FDP-Politiker: «Velofahrer*innen müssen mehr in ihre Sicherheit investieren»
Die Bevölkerung der Stadt Zürich nimmt stetig zu. Das Mobilitätsnetz wird sich an den Bevölkerungsanstieg anpassen müssen, aber wie? Drei Expert*innen aus verschiedenen Lagern haben am Tsüri-Podium über Veloinfrastruktur, motorisierten Verkehr und Grünflächen in der Stadt diskutiert.
Wünsche nach mehr Klimaschutz, einem autofreien Zürich und einer besseren Veloinfrastruktur stehen im Raum und warten auf kreative Lösungen. Drei Expert*innen diskutierten heiss über die Zukunft der Mobilität. Es debattierten die «heimliche Verkehrsministerin Zürichs», ein Klimaexperte und ein Automobilist:
- Simone Brander – Gemeinderätin SP, Mitglied Verkehrskommission
- Georg Klingler – Klimaexperte, Kampagnenleiter Greenpeace
- Severin Pflüger – Gemeinderat FDP, Automobilclub Zürich
Helen Obrist (watson) hat das Podium moderiert.
Mehr Menschen, mehr Bewegung, mehr Stau – steuern wir auf einen Verkehrskollaps zu?
Schätzungen gehen davon aus, dass bis 2040 die Bevölkerung von Zürich um 100’000 Menschen zunehmen wird. Das Auto sei klar sehr ineffizient bezüglich Fläche und dass man alleine im Auto sitzt, sei nicht zukunftsfähig, so SP-Brander. Sie betont, dass der Fuss- und Veloverkehr dringend gefördert werden müsse, zumal das Stimmvolk dies auch so will.
Wir müssen mehr Grün in die Stadt holen und Flächen radikal neu denken
Georg Klingler / Klimaexperte
Verdichtetes Bauen sei ein Ansatzpunkt. Greenpeace-Klingler plädiert dagegen für ein Neudenken des Strassenraums: «Ein Auto braucht 70 mal mehr Platz, als wenn wir zu Fuss unterwegs sind.» Der Freizeitverkehr spiele eine grosse Rolle, darum sei es wichtig, dass es die Leute nicht aus der Stadt ziehe. «Wir müssen mehr Grün in die Stadt holen und Flächen radikal neu denken», so der Klimaexperte. Ein Beispiel: Autos werden zentral in Parkhäuser parkiert und nicht mehr vor der eigenen Wohnung. Will man in die Stadt oder raus ins Grün, nimmt man den ÖV bis zum Parkhaus. Das sei radikal neues Denken. Logisch, der Mensch sei bequem und wenn das Auto direkt vor der Nase steht, ziehe man es dem ÖV vor.
Diese Idee von Park-and-Ride begrüsst FDP-Pflüger ebenfalls, obwohl er das Auto doch lieber in der eigene Tiefgarage habe als in einem entfernten Parkhaus. Zu bedenken sei aber, dass der Verkehr sich so auf Gemeinden ausserhalb der Stadt zentriere und diese den auch nicht wollten. Die S-Bahnhöfe müssten neu und ausserhalb, allenfalls direkt an Autobahnen gebaut werden.
Das emotionale Thema: Die Velostadt Zürich.
Als ungeübte Velofahrerin sei es Brander zu gefährlich auf der Strasse. «Die enorme Anzahl von Velounfällen ist erschreckend, da müssen wir etwas machen», so die Gemeinderätin. Ein trauriger Zufall: Während dieser Diskussion stirbt eine junge Velofahrerin beim Letzigrund beim Zusammenstoss mit einem Lastwagen. Eine sichere Infrastruktur sei zentral. Der Fuss- und Veloverkehr muss laut Zürcher Gemeindeordnung gefördert werden, es sei klar, dass dies auf Kosten des Autos geschehen wird. Zudem habe es die Stadt während Corona verpasst, den Menschen zu zeigen, was möglich ist. Zum Beispiel mit temporären Velorouten.
Pflüger hingegen kritisiert die Velofahrer*innen. Laut einer Statistik seien in zwei Drittel der Fälle die Velofahrenden schuld an den Unfällen. Im Gegensatz zum Auto hätte das Rad in den letzten Jahren null Fortschritt in Sache Sicherheit gemacht. Rückspiegel, Helm und gute Bremsen beispielsweise seien oft kein Thema für Velos – Velofahrer*innen müssten mehr in ihre Sicherheit investieren.
Zudem soll das Auto nicht dem Velo weichen müssen: «Mit dem Auto kommen Leute von ausserhalb in die Stadt. Ich will diese Leute und ihre Wertschöpfung. Wir sprechen immer nur von den Bedürfnissen der Städter*innen.» Diese Leute dürfe man nicht ausschliessen und nur weil Zürich eine gute Veloinfrastruktur hätte, würden diese dann nicht mit dem Rad in die Stadt kommen. Klingler kontert und bringt als Beispiel den Limmatquai, wie er aufblühte, seit weniger motorisierter Verkehr durch die Innenstadt fliesst und es mehr Platz zum flanieren gibt.
Die gleiche Diskussion, wie vor 50 Jahren die Schwarzenbach-Initiative. Die Italiener kommen und nehmen uns die Frauen weg und die Autofahrer*innen kommen in die Stadt und nehmen uns den Platz weg.
Severin Pflüger / Gemeinderat FDP
«Leben wir in der gleichen Stadt?», fragt Pflüger und zählt Flaniermeilen wie die Europaallee und das Seebecken auf. Mühe hat der FDP-Gemeinderat mit der Gefahr, dass sich Zürich nach aussen abschottet und bringt einen brisanten Vergleich: «Für mich ist das die gleiche Diskussion, wie vor 50 Jahren die Schwarzenbach-Initiative. Die Italiener kommen zu uns und nehmen uns die Frauen weg und die Autofahrer*innen kommen in die Stadt und nehmen uns den Platz weg.» An den Haaren herbei gezogen, findet Klingler das Argument und auch Brander schaltet sich ein. Es sei nicht so, dass Zürcher*innen keine Leute von aussen wollen. Der Platz sei lediglich ein Aspekt, über Lärmbelastung und Luftverschmutzung müsse man ebenfalls diskutieren.
Velo gegen Auto, Fussgänger*innen gegen Velo – alle gegen alle. Wo sind die gemeinschaftlichen Lösungen?
«Oft ist es so, dass erst, wenn sich etwas ändert, auf einmal alle finden, wow das ist cool», sagt Klingler und bringt als Beispiel eine Quartierstrasse mit Tempo 20. Im Vorfeld müsse man daher oft gegen politische Ideologien ankämpfen. Brander und Pflüger schätzen das bereits grosse Angebot an Mobilität in der Stadt – Velo, E-Scooter, ÖV, Tram, Bus. Neue Angebote brauche es nicht, findet Brander, aber dafür mutige Änderungen in Hinblick auf den Klimawandel. Mobilität, die weniger Schaden anrichte.
Das Auto ist de facto der grösste Klimasünder auf der Strasse. Pflüger macht sich keine Sorgen um den CO2-Ausstoss von Autos, SUVs seien Modeerscheinungen und energieeffiziente Autos und Elektromobilität werden die Zukunft sein.
Zum Schluss der Gesprächsrunde kommt die Diskussion auf das Verkehrs Thema Nummer eins, den Rosengartentunnel. Brander kämpfte an vorderster Front gegen das Bauprojekt und Pflüger ist heute noch über das Nein an der Urne enttäuscht. Für ihn sei genau das eine verpasste Chance, Autos wären im Tunnel verschwunden und oberirdisch hätte das Platz für Grün gegeben. «Das Bedürfnis der Leute von A nach B zu kommen, können wir so nicht wegradieren, die fahren ja nicht aus Spass über den Rosengarten», so der FDP-Gemeinderat über die «verpasste Chance». Brander bringt die Westumfahrung in die Diskussion, die ja genau dafür da sei, die Stadt zu umfahren und die Quartiere zu meiden. Zu umständlich, wenn man vom Norden her in die Stadt komme und beispielsweise nach Wiedikon wolle, findet Pflüger. «Genau das ist das Ziel», sagt Klingler, «man muss nicht quer durch die Stadt, man parkiert das Auto ausserhalb und nimmt den ÖV in die Stadt.»
Die Diskussionen Auto versus Velo und der Rosengartentunnel sind emotional wie eh und je. Die Fragen werden uns in den nächsten Jahren begleiten. In Zürich werden wir immer mehr Menschen und die Klimafrage löst sich nicht von alleine. Politisch wird im im Herbst voraussichtlich über die Velorouten-Initiative abgestimmt und je nachdem, wie das Bundesgericht entscheidet, dann irgendwann auch mal die Züri-Autofrei-Initiative.
Das ganze Gespräch:
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