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Filmszene: Ein Zürcher Kollektiv geht neue Wege
Was genau soll hier sabotiert werden? Das Zürcher «Sabotage Kollektiv» fordert die gängigen Arbeitsweisen beim Film heraus und findet dabei zu einem sehr eigenen Gefühl für unsere Zeit.
In einem sind sie sich einig: Alle seien sehr verschieden, und einen gemeinsamen Nenner zwischen ihren Filmen gebe es eigentlich auch nicht. Diesen Sommer kommen gleich drei Filme aus dem ungleichen Zürcher «Sabotage Kollektiv» ins Kino: Auf «Electric Fields» von Lisa Gertsch folgt im Juli «Réduit» von Leon Schwitter, später dann «Brunaupark» von Felix Hergert und Dominik Zietlow.
Wir treffen das Kollektiv in einem kleinen Produktionsraum an der Hardturmstrasse. Einen kleinen, etwas eingepferchten Schnittplatz gibt es da, ein Sofa, einen Tisch und einen Balkon, auf dem wegen Baulärm allerdings gerade kein ideales Diskussionsklima herrscht. Also verteilen sich die sieben anwesenden Kollektivmitglieder etwas eng auf Sofa und Stühlen und sinnieren gemeinsam über die Möglichkeiten des Films, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede («Wenn jetzt alle eine Kamera in die Hand nähmen, würden alle komplett unterschiedliche Bilder von diesem Raum hier drehen») – sowie über den Begriff «Sabotage» und darüber, was denn genau hier sabotiert werden soll.
Der Name stammt aus den Anfängen des Kollektivs, als Michael Karrer und Felix Hergert gerade aus dem Filmstudium «ins kalte Wasser» der Schweizer Filmlandschaft «rutschten». Sie fragten sich, wie man ohne die Strukturen der Filmschule und ausserhalb der etablierten Szene am besten eigene kleine Filmprojekte realisieren könnte. Man entschied, erst einmal eigenes Equipment zu kaufen: eine kleine Kamera und Tonequipment. Etwas später stiessen Moris Freiburghaus und Kameramann Ramón Königshausen mit mehr Material dazu. Auch diese hatten, wie alle aktuellen Mitglieder, an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) studiert. Königshausen: «Das war wie in einem Biotop, man befand sich im ständigen Austausch mit anderen Filmschaffenden, der passierte dort von allein. Jetzt muss man ihn sich selber holen – und dafür ist das Kollektiv perfekt.»
Mit einem Augenzwinkern
Der erste Film unter dem Namen des Kollektivs war «Mussies Zimmer» (2021) von Felix Hergert, ein halbstündiges, sehr persönliches Porträt eines Eritreers, der jahrelang auf seinen Asylentscheid warten muss. Auch Hergerts «Brunaupark» (koproduziert mit Langfilm) handelt jetzt wieder vom Warten: jenem der Bewohner:innen einer Zürcher Wohnsiedlung auf den angedrohten Abriss des eigenen Lebensraums.
Sabotage, das sei durchaus mit einem Augenzwinkern gemeint, sagt Michael Karrer, und stehe «nicht per se» für eine destruktive Absicht gegenüber dem bestehenden System. Es gehe vor allem darum, die gängigen Arbeits- und Produktionsweisen im Film zu hinterfragen, ergänzt Lisa Gertsch: «Es gibt Ideen und Projekte, die einfach andere Zugänge benötigen.» Mit denen man nicht drei Jahre warten könne, bis sie endlich gefördert würden, die dafür aber auch weniger Leute und Ressourcen bräuchten. Auch für Gertsch geht es nicht darum, die sogenannt etablierten Formen zu «sabotieren», sondern darum, Prozesse auszuprobieren, die einen die Ausbildung in der Filmschule und die Strukturen der Fördersysteme vielleicht haben vergessen lassen.
Lähmende Strukturen
Sabotiert werden also vor allem die festgefahrenen Prozesse im eigenen Kopf. Die Förderstrukturen, so Felix Hergert, könnten für junge Filmschaffende durchaus lähmend wirken. Da sei es dann umso wertvoller, wenn man in der Gruppe auch einmal «halbfertige Gedanken aussprechen» könne – um es dann anders zu machen.
«Wir alle mögen Filme, die etwas versuchen oder untersuchen – ohne aber abschliessende Antworten zu geben.»
Leon Schwitter, Filmemacher
Etwas später zum Kollektiv gestossen ist Lisa Gerig, die Regisseurin des preisgekrönten Dokumentarfilms «Die Anhörung». Sie räumt ein, dass der Name des Kollektivs durchaus zu den linken Überzeugungen der Gruppe passe, die sich auch in der Produktionsweise niederschlagen würden: fairer, einheitlicher und transparenter Umgang mit Produktionsmitteln und alles so ökologisch wie möglich. Also zum Beispiel möglichst keine Flugreisen, was allerdings sofort zu einem höheren Reise- und auch Zeitbudget führt. Das sei auch eine Art von Sabotage, wirft Königshausen ein: «Wenn man ein Budget einreicht mit Zugreisen, die teurer sind und länger dauern als ein Flug, dann sendet dies den entsprechenden Stellen auch ein Signal: Schaut, so müsste man das eigentlich machen, und das sind dann die Konsequenzen.»
Wollte man doch einen roten Faden bei den Sabotage-Produktionen sehen, wäre er also eher in der Produktionsweise zu finden als zwischen den fertigen Filmen. Wobei dann doch alle Anwesenden der These zustimmen, dass die Umstände, unter denen ein Film entsteht, sich direkt oder indirekt immer auch im Gefühl niederschlagen, das vom fertigen Produkt ausgeht.
Das gilt für Michael Karrers «Füür brännt» mit seiner empathisch-unaufgeregt inszenierten Beobachtung von kindlichen und jugendlichen Gruppendynamiken (siehe «wobei» Nr. 1/24). Und es gilt genauso für Leon Schwitters «Réduit», ein Vater-Sohn-Kammerspiel in abgelegener Bergnatur (siehe «wobei» Nr. 1/23). Er und Camille Briffod stellen die jüngsten Neuzugänge des heute achtköpfigen Kollektivs dar.
Nume nid jufle
«Wir alle mögen Filme, die etwas versuchen oder untersuchen – ohne aber abschliessende Antworten zu geben», versucht es Schwitter noch einmal mit einer offenen Definition dessen, was Sabotage-Filme ausmacht. «Filme, durch die man sich auch mal selber einen Weg hindurchpflügen muss, die einen am Ende eher mit Fragen zurücklassen als mit einem zufriedenstellenden Unterhaltungserlebnis.» Das habe auch mit Neugier und der Lust an Beobachtung zu tun, ergänzt Gertsch: «Dass man nicht bereits von Anfang an weiss, wo man ideologisch oder moralisch hinwill, sondern sich auch vom Prozess belehren lässt.»
«Wir sind immer dabei, herausfinden, wer wir sind. Das Zeitnehmen ist unsere Strategie.»
Michael Karrer vom «Sabotage Kollektiv»
Was bei Förderstellen nach wie vor auf Unverständnis stossen dürfte, findet bei Kritik und Publikum durchaus Anklang. Mit «Electric Fields», ihrem aus lose verknüpften, surrealen Episoden zusammengesetzten ersten Spielfilm, gewann Gertsch in Saarbrücken den renommierten Max-Ophüls-Preis. Besonders gefreut hat sie dabei das Feedback einer Zuschauerin, die das Gefühl hatte, in dem Film «zur Ruhe zu kommen» – vielleicht auch, weil er nicht ständig etwas von einem wolle.
Und das ist vielleicht das zentrale Prinzip dieses Kollektivs, sowohl der Menschen als auch ihrer Filme: die relativ konsequente Entspanntheit bezüglich zeitlicher Faktoren. Oder wie Michael Karrer sagt: «Wir sind immer dabei, herausfinden, wer wir sind. Das Zeitnehmen ist unsere Strategie. Nid jufle, das finden hier, denke ich, alle.»
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