Migros-Pensionskasse

Immobilienchef von Pensionskasse: «Es gibt kein Recht, in Zürich zu wohnen»

Die Migros-Pensionskasse hält über 1000 Wohnungen in Zürich. Immobilienleiter Reto Schär erklärt im Gespräch, wie die Mietpreise entstehen, welche Rolle Markt und Recht spielen – und wo die Grenzen sozialer Verantwortung liegen.

Reto Schär, Migros-Pensionskasse
«Unsere Aufgabe gemäss Bundesverfassung ist es, im Interesse der Versicherten zu handeln und ihnen so zusammen mit der AHV eine Rente auszuzahlen», sagt Reto Schär im Interview. (Bild: Simon Jacoby)

In Zürich gehören rund 30 Prozent des professionellen Immobilienmarktes institutionellen Investoren wie Versicherungen, Immobilienfonds oder Pensionskassen. Diese sind damit wichtige Eigentümer auf dem Wohnungsmarkt. Eine davon ist die Migros-Pensionskasse (MPK), die schweizweit über 14'500 Wohnungen hält, davon gut 1'000 in der Stadt Zürich. 

Wie die MPK ihre Immobilienstrategie ausrichtet und wo ihre Schwerpunkte liegen, erklärt der Leiter Immobilien Schweiz, Reto Schär, im Gespräch.

Herr Schär, sind Sie Mieter oder Eigentümer in Ihrem Zuhause?

Ich wohne im Thurgau in einem Einfamilienhaus, das mir gehört, und pendle jeden Tag mit dem Zug nach Schlieren. Das geht ohne umzusteigen und ich stehe nicht im Stau – die Bahn rollt. 

Für wen schaffen Sie mit der Migros-Pensionskasse Wohnraum? Wer ist die Zielgruppe?

Wir schaffen Wohnungen für verschiedene Zielgruppen in unterschiedlichen Einkommensklassen. Mitarbeitende von Migros-Unternehmen oder Pensionierte der Migros-Pensionskasse haben bei der Wohnungsvergabe ein Vorrecht, wenn sie sich bewerben. Wir bieten ein breites Spektrum von Wohnungen an, konzentrieren uns aber stark auf das mittlere Segment. Luxuriöse Objekte haben wir nur wenige. Am Zürichberg sind die Mieten natürlich automatisch höher, dort ist auch der Landpreis teurer. 

«Wenn wir Wohnungen unter Marktwert vermieten würden, müssten unsere Versicherten die Mieter:innen quersubventionieren.»

Reto Schär

Eine Stichprobe auf der Webseite zeigt, dass Ihre Wohnungen in Zürich nicht gerade günstig sind – rund 1000 Franken pro Zimmer.

Grundsätzlich gibt es einen grossen Preisunterschied von Wohnungen in Neubauten verglichen mit älteren Wohnungen in der Wiedervermietung. Wir orientieren uns in beiden Fällen an den periodisch überprüften internen Zielmieten, also dem Marktpreis. Aber wir versuchen nicht, die Zitrone bis zum letzten Tropfen auszupressen. Unser Mietpreismodell haben wir gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Wüest Partner entwickelt. Als Indikator achten wir darauf, dass wir immer noch 20–30 Bewerbungen pro Wohnung erhalten – das zeigt uns, dass der Preis im Rahmen ist. Wären es nur zwei Bewerbungen, wüssten wir, dass wir zu hoch liegen.

Also Mieten nach Marktlogik – aber das Mietrecht setzt ja Grenzen, etwa bei der zulässigen Rendite?

Wir halten uns selbstverständlich an das Mietrecht. Es gibt klare Regeln, zum Beispiel, dass eine Miete nicht missbräuchlich ist, wenn sie im Rahmen der Orts- und Quartierüblichkeit liegt oder keine überhöhte Rendite abwirft. Gerade bei älteren Liegenschaften ist die Berechnung oft sehr komplex, da fehlen buchhalterisch die Grundlagen. Daher orientieren wir uns vor allem an der Orts- und Quartierüblichkeit.

Könnten Sie die Wohnungen angesichts der Wohnkrise auch günstiger anbieten?

Unsere Aufgabe gemäss Bundesverfassung ist es, im Interesse der Versicherten zu handeln und ihnen so zusammen mit der AHV eine Rente auszuzahlen, welche die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung ermöglicht. Wenn wir Wohnungen unter Marktwert vermieten würden, müssten unsere Versicherten die Mieter:innen quersubventionieren. Das wäre eine ungerechtfertigte Bevorzugung einzelner. Das ist nicht unser Auftrag.

Der Wohnungsmarkt ist angespannt – vor allem in Städten wie Zürich. Haben Sie eine soziale Verantwortung?

Selbstverständlich! Die berufliche Vorsorge ist eine Sozialversicherung und somit haben wir schon im Namen eine soziale Verantwortung. Unsere Verantwortung liegt darin, dass wir korrekt und gesetzeskonform vermieten – zudem bemühen wir uns, zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Die steigende Nachfrage nach Wohnungen kann nur gedeckt werden, wenn mehr gebaut wird. Deshalb versuchen wir, unsere Grundstücke gezielt zu entwickeln und zu verdichten. Wir haben etwa 30 bis 40 Liegenschaften in laufender Entwicklung. Aber die Verfahren sind in den letzten Jahren mit zusätzlichen Vorschriften extrem langwierig geworden: Richtpläne, Gestaltungspläne, Lärmgutachten, Einsprachen von Nachbarn – das kann Jahre dauern.

Was ist Ihrer Meinung nach heute das grösste Hindernis beim Wohnbau?

In den letzten 30 Jahren konnten in der Schweiz rund 50’000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden – grösstenteils auf der grünen Wiese, auf Baulandreserven. Diese Flächen versiegen aber zusehends. Die nationale Raumplanung sieht deshalb nun vor, dass wir nach innen verdichten, also in bereits bebauten Gebieten. Das Potenzial wäre da: Wenn man beispielsweise in der Stadt Zürich jedes Gebäude einfach um ein Stockwerk aufstocken würde, hätte das eine enorme Wirkung und es wären deutlich mehr Wohnungen möglich. Aber in der Praxis ist das – gerade in der Stadt Zürich – unglaublich schwierig umzusetzen. Grundsätzlich sind viele für Verdichtung, aber eben nicht im eigenen Quartier. 

Wenn man nach innen verdichtet, kommt es immer wieder auch zu Leerkündigungen und alle Mieter:innen verlieren ihr Zuhause. Wie stehen Sie dazu?

Leerkündigungen sind auch für unsere Bewirtschafter:innen nicht einfach und stets mit erheblichem Mehraufwand verbunden. Manchmal ist eine Leerkündigung aber unumgänglich, weil die Eingriffe so tief sind, dass ein Verbleib in der Wohnung nicht möglich ist. Beispiele sind Abbruch und Neubau der Liegenschaft aufgrund energetisch schlechter Bausubstanz, Totalsanierungen mit Veränderungen im Grundriss der Wohnungen oder die Beseitigung von Altlasten wie Asbest im Rahmen einer Sanierung. 

Und helfen Sie dann der bestehenden Mieterschaft, Alternativen zu finden?

Ja, wenn immer möglich unterstützen wir unsere Mieter:innen auf verschiedene Arten. Wir hatten gerade kürzlich ein Umbauprojekt in Bassersdorf: Aufgrund der Totalsanierung mussten wir die ganze Liegenschaft entmieten. Da die Sanierung in drei Etappen erfolgt, konnten wir den Mieter:innen der zweiten und dritten Etappe sanierte Wohnungen aus der ersten Etappe anbieten. Aber wir haben den Mieter:innen bei Bedarf auch geholfen, eine neue Lösung in der näheren Umgebung zu finden. Entweder über freie Wohnungen in unserem eigenen Bestand, oder zusammen mit anderen Eigentümer:innen. Einige Mieter:innen konnten so in der Überbauung verbleiben. Es gibt aber auch jene, die sich die höheren Mieten nach dem Umbau nicht mehr leisten können. 

«Es gibt kein Recht, in der Stadt Zürich zu wohnen.»

Reto Schär

Was löst es bei Ihnen aus, wenn Leute wegen einer Totalsanierung ihr Zuhause verlieren?

Es tut unseren Bewirtschafter:innen schon weh, wenn beispielsweise eine 84-jährige Frau ausziehen muss, mit welcher ein Mietverhältnis über Jahre oder sogar Jahrzehnte bestand. Je mehr man die Mieter:innen persönlich kennt, desto näher geht es einem. 

Führt es dazu, dass Sie weniger aggressiv auf Leerkündigungen setzen?

Wir versuchen, möglichst fair zu sein und geben den Mieter:innen immer zwei Jahre Zeit, wenn sie wegen einer Sanierung ausziehen müssen. Die Leute sollen genug Zeit haben, eine Alternative zu finden. Dies ist natürlich schwierig, wenn man zum Beispiel in Zürich wohnt. Aber vielleicht muss man dann ausweichen und den Suchradius erweitern – von Winterthur bis Frauenfeld und Schaffhausen bis Aarau. Mit der S-Bahn ist man immer noch gut an Zürich angeschlossen. Es braucht am Schluss einfach mehr Flexibilität von allen. Auch von den Mieter:innen. Es gibt kein Recht, in der Stadt Zürich zu wohnen.

Finden Sie es grundsätzlich richtig, dass Pensionskassen so stark in Immobilien investieren und mit Wohnraum Gewinne machen?

Für Pensionskassen sind gerade Immobilien in der Schweiz, welche dank der Mietzinseinnahmen regelmässige Cash-Flows aufweisen, neben Anlagen in Aktien und Obligationen eine ideale Anlageklasse, um die Rentenverpflichtungen zu bedienen. Deshalb hat die MPK auch rund 24 Prozent des Vermögens in Immobilien in der Schweiz investiert. Es geht uns nämlich nicht darum, mit wildem Kauf und Verkauf von Immobilien Gewinne zu machen, sondern wir halten die Immobilien über Jahrzehnte. Wir sind nicht an einem überhitzten Markt interessiert. Es geht um die regelmässigen Zahlungsströme, welche uns helfen, die Renten auszahlen zu können.

Sie verlangen auch Marktmieten und profitieren von steigenden Marktpreisen.

Ja, die bei der MPK versicherten Migros-Mitarbeitenden profitieren von diesen Erträgen auf ihrem Vorsorgevermögen. Wir haben wie gesagt den klaren Auftrag, die Renten unserer Versicherten sicherzustellen. 

Bei Pensionskassen findet eine Umverteilung von unten nach oben statt: Denn auch Geringverdienende, die vielleicht nicht einer Pensionskasse angeschlossen sind, finanzieren die Renten der anderen. Und: Gutverdienende leben im Eigentum, während die anderen ihnen die Rente finanzieren. Wie finden Sie das?

Das scheint mir eine sehr plakative Pauschalaussage zu sein, welche so sicher nicht stimmt. Die Leistungen der MPK werden im Kapitaldeckungsverfahren finanziert: Sparbeiträge von Mitarbeitenden und Arbeitgebende der Migros werden über die MPK in Aktien, Obligationen und auch Immobilien investiert. Das so über oft 40 Jahre gebildete Altersguthaben dient bei Pensionierung der Finanzierung der Altersrenten. Alle versicherten Mitarbeitenden der Migros profitieren also von den Vermögenserträgen. Dazu kommt, dass unsere Mieter:innen aus allen Einkommensschichten kommen – vom Detailhandelsangestellten bis zur Bankdirektorin. Es gibt in diesem Sinne keine Umverteilung von unten nach oben! 

Wo müsste die Politik ansetzen, damit die Mieten sinken?

Es braucht sowohl für institutionelle Anleger als auch für die übrigen privaten Immobilienbesitzer:innen dringend Anreize, damit mehr Wohnungen gebaut werden. Leider kann die Politik auf Bundesebene nicht viel ausrichten, weil die Umsetzung der Raumplanung bei den einzelnen Gemeinden liegt. Es muss attraktiver und einfacher werden, in den heutigen Siedlungsgebieten zu verdichten. Doch es gibt aktuell zu viele Rekurs-Möglichkeiten, was die Investor:innen abschreckt. Angesichts von anstehenden Abstimmungen gerade auch im Kanton Zürich möchte ich festhalten, dass es eher weniger als mehr gesetzliche Bestimmungen braucht. 

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simon

An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Nina. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.

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Kommentare

Lalala
30. September 2025 um 11:54

In Zürich gibt es viele Menschen mit sehr hohen Einkommen. Dass sich auf eine Wohnung hunderte Leute bewerben, sagt deshalb nichts darüber aus, ob die Miete fair ist – sondern nur, dass es immer genug gibt, die sie sich leisten können. Es wird für die falsche Preisklasse gebaut weil der Martk derart überhitzt ist das viele bereit sind zu viel zu bezahlen. Die due das nicht könnrn werden verteieben und von gutverdienenden Zugewanderten ersetzt. Desshalb ist auch die zitierte studie die sagt das der % satz des einkommens der fürs wohnen aufgewendet wird nicht steigt eine falsche interpretation!!

T K
30. September 2025 um 08:51

Wo bleibt hier die Generationengerechtigkeit. Renter dürfen noch in mit günstigen Bestandsmieten leben, oder in ihren Häusern, während die Jungen mit ihren Mieten die Rente finanzieren müssen.

Hans Würther
30. September 2025 um 08:12

Ich kann auch nicht rechnen

> Es gibt klare Regeln, zum Beispiel, dass eine Miete nicht missbräuchlich ist, wenn sie im Rahmen der Orts- und Quartierüblichkeit liegt oder keine überhöhte Rendite abwirft. Gerade bei älteren Liegenschaften ist die Berechnung oft sehr komplex, da fehlen buchhalterisch die Grundlagen. Man verwaltet doch keine 15'000 Wohnungen und kann die Rendite nicht berechnen. Hier hätte man ruhig auch mal nachhaken können anstatt isch zum Propagandaorgan der Vermieter machen zu lassen.

Erich Schwarz
30. September 2025 um 06:08

So weit bekannt, aber…

Die widersprechenden Systemlogiken Vorsorge (klein bis mittelgrosse Gruppe, örtlich disparat verteilt) vs Mietwohnen (gross, durchschn. 64% d Bevölkerung, jeweils ortsspezifisch) sind bekannt. Was mich überrascht hat und worüber ich gerne mehr erfahren will: Bevorzugen andere PKs auch ihre Aktiv- und Passivmitglieder zusätzlich mit Vorrecht? Auf ihrem Anlagevermögen werden also nochmals In-Group-Privilegien gewährt. Das ist nun nicht der Hauptzweck einer PK: Wohnungen bereitzuhalten.