Neues Jahr, viel zu schnell!

Wie schafft man es, das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen, ohne die Hoffnung zu verlieren? Unsere Kolumnistin Jane Mumford hat da ihren ganz eigenen Weg gefunden: Sie verarbeitet ihre Gefühle auf der Bühne.

Theater roter Vorhang
Vorhang auf für die Hoffnung. (Bild: Unsplash / Rob Laughter)

Jeder 1. Januar ist ein Lügner. Er lässt mich glauben, ich hätte noch alle Zeit der Welt, um mich zu erholen von den letzten 365 Tagen: Nichts ist los, die Strassen sind leergefegt, sogar die Vögel haben sich dieses Mal scheinbar entschieden, eine Zwitscherpause einzulegen. Aber kaum ein Mal gähnen und blinzeln und zack sitze ich wieder morgens in einer S-Bahn. Mit dem mulmigen Gefühl, irgendwo, irgendwas vergessen zu haben. 

Am 2. Januar sind wir Jahresrückblicks-Satiriker:innen schon wieder mittendrin in der Arbeit. Viel zu schnell, wenn ihr mich fragt. Aber es muss sein!

Wir sind ein grosses Team an Kabarettist:innen, Musiker:innen, Puppenspieler:innen und Slampoet:innen, die zusammen in einer intensiven Woche Probezeit ein neues Stück in die Welt katapultieren, welches das gesamte letzte Jahr (!) zusammenfassen soll.

Der Tag der Premiere kommt immer näher; bis dann müssen wir alles, was in Politik, Sport, Gesellschaft und Umwelt passiert ist, zu Szenen verstrickt haben, die auch mal lustig sein dürfen und nicht nur deprimierend.

Zwischendurch frage ich mich: Was ist das für ein merkwürdiger Job? Warum müssen wir – nachdem alles Schlimme, Verstörende und Aneckende, das ein Jahr einem geboten hat und endlich vorbei ist – alles nochmals zusammenkratzen und einem Publikum präsentieren? Und was für Menschen zahlen Geld dafür, um sich so ein Jahr nochmals um die Ohren hauen zu lassen?! 

Meine These: Verarbeitung.

Täglich rasen die guten und schlechten Nachrichten in einem Tempo an uns vorbei, das jede Skislalom-Abfahrt «schneckig» wirken lässt. Manchmal streift uns eine Nachricht so schnell, dass wir sie kaum richtig aufnehmen und verarbeiten können, aber Spuren hinterlässt sie trotzdem.

«Mit Hoffnung sind wir (hoffentlich) nie ganz verloren, sondern lediglich überfordert.» 

Jane Mumford

Wenn es eine schlechte Nachricht war, sind die Spuren vielleicht ein generelles Gefühl der Angst und Unsicherheit. Bei einer guten ist es vielleicht eher eine Nervosität oder die Ungeduld, in der wir unsere viel zu vollen Terminkalender spüren, die uns keinen Moment des Innehaltens und der Dankbarkeit erlauben. 

Also ist so eine Jahresrückblick-Show vielleicht einfach eine Möglichkeit, die Dinge «revue» passieren zu lassen. In einer echten Revue. In aller Ruhe. Eine Möglichkeit, nicht wie sonst immer alleine im Bett zu liegen und vor lauter Doomscrolling die Hoffnung zu verlieren, sondern zusammen in einem vollen Saal die schlimmen und schönen Themen nochmals anzuschauen, sie mit einem Lachen oder einem «Buuuuh!» zu kommentieren, und sie dann gemeinsam wieder wegzulegen und in die Zukunft blicken zu können.

Im Wissen, dass wir nicht alleine sind in dieser permanenten Verarbeitung der viel-zu-schnellen Dinge. Und darum muss auch ab und zu gelacht werden, trotz der «Bad News». Denn ohne gemeinsames Lachen keine Hoffnung. Und ohne Hoffnung sind wir verloren. Mit Hoffnung sind wir (hoffentlich) nie ganz verloren, sondern lediglich überfordert. 

Apropos überfordert: Ich muss noch Texte auswendig lernen, eine Choreo üben und ein Kostüm besorgen. Wir hören uns im Februar! «GUETS NOIS!»

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