Quartierkiosk Sindi Markt muss schliessen - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Noëmi Laux

Redaktorin

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6. April 2023 um 04:00

Aus für den Sindi Markt: Zürich ist einen Quartierkiosk ärmer

Der Sindi Markt an der Josefstrasse gilt als beliebter Treffpunkt in der Stadt. Doch der Kiosk wird den Kreis 5 per Ende Juni verlassen müssen: Die Eigentümerin verlängert den befristeten Vertrag nach 15 Jahren nicht mehr. Die Kiosk-Inhaber:innen bringt dieser Entscheid in eine existenzielle Notlage.

Sutharsan Shanmugaratnam muss seinen Kiosk nach 15 Jahren schliessen.

Stehen vor dem Aus: Sutharsan Shanmugaratnam und seine Frau müssen ihren Kiosk nach 15 Jahren schliessen. (Foto: Noëmi Laux)

Der Sindi Markt an der Josefwiese ist mehr als ein Kiosk: Er ist ein Quartiertreffpunkt, ein Ort, an dem man abends zusammenkommt, sich austauscht, ein Bier trinkt und Samosas isst. 15 Jahre lang haben Bamathy Sutharsan und Sutharsan Shanmugaratnam, die den Sindi Market gegründet und geführt haben, den Ort an der Josefswiese mitgestaltet und geprägt. Viele Kund:innen kennen sie beim Namen. Viele, die als Kind schon herkamen und Chupa Chups kauften, kommen noch immer regelmässig «nur, dass sie sich heute ein Bier aus dem Kühlschrank holen», erinnert sich Shanmugaratnam zurück.

Im Sommer letzten Jahres besuchten und porträtierten wir den Sindi Markt. Damals sagte Shanmugaratnams Frau, Bamathy Sutharsan gegenüber Tsüri.ch, sie werden den Laden weiterführen, bis sie gesundheitlich nicht mehr könnten. Ein Grund dafür sei, dass ihre Rente niedrig ausfallen werde, ein anderer, dass das Geschäft gut laufe.

Bamathy Sutharsan letzten Sommer: Damals sagte sie, den Laden wollten sie führen, bis sie nicht mehr können. (Foto: Alice Britschgi)

Doch nun ist klar: Der Sindi Markt an der Josefwiese muss per Ende Juni einem Secondhand-Shop weichen. «Die Nachricht, dass wir raus müssen, kam völlig unerwartet und traf uns wie ein Schlag ins Gesicht», erzählt Sutharsan Shanmugaratnam; nicht nur emotional, sondern vor allem auch finanziell. Wie so viele andere Geschäfte litt auch ihr Laden unter den Folgen der Pandemie und zwang die Inhaber:innen, einen Kredit von mehreren Tausend Franken aufzunehmen. Das war im Frühling letzten Jahres, wenige Monate bevor die Nachricht kam, dass sie raus müssten. «Der Laden lief gut. Wir konnten uns nach der Pandemie finanziell schnell wieder erholen und rechneten damit, den Kredit spätestens in fünf Jahren abbezahlt zu haben.»

Die Liegenschaft gehört der City Real Estate AG mit Sitz an der Zürcher Goldküste. Deren Geschäftsführerin sei persönlich vorbeigekommen, um die Nachricht zu übermitteln: Nach 15 Jahren würde der Vertrag, der jeweils über fünf Jahre befristet lief, nicht mehr verlängert werden. Sie wollte Ruhe, teilte sie laut Aussagen der beiden Betreiber:innen mit. Ob das Ende des Kiosks Ruhe fürs Quartier bringt, sei dahingestellt. Das Geschäft grenzt direkt an die beliebte Josefswiese.

«Sie hatte uns auf dem Kieker.»

Sutharsan Shanmugaratnam, betreibt gemeinsam mit seiner Frau seit 15 Jahren den Sindi Markt

Shanmugaratnam erzählt, dass sich in den letzten Monaten immer mehr abgezeichnet habe, dass die Inhaberin der Liegenschaft den Kiosk weghaben wolle. «Sie hatte uns auf dem Kieker.» Das bestätigt auch ein Stammgast, der gerade den Laden betritt und sich aus dem Kühlschrank ein Softgetränk holt. An der Kasse kommen wir ins Gespräch. Der Nachbar, 25-jährig, möchte nicht namentlich genannt werden, erzählt, dass er hier aufgewachsen sei und den Sindi Markt kenne, seit er klein ist. «Wir begrüssen uns alle beim Namen, der Laden gehört ins Quartier wie kein anderer.» Fast jeden Tag würde er sich vor dem Laden nach Feierabend mit Freund:innen treffen. Er erzählt, dass die Inhaberin der Liegenschaft in letzter Zeit immer öfter aufgetaucht sei, ihn und seine Freund:innen aufgefordert habe, zu gehen. Zudem habe sie immer wieder gefragt, was sie hier eigentlich wollten. Die Antwort: «Wir wohnen hier.» Nach einem kurzen Schwatz verabschiedet sich der Stammgast und Sutharsan Shanmugaratnam und ich sind wieder allein.

Shanmugaratnam steht hinter dem Tresen, vor ihm ein dicker Ordner: Er blättert durch einen Stapel Dokumente, gibt bereitwillig Einsicht in Verträge, Briefwechsel der letzten zehn Jahre zwischen ihm und der Hausverwaltung, Mahnungen und Kontoauszüge. Er zeigt auch eine WhatsApp Nachricht, die er kurz vor der Nicht-Verlängerung des Mietvertrags von der Inhaberin erhalten hat. Sie schickte ihm ein Foto des Hauseingangs direkt neben dem Laden. Auf dem Briefkasten steht eine Eistee-Flasche, auf dem Boden liegt eine leere Zigarettenschachtel und anderer Abfall. Auf das Bild folgt die Nachricht: «!!! Ihre Leute» 

Shanmugaratnam antwortete umgehend: In einer langen Nachricht räumt er ein, dass der Abfall nicht zwingend und ausschliesslich mit seinem Geschäft zusammenhänge, «so würden junge Leute am Freitagabend nunmal Schutz suchen vor dem Regen». Er sei aber gerne bereit, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, am besten bei einem persönlichen Gespräch. Eine Antwort auf seine Nachricht bekommt er nie; dafür wenige Wochen später die besagte Nachricht, dass der Vertrag nicht verlängert werden würde.

Mehrere Schreiben bleiben unbeantwortet

Am 10. Oktober, kurz nach Eingang der Hiobsbotschaft, schreibt ein Stammkunde und Freund der Familie Surtasan-Shanmugaratnams der Verwaltung einen langen Brief, der Tsüri.ch vorliegt. Darin macht er darauf aufmerksam, dass der Sindi Markt tief verwurzelt sei im Quartier, dass er die Bestrebungen, Ruhe ins Quartier zu bringen, nachvollziehen könne, dies aber durch die Schliessung des Ladens nicht zwingend erreicht werde. So «ist die Ecke Josef-/Ottostrasse vor allem im Sommer ein Quartier-Hotspot. Ein grosser Teil der Gäste der Josefwiese wie auch die Quartierbewohner geniessen das belebte Stadtquartier. Das hinterlässt Spuren», heisst es im Brief. 

Der Sindi Markt an der Josefstrasse muss per Ende Juni einem Secondhand-Geschäft weichen. (Foto: Alice Britschgi)

Weiter nennt der Absender konkrete Vorschläge, um die angespannte Situation zu verbessern: Er schlägt vor, die Öffnungszeiten des Ladens auf 23 Uhr zu beschränken, um dem Lärm entgegenzuwirken. Zudem könnten im Aussenbereich Abfalleimer platziert werden, die vom Kiosk bewirtschaftet werden. Als dritten Punkt bittet er, den Mietvertrag um sechs Monate, also bis zum 31. November 2023, zu verlängern. «Mit diesem Entgegenkommen würden Sie die Existenzgrundlage der Familie sichern», heisst es an dieser Stelle. Diese zusätzliche Zeit bräuchten Shanmugaratnam-Sutharsan, um ihr Lager und den Laden zu räumen und sich neu zu orientieren.

Auch auf dieses Schreiben kommt keine Antwort. Dafür flattert knappe drei Wochen später ein Brief der Schlichtungsbehörde Zürich in den Briefkasten der Laden-Inhaber:innen. Die Eigentümerschaft klagt gegen Bamathy Sutharsan und Sutharsan Shanmugaratnam. In der Anklage, die der Redaktion vorliegt, heisst es: «Es sei festzustellen, dass die Mieter das Mietobjekt per 31.05.2023 definitiv zu verlassen haben und die Mietobjekte in vertragsgemässem Zustand per genanntem Datum zurückzugeben sind.» In der Begründung steht: «Die Mieter haben uns mitgeteilt, dass sie die Gewerberäume nicht gemäss im Mietvertrag vereinbartem Datum verlassen wollen.» Der Fall kommt vor die Schlichtungsbehörde, im Urteil wird den Angeklagten eingeräumt, dass sie einen Monat länger im Laden bleiben dürften. Statt zum 31. Mai muss der Sindi Markt demnach erst Ende Juni dichtmachen.

Eine aussichtslose Lage

Für Sutharsan Shanmugaratnam ist das kein wirklicher Trost. Wie es danach für das Paar weitergeht, ist unklar. Shanmugaratnam zieht in Erwägung, wieder in  seinen alten Job in der Pflege zurückzukehren, was für den 55-Jährigen aber schwierig werden könnte, wie er darlegt: Einerseits wegen seines Alters, aber auch, weil er so viele Jahre nicht mehr in dem Beruf gearbeitet habe. Offen ist auch, was mit dem restlichen Inventar aus dem Laden passieren soll. «Erstmal zu uns nach Hause», entgegnet Shanmugaratnam und zuckt mit den Schultern. Er wirkt müde und verzweifelt. «15 Jahre lang hatten wir jeden Tag geöffnet, der Laden war unser Leben. Meine Frau und ich sind jeden Tag gern hierher gekommen und jetzt habe ich gar keine Lust mehr, den Laden morgens aufzuschliessen. Ich kann nicht mehr.» 

Die City Real Estate AG wollte auf Anfrage keine Stellung nehmen. Weder bekamen wir eine Antwort auf die Frage, weshalb die Eigentümerin gegen die Kioskbesitzer:innen vor die Zürcher Schlichtungsbehörden zog, noch erklärte man sich bereit, ihre Sicht der Dinge darzulegen.

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