Feminismus und Frauenfussball: Warum Sichtbarkeit alleine nicht reicht
Die Fussball-EM begeistert die Massen. Doch nur weil Frauen auf dem Feld spielen, ist es noch lange kein feministischer Anlass. Ein Kommentar.
Am Mittwoch beginnt die Fussball-Europameisterschaft (EM) der Frauen und in Anbetracht der breiten Euphorie, die das Turnier auslöst, müssen auch die letzten verstaubten Kritiker:innen erkennen: Der Frauenfussball ist hier, um zu bleiben und wird nur noch grösser.
Die meisten Spiele sind seit langem ausverkauft. In Basel leuchtet in den Ampeln statt des grünen Ampelmännchens nun eine Spielerin mit Ball. In Zürich ist die Europaallee zur «ZüriFanzone» geworden und am feministischen Streiktag, dem 14. Juni, prägten farbige Soli-EM-Trikots den Umzug.
Der Frauenfussball erfährt endlich breite öffentliche Anerkennung. Das freut und erfüllt mit Stolz. Doch nur weil Frauen auf dem Feld spielen, ist die Uefa Women's Euro 2025 noch lange kein feministischer Anlass.
Sichtbarkeit alleine löst keine strukturellen Ungleichheiten
Klar, Sichtbarkeit und Repräsentanz sind elementar, wenn es darum geht, starre Rollenbilder und Stereotypen abzubauen. Doch der Feminismus fordert mehr. Er will materielle Gleichstellung und nicht nur Repräsentanz. Er will strukturelle Ungleichheiten auflösen, und zwar für alle statt für einige wenige.
Je mehr aber der Frauenfussball an Bekanntheit gewinnt, desto mehr wird er kommerzialisiert.
Das Preisgeld für das diesjährige Turnier wurde von 16 auf 41 Millionen Euro erhöht. Chelsea zahlte dieses Jahr 1,1 Millionen Ablösesumme für Naomi Girma an San Diego Wave. Es war der erste Millionentransfer des Frauenfussballs.
Von dieser Kommerzialisierung profitieren einige wenige und vor allem die grossen Verbände wie die Union of European Football Associations (Uefa).
Amazon, Adidas und Co. haben die EM in Zürich als Werbefläche entdeckt. Firmen, die in ihrer Produktion massive Emissionen verursachen und in anderen Ländern marginalisierte Menschen ausbeuten.
Im Interview mit Tsüri.ch weist Sportjournalistin Alina Schwermer darauf hin, dass es auch im Frauenfussball massive Ungleichheiten und Grossclubs gibt, die von zweifelhaften Investor:innen finanziert werden.
Auffallend ist das Fehlen von Kritik. Bei der Männer-WM gab es Parallelveranstaltungen unter dem Titel «fuck fifa, love football». Doch jetzt, wo die Uefa – selbst Teil der Fifa –, die Frauenfussball-EM organisiert, bleiben die lauten Stimmen weitgehend ruhig.
Während die öffentliche Kritik bislang der allgemeinen Euphorie unterliegt, blickt die Frauenfussball-Szene reflektierter auf die Entwicklungen in ihrer Branche.
System wandeln, statt Männerfussball reproduzieren
Tatjana Haenni, einst erste Verantwortliche für Frauenfussball bei Uefa und Fifa und heute Direktorin in der US-Profiliga, prophezeit im Interview mit der Republik: «Sobald mehr Geld fliesst, was wir ja alle wollen, wird er [der Frauenfussball] sich verändern. Das beeinflusst auch den Sport.»
Sicher muss es das Ziel sein, die Diskriminierungen abzuschaffen, die Fussballerinnen trotz Trendwelle noch immer erleben.
Doch der aktuelle Boom soll nicht dazu führen, den Sport in dasselbe System zu pressen, das den Männerfussball geprägt und ihm auch geschadet hat. Stattdessen sollte der Frauenfussball eigene Wege gehen.
Gemäss der Fussballexpertin Alina Schwermer gibt es solche Ansätze bereits. Vor allem ausserhalb der Uefa-Strukturen in wilden, selbstverwalteten Ligen.
Wenn eine Frauenfussball-EM als feministische Veranstaltung gefeiert werden soll, müssen neue Strukturen geschaffen werden: solidarischer, zugänglicher, gleichberechtigter. Das Momentum wäre da.
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Aufgewachsen am linken Zürichseeufer, Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten Freiburg (CH) und Basel. Sie machte ein Praktikum beim SRF Kassensturz und begann während dem Studium als Journalistin bei der Zürichsee-Zeitung. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin untersuchte sie Innovationen im Lokaljournalismus in einem SNF-Forschungsprojekt, wechselte dann von der Forschung in die Praxis und ist seit 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von We.Publish. Seit 2023 schreibt Nina als Redaktorin für Tsüri.ch.