Nachhaltiger Kaffee – geht das überhaupt? Eine Reise zum Ursprung des Aufputschgetränks
Die Schweiz handelt und trinkt extrem viel Kaffee. Das belastet die Umwelt. Wie war Kaffee, bevor er zum Aufputscher der Nation wurde? Zwei Schweizer suchen den Urkaffee im Herkunftsland Äthiopien.
Dieser Beitrag ist zum ersten Mal am 27. Juni 2019 erschienen. Im Rahmen einer Repost-Woche kramen wir unsere liebsten Artikel aus dem Archiv hervor.
Wann hast du deinen letzten Kaffee getrunken? Bestimmt nur wenige Stunden her, geht mir gleich. Wie kommt es, dass umweltbewusste Menschen in Bioläden regional einkaufen, an Klimademos mitmarschieren, nur um danach literweise Kaffee in sich hinein zu kippen? Ein exotisches Aufbrühgetränk, das um die halbe Welt geschifft wird. Und doch bekommt man in jedem Bergrestaurant einen Café Crème.
Vor gut einem Jahr weckte ein Zufall mein Interesse an dem beliebtesten Getränk der Schweiz. Etwas verschlafen tauchte ich an einer Journalist:innenkonferenz auf und gönnte mir einen Kaffee aus einem Automaten. Es herrschte regelrechtes Gedränge um die Maschinen. Vorstellungsrunde: Jede:r sollte drei Begriffe nennen, um sich den anderen vorzustellen. Mit Abstand am meisten genannt wurde: Kaffee.
Wo kommt diese Bohne her, welche die Welt in Schuss hält? Ein halbes Jahr später sitze ich mit dem Fotografen Marco Frauchiger in der Maschine von Ethiopian Airlines. Unsere Suche nach dem Ursprung des Kaffees beginnt in der Hauptstadt Addis Abeba. Angeblich sei die aufputschende Wirkung des Kaffees auf einer Waldlichtung in Äthiopien entdeckt worden. Diesen Ort wollen wir finden.
In Addis Abeba angekommen, touren wir durch die verschiedensten Cafés der Millionenstadt. Wir finden alte italienische Espressomaschinen, abenteuerliche Kaffee-Tee Mischungen und unzählige Schilder, die den besten Kaffee Äthiopiens versprechen. Im traditionsreichen Tomoca Coffee House trinken wir einen Macchiato für 16 Birr (50 Rappen). Ein Stammkunde beäugt uns Weisse mit Interesse. «Ich erledige nichts, bevor ich einen Kaffee von hier getrunken habe. Jetzt fliege ich», sagt er und braust kurz vor Mittag davon ins Gewusel der Metropole.
Abends sind wir mit dem Vater eines Kaffeeunternehmers aus Zürich verabredet. Teka Kebede hat lange in Zürich gelebt. «I bi i de SP gsi und habe für Radio24 Unterschriften gsammlet», erklärt uns Teka mit leichtem Akzent. Er sei der erste schwarze Taxifahrer Zürichs gewesen. Jetzt lebt er wieder in Addis Abeba und hat bis vor kurzem ein Schweizer Restaurant betrieben.
Heute hilft seinem Sohn Desta Kebede, der ins Kaffeegeschäft eingestiegen ist. «Desta’s Coffee» verkauft Äthiopischen Spezialitätenkaffee in der Schweiz. Seine Philosophie: Die Bäuer:innen sollen für ihren Kaffee so viel bekommen, dass sie sich «selber entwickeln» können. Ausserdem gibt er 20 Prozent des Gewinns an die Bevölkerung Äthiopiens zurück: Neben Tekas Haus steht eine Bäckerei, dort haben Teka und sein Sohn eine stillgelegte Bäckerei wieder aufgebaut. Jetzt werden dort Brote gebacken, die dann gratis an Schulen verteilt werden.
Das Geschäft scheint gut zu laufen, Desta verkauft inzwischen nicht mehr nur in der Schweiz. Sogar die Äthiopische Fluggesellschaft Ethiopian Airlines kauft ihren Kaffee bei Desta ein. Dafür reist der Kaffee via Rotterdam nach Luzern, wo er geröstet und verpackt wird. Über Belgien geht es dann mit dem Schiff zurück nach Äthiopien. In seinem Anwesen tischt uns Teka Schweizer Schokolade auf.
Der Äthiopische Kaffee gilt als exquisiten Arabica Kaffee. Das Land ist fünftgrösster Kaffeeproduzent, hinter Brasilien, Vietnam, Kolumbien und Indonesien. Kaffee ist mit Abstand das wichtigste Exportgut für Äthiopien.
Die Schweiz exportiert mehr Kaffee als Schoggi und Käse zusammen
Verschiedene Quellen gehen davon aus, dass etwa zwei Drittel des weltweit produzierten Kaffees über die Schweiz gehandelt wird. Wir sind das Kaffeeland schlechthin: In der Schweiz wurde das Kapselsystem erfunden und auch beim durchschnittlichen Konsum liegen wir mit 1110 Tassen pro Kopf und Jahr an weltweit dritter Stelle – nur die Deutschen und Norweger trinken noch mehr. Wohl kein Zufall also, dass es in Äthiopien, dem Geburtsland des Kaffees mehrere Schweizer Projekte gibt, die Kaffee in die Schweiz importieren.
Auch der Kaffeeriese Nespresso von Nestlé betreibt Plantagen, die angeblich besonders umweltfreundlich sein sollen, das sogenannte «AAA Sustainable Quality Program». Ob wir so eine Plantage besuchen können, fragte ich bei Nestlé an. «Wir können Ihnen momentan leider keinen Besuch bei unserem Programm organisieren», so die Antwort des Riesenkonzerns. Wir beschränken uns also auf die kleineren Schweizer Kaffeeprojekte in Äthiopien.
In einer Flugstunde von Addis Abeba erreichen wir die Kaffeeregion Jimma. Auf der Strasse trifft man Lastwagen, die mit Kaffeesäcken gefüllt sind. Die Fahrt wird immer holpriger. Entlang der Strasse wird Kaffee getrunken, abseits der Strasse wird er angebaut. Wir sind mit einer Kaffee-Reisegruppe unterwegs. Nach über 10 Jahren als aktiver Kaffeetrinker sollte ich gleich das erste Mal einen Kaffeebaum sehen! Milchkühe hingegen kannte ich lange vor meinem ersten Cappuccino.
Kaffeekapsel trifft auf Kaffeebäuerin
Wir besuchen die Kooperative Qottaa, hier wird Kaffee produziert, der in der Schweiz verkauft wird. Es ist ein Zusammenschluss von gut 350 Kaffeebauern-Familien. Semira Miteku pflückt die roten Kaffeebeeren sorgfältig und legt sie in einen geflochtenen Korb. Sie ist eine der vielen Bäuerinnen der Kooperative. Anders als auf symmetrisch angelegten Plantagen wachsen die Sträucher wild durcheinander in einem lichten Wald am Hang. Keine künstliche Bewässerung, keine Düngung. Hin und wieder werden junge Sträucher in den Wald gepflanzt.
Vor drei Jahren kam Michaël Tuill auf die Idee für ein soziales Kaffee Startup «Direct Coffee». Ihren Kaffee kaufen sie direkt bei der Kooperativen. So findet kein Zwischenhandel statt, die Bäuer:innen bekommen mehr Geld für ihre Ernte. Von jeder verkauften Packung Kaffee spendet Tuill einen Teil des Erlöses an Entwurmungen, Mahlzeiten an Schulen und Lesebrillen für die Bauernfamilien.
Tuill hat der Bäuerin Semira Miteku und ihren Kolleginnen etwas mitgebracht. Er zieht eine Kaffeekapsel aus der Tasche. «Wisst ihr, was das ist?» Die Bäuerinnen begutachten die kompostierbare Kapsel aus der Schweiz skeptisch. «Da ist eurer Kaffee drin», erklärt Tuill. Keine Reaktion, ich habe den Eindruck, dass die Pflückerinnen trotzt Erklärung nicht verstehen, was ihr Kaffee in dieser Kapsel verloren hat. Kaffeekapseln kommen wie aus einer anderen Welt.
Anfangs hat sich Tuill gegen die Kapsel gesträubt. Als er aber eine kompostierbare Version fand, sprang er auf. Zu stark war die Nachfrage. «Mit der Kapsel kann ich auch eine gute und gleichbleibende Trinkqualität garantieren», so Tuill. Denn auch im Kaffeeland Schweiz sind nicht alle geborene Baristas.
Eine Tasse Kaffee braucht im Schnitt 140 Liter Wasser
Die Produktion von Kaffee braucht viel Wasser. Eine Studie geht davon aus, dass pro Kaffeetasse 140 Liter Wasser benötigt werden, von Bewässerung über Verarbeitung, Transport und Zubereitung. Damit ist Kaffee nach Kakao das zweit wasserintensivste Lebensmittel überhaupt. Wegen dem Klimawandel wird der Wasserverbrauch für Kaffee weiter steigen: Plantagen etwa in Kolumbien etwa müssen schon heute stark bewässert werden, damit weiterhin brauchbare Bohnen wachsen.
Mit Geissen auf Koffein begann der Kaffeewahn
Die roten Kaffeekirschen leuchten zwischen den sattgrünen, glänzenden Blättern hervor, während wir durch den Busch wandern. Plötzlich stehen wir auf einer Waldlichtung. Kaldi, ein Geisshirte, soll hier, in diesem Waldstück um das Jahr 850 den Kaffee entdeckt haben. Der Legende nach liess er auf dieser Lichtung seine Geissen zwischen Kaffeebäumen weiden. Die Tiere frassen die roten Früchte und tanzten danach bis in die Nacht hinein wild herum. Ihre aussergewöhnliche Schlaflosigkeit machte Kaldi stutzig.
Der Hirte kostete selbst von den Kaffeekirschen und erlebte die aufputschende Wirkung. Kaldi berichtete Mönchen in einem Kloster von seiner Entdeckung. Die Mönche glaubten, die aufputschende Wirkung sei teuflisch und liessen die Kirschen verbrennen. Auf diese Weise stieg erstmals der feine Geruch von geröstetem Kaffee auf.
Auch Jungunternehmer Michaël Tuill erzählt die Legende von Kaldi: «Die Kund:innen hören die Geschichte gerne». Was ihm jedoch viel wichtiger ist: «Der Kaffee wächst hier in seinem natürlichen Ökosystem», das sei entscheidend für den Geschmack. «Weil Äthiopien der Ursprungsort des Kaffees ist, sind die Bohnen hier komplexer, sie haben eine blumige und fruchtige Note.»
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Arabica Kaffee aus den Wäldern Äthiopiens stammt. Auch heute noch wird hier Kaffee direkt von wilden Kaffeesträuchern aus dem Urwald geerntet. Die Region Kaffa produziert diesen sogenannten «Wildkaffee». Marco der Fotograf und ich verlassen die Kaffeereisegruppe und machen uns auf den Weg in den Kaffeeurwald.
Kaffee aus dem Urwald
Wir fahren durch hügelige Nebelwälder in die Region Kaffa, die zu den UNESCO-Biosphärenreservaten gehört. Ein Kaffeebauer zeigt uns den «Mother Coffee Tree», er gilt als ältester Kaffeebaum Äthiopiens, so sagt man sich das hier in der Region. Es ist ein hoher, moosbewachsener, knorriger Baum im Urwald. Die Kaffeebäuer:innen leben hier ziemlich abgeschieden.
Im Dorf Ufa rennen die Kinder weinend davon, als sie uns Weisse erblicken. Mit den Dorfältesten, vier Männern, machen wir uns auf in den Urwald hinein. Hier stehen einzelne Kaffeesträucher unter meterhohen Bäumen im Schatten. Die Dorfältesten zeigen uns, wo die besten Bohnen wachsen, ganz ohne menschliches Zutun. Diese fände man, wenn man zwei Stunden in den Urwald hineingehe. Nach einer langen Reise sollen auch diese Bohnen in der Schweiz landen. «Original Food» aus Kriens im Kanton Luzern importiert den wild gewachsenen Kaffee.
Organisiert ist man auch hier in Kooperativen. In Bonga, dem Zentrum der Region, liegt die Kaffa Forest Coffee Farmers Cooperative Union, ein Zusammenschluss von 48 Kooperativen. Frehiwet Getahun ist der Manager der Union. Er führt uns gemächlich durch die grossen Lagerhallen. Frauen sitzen im Schatten und sortieren die getrockneten Kaffeebohnen, jede einzeln von Hand. Männer hieven die Säcke auf die Schultern und stapeln sie in meterhohen Türmen in den Hallen.
Die Bäuer:innen der 48 Kooperativen produzieren jährlich rund 500 Tonnen Kaffeebohnen. Das Potenzial sei jedoch um ein Vielfaches grösser, meint Getahun. Er schätzt, dass der Kaffa Urwald mehrere tausend Tonnen Kaffee hergeben könnte. Doch dazu fehlen Lagerräume, Wissen und vor allem Geld. Doch es ist schon einiges passiert in den Letzten Jahren. Bei der Gründung der Union 2004 waren es noch 4000 Bauern, heute sind es 13 000. Seither können die Bäuer:innen den Wildkaffee zu besseren Konditionen verkaufen. Das wiederum schützt den Nebelwald, da dieser die als Quelle des Wildkaffees an Wert gewann. Zuvor ist es oft zu Rodungen gekommen.
Auch die Zertifizierung spielt dabei eine grosse Rolle. Etwas weniger als Hälfte der Kooperativen besitzen ein Bio-Zertifikat. «Hier ist jeder Kaffee biologisch», sagt Getahun. Die Bauern pflücken den Kaffee ohne ihn zu bearbeiten aus dem Urwald. Doch ein in Europa gültiges Bio- oder Fair-Trade-Siegel zu bekommen, ist schwierig. «Die Farmen sind so abgelegen, da kommen die Zertifizierer:innen kaum hin», erklärt Getahun. Zudem sei der Preis für die Zertifikate oft zu hoch.
Doch gerade etwa für den Kaffee, der in der Schweiz getrunken wird, sind Zertifikate immer wichtiger. Das Bundesamt für Umwelt schätzt, dass bald 70 Prozent des in der Schweiz gebrühten Kaffees ein Nachhaltigkeitszertifikat besitzt. Auch weltweit steigt der Bedarf nach ausgewiesenem biologischem Anbau.
Schon geschafft hat dies der Wildkaffee von «Original Food». Er ist Fairtrade und Bio zertifiziert. Doch auch dieses Schweizer Projekt will sich nicht auf guten Kaffee beschränken. Hinter der Lagerhalle liegt ein riesiger Haufen getrockneter Schalen der Kaffeebohnen – bis anhin ein Abfallprodukt. Hier aber wird die Kaffeehülle durch Schwelbrand zu Briketts verarbeitet, ein willkommener Nebenverdienst für die Bewohner:innen Bongas, wo die Union angesiedelt ist. Die Luzernerin Maria Müller von «Original Food» hat das Projekt angestossen und Geld dafür bereitgestellt. Es soll den Produzierenden ihr Einkommen aufzubessern. Und Kaffee-Kohle soll die Umwelt schonen, da ein rasch nachwachsender Rohstoff verbrannt wird.
Kaffeetrinken ohne Maschine
In einem provisorischen, löchrigen Zelt am Strassenrand trinken wir ihn dann, den besten Kaffee unserer Reise. Wir sitzen auf einem Holzbänklein und bestellen das einzige, was es hier gibt: Kaffee. Alle trinken hier den «Buna», wie sie ihren Kaffee liebevoll nennen. Dessen Zubereitung ist in Frauenhand – man ist stolz auf die eigene Rezeptur – alle wollen uns auf eine Kaffeezeremonie einladen.
Die olivgrünen getrockneten Kaffeebohnen werden in einer Pfanne über das Feuer gehalten, wo sie langsam eine braune Farbe annehmen. Das Öl tritt an die Oberfläche, die Bohnen beginnen zu glänzen. Der Röstgeruch vermischt sich mit dem Duft von Weihrauch, der dazu verbrannt wird. «Knack» – die erste Bohne hat ihr Häutchen gesprengt. Die Rösterin weiss, jetzt kommt es auf jede Bewegung an. Gleichmässig mischt sie die immer dunkler werdenden Bohnen, die zu dampfen beginnen. Nach etwa einer Stunde brodelt der frische, schwarze Kaffee in der Kanne auf dem Feuer. Rösten, mahlen, kochen und geniessen, das alles passiert am gleichen Ort. Die Tassen stehen auf einem kleinen Tisch und sind mit Blumen geschmückt. Fast wie ein Altar sieht das aus.
Während ich vor einer Lehmhütte meinen Kaffee schlürfe, versuche ich mir den ökologischen Fussabdruck des Kaffees in meiner Tasse vorzustellen. Hier ist der Kaffee ein Getränk jenseits von Rohstoffhändler:innen, Transportschiffen, Pestiziden, Röstereien und Einwegbechern mit Plastikdeckeln.
Tipps für nachhaltigen Kaffeekonsum:
- Trink Kaffee mit Zertifikaten.
- Kaufe von kleinen Labeln mit Direkthandel.
- Trinke weniger Kaffee, dafür besseren.
- Achte darauf: Trinkst du aus Genuss oder Gewohnheit?
- Mahle die Bohnen nach Möglichkeit selber, das schafft Bezug zum Rohstoff.
Die Reise für diese Reportage wurde vom Medienfonds «real21 – die Welt verstehen» finanziert. Der Zürcher Journalist Conradin Zellweger und der Berner Fotograf Marco Frauchiger reisten in der Erntesaison zwei Wochen durch Äthiopien.
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