in hellem Licht zu sehen. Jungs in schwarzen Kleidern werkeln schon am DJ Pult rum, die Barkeeper*innen bereiten die Bar vor. Dieses Wochenende feiert der Club seinen 14. Geburtstag. «Wir haben alles wegen der Faszination zur Musik gestartet», sagt Dominik Müller. Es war keine Geschäftsidee – die Haupteinnahmequelle ist heute der Alkohol.

Sie würden den Club gerne um 22 Uhr öffnen, aber dann kommt einfach noch niemand, erklärt er. Um 4 Uhr sei dann meistens der Zenit erreicht und die Gäste können auch etwas mühsam werden. Mit der «Selektion von Problemfällen» am Eingang versuchen sie dem entgegenzuwirken. Aber meistens sei es angenehm zu arbeiten: «Die Gäste sind in der Freizeit hier und meistens gut drauf», sagt Dominik. Er werde oft gefragt, was er denn von Sonntag bis Freitag tue. «Die Arbeit muss schon erledigt sein, wenn du den Club aufschliesst», meint er dazu. Gutes Stichwort. Wir müssen weiter, denn in wenigen Minuten öffnen sich die Clubtüren.

23:10 Uhr, Station 5: Taxistation vor Happybeck

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Auf der Piazza Cella wartet George Botanakis auf uns. Er ist Präsident des Taxivereins und stellt sich salopp als «Boti» vor. Ganz am Anfang stellt er klar: «Du wirst nicht Taxifahrer aus Passion, sondern weil du sonst keinen Job findest».

Ein Taxifahrer ist pro Woche 53 Stunden unterwegs, davon darf er 45 Stunden fahren. «Nicht erschrecken», meint Boti als er den Lohn verrät. Ein Taxifahrer verdiene pro Monat 2800 Franken im Schnitt. Früher hab er an einem Freitag locker 600 Franken eingenommen, aber das habe sich geändert, auch wegen der Uberfahrer*innen.

Der Mann mit den langen grau-schwarzen Haaren gestikuliert wild und entschuldigt sich mehrmals für seine «Zürischnurre». «Sorry ich bin halt da im Vieri gebore und ufgwachse». Er klärt uns über verschiedenste Fehlannahmen auf: «Die Taxis dürfen nicht wischen». Was so viel heisst, wie um den Block fahren und Kund*innen aufladen. Die Taxis müssen an den dafür vorgesehenen Taxistationen warten. Und man sei keinesfalls verpflichtet, das vorderste Taxi zu nehmen. Die Stadtzürcher Taxis erkenne man an der blau-weissen aufgekleben «Fahne» auf der Guner-Leuchte. Die mit dem gelben Schild sind die Flughafentaxis. Es ist Pflicht für die Taxifahrer*innen, den Ausweis gut sichtbar im Auto zu deponieren und einen Tarifkleber anzubringen. Der Taxometer muss immer angestellt sein. «Aber he, wir sind auf dem Basar», sagt er. «Wir lassen immer mit uns handeln.»

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