Energieeffizient, autofrei und doch ein Betonriese: Das Tramdepot Hard
Im Kreis 5, direkt an der Limmat, erhebt sich das Tramdepot Hard, ein Bauwerk der Superlative mit Wohnraum für 520 Menschen. Kernstück bildet die Tramdepothalle.
Vom Escher-Wyss-Platz fällt der Blick auf den Halleneingang. Acht cremefarbene Torbögen markieren den Eingang der neu gebauten Siedlung Tramdepot, an den Seiten schmiegen sich Wohnhäuser daran, mit grün gestrichenen Fensterläden und roten Ziegeldächern. Sie wurden Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut und stehen heute unter Denkmalschutz. Ein Stück Vergangenheit, das noch immer bewohnt wird.
Dahinter ragen zwei Türme auf, 65 und 68 Meter hoch, aus Beton, Stahl und Glas. Auf dem einen Dach steht ein Pferd aus Kupfer und Edelstahl. Hier, im Tramdepot Hard, treffen zwei Epochen aufeinander.
Ein Depot der Superlative
Um das Depot ist es ruhig geworden. Der Rohbau steht, die Feinarbeiten laufen. Für die meisten Bauarbeiter:innen endet ein Ausnahmeprojekt, für die Mieter:innen beginnt das Leben im Tramdepot. Die ersten sind Anfang August eingezogen. Um Chaos zu vermeiden, stellte die Stadt ein professionelles Umzugsunternehmen zur Verfügung. «So soll der Bezug möglichst reibungslos verlaufen», schreibt Noelia Thiessen von den Liegenschaften Stadt Zürich auf Anfrage. Die Kosten werden von den Liegenschaften Stadt Zürich getragen.
Die zwei Wohntürme ragen hinter den denkmalgeschützten Gebäude hervor. (Bild: Jenny Bargetzi)
Max Ricci ist Bauführer und startete im Juni 2021 mit dem Rohbau. (Bild: Jenny Bargetzi)
Aussicht von der Halle in Richtung Escher-Wyss-Platz, wo die Trams ausfahren. (Bild: Jenny Bargetzi)
Die Tramhalle ist eine von sechs Depothallen der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ), und nach Oerlikon und Kalkbreite die drittgrösste der Stadt. 25 Trams können hier gelagert, gewartet und gewaschen werden.
Im gesamten Bau stecken über 34'000 Kubikmeter Beton und rund 5300 Tonnen Bewehrung – Stahl, der den Beton verstärkt. Würde man den gesamten Beton auf ein Fussballfeld kippen, entstünde eine viereinhalb Meter dicke Schicht.
Ein junger Bauführer steuert den Rohbau
«Vom Bauvolumen her ist dies die grösste Baustelle, die ich in meiner Karriere je geleitet habe», sagt Max Ricci. Er ist Bauführer und koordinierte die Arbeiten für die Marti AG Bauunternehmung im Auftrag der Stadt.
Es ist ein Riesenprojekt, selbst für Ricci. Er ist gerade einmal 32 Jahre alt, gelernter Maurer, besuchte später die höhere Fachschule in Aarau und arbeitet seit fünf Jahren bei der Marti AG, der Bauunternehmung des Projekts.
Insgesamt stellte die Bauleitung 1636 Badges aus, in Spitzenzeiten arbeiteten bis zu 65 Mitarbeitende der Marti AG gleichzeitig auf engstem Raum, zwischen Limmat, Hardturmstrasse und öffentlichem Verkehr. Alle drei Minuten passiert ein Tram die Baustelle.
Darum mussten rund 80 Prozent der Materialien durch die drei Meter breiten denkmalgeschützten Tore und anschliessend mit einem 100-Meter-Kran über die Dächer gehoben werden. «Die Logistik war eine der grössten Herausforderungen», sagt Ricci. «Jede Schiene, jeder Kubik Beton, jedes Kilo Eisen – alles muss gemanagt und rechtzeitig geliefert werden.»
Umzugshelfer:innen transportieren Möbel und Kisten in die Wohnungen. (Bild: Jenny Bargetzi)
Auf dem Boden in der Tramhalle sollen bald die Gleise verlegt werden. (Bild: Jenny Bargetzi)
Die denkmalgeschützten Steine wurden nummeriert, um sie anschliessend wieder korrekt anordnen zu können. (Bild: Jenny Bargetzi)
Neue Technik unter den Schienen
Unter den Schienen liegt das technische Herzstück: ein sogenanntes Masse-Feder-System, in dieser Bauweise ein Novum in der Schweiz, wie Ricci sagt. Riesige Stahlfedern tragen schwere Betonplatten, auf denen die Tramgleise liegen. Die Konstruktion dämpft die Schwingungen, die Trams in den Kurven erzeugen. Schallschutz war entscheidend, denn direkt über der Halle liegen 193 Wohnungen.
Eine weitere Herausforderung war die Hallendecke, die das Gewicht der beiden Wohntürme trägt. Fast einen Meter dicke Betonplatten ruhen auf seitlich vorgespannten Stahlseilen. Tausende Tonnen lasten darauf. «Das zu bauen, war eine Wahnsinnsarbeit», sagt Ricci. «Kaum vorstellbar, wenn man heute durch die Halle geht.» Ein Teil des Betons wurde direkt auf der Baustelle hergestellt, wodurch die Arbeiten unabhängig von den begrenzten Zufahrtszeiten der Behörden waren.
Makelloser Beton, begrünte Dächer und ein striktes Auto-Verbot
Trotz der innovativen Konstruktionen bleibt das Depot ein massiver Betonbau. Zwölf verschiedene Betonsorten wurden verbaut, rund ein Viertel davon Recyclingbeton. Alle Wohnungen, Treppenhäuser und der Haupteingang bestehen aus Sichtbeton. «Das ist ein enormer Mehraufwand gegenüber herkömmlichen Betonschalungen», sagt Ricci. «Dieser erfordert deutlich mehr Zeit, Sorgfalt und Nachbearbeitung.»
Die Stadt verweist währenddessen auf die ökologischen Qualitäten der Siedlung: Minergie-P-ECO-Standard – dem strengsten Schweizer Gebäudestandard für Energieeffizienz – gesunde Materialien und ökologisches Bauen. Hinzu kommen begrünte Innenhöfe und Dächer, Photovoltaikanlagen und Fernwärme. Auch die Mobilität ist strikt geregelt: Wer hier einzieht, darf kein Auto besitzen. Das ist Teil des Mietvertrags. Stattdessen gibt es ein Auto- und Cargo-Bike-Sharing sowie 670 Veloabstellplätze.
Für Jürg Rauser, Grünen-Gemeinderat, Architekt und Baubiologe, relativiert der massive Betonanteil diese Vorzeigeambitionen. «Es ist sicher kein Leuchtturmprojekt in Sachen Materialeffizienz», sagt er. Doch die Baubewilligung liege rund zehn Jahre zurück, damals habe man der grauen Energie – dem Aufwand für Herstellung, Transport und Verarbeitung von Baumaterialien – noch weniger Beachtung geschenkt. «Würde es heute gebaut, würde man es anders und besser machen.»
Ganz ohne Beton gehe es allerdings nicht. «Nur wer auf Hochhäuser verzichtet, könnte einiges einsparen», sagt Rauser. «Ab acht Stockwerken sind Gebäude ohnehin nicht mehr energieeffizient.» Hinzu komme der Baugrund im Grundwasserbereich nahe der Limmat, der Beton erfordere. Auch die Decke des Tramdepots, die wie ein stabiler Tisch das Gewicht der Türme trägt, sei ohne Beton nicht denkbar. «Doch was darauf gebaut wird, liesse sich anders lösen.»
Bei den Fassadenelementen etwa sei Beton nicht zwingend notwendig gewesen. «Blech wäre leichter und energieeffizienter», sagt Rauser. «Das ist eine architektonische Frage, die zwangsläufig Energie kostet.» Auch Holz sei keine einfache Alternative: «Die technischen Anforderungen durch den Brandschutz sind sehr aufwendig.»
Ein Jahrhundertbau im Wandel
Das Tramdepot Hard ist ein Projekt der Superlative und seit den 1990er-Jahren ein Politikum. Mehrere Projekte – von einer Schule für Gestaltung bis zu einem Hochhaus mit Kinderkrippe und Büros – scheiterten. Erst 2015 brachte ein Architekturwettbewerb Bewegung: Morger Partner Architekten und Stauffer Rösch Landschaftsarchitekten überzeugten mit dem Entwurf der heutigen Wohnsiedlung. Trotz Kritik von rechts (Symbolpolitik) und links (zu teuer) bewilligten die Zürcher:innen 2020 einen Kredit von 216 Millionen Franken – 127 Millionen für die Wohnsiedlung, 72,7 Millionen für das Depot.
Seit 2021 wird gebaut, 2026 soll alles fertig sein.
Mit dem Umbau des Tramdepots Hard reagiert die Stadt Zürich gleich doppelt: Sie modernisiert eine zentrale Drehscheibe des Zürcher Tramnetzes und schafft gleichzeitig 193 neue Wohnungen für 520 Menschen. Denn die Stadt Zürich wächst und mit ihr der Bedarf an einem funktionierendem öffentlichen Verkehrssystem und vor allem an Wohnraum.
Die sogenannte Hofhalle zwischen den Wohntürmen liegt direkt über der Tramhalle. (Bild: Jenny Bargetzi)
«Rear Window» von der Künstlerin Renate Buser ist eines von zwei Kunstwerken beim Tramdepot Hard (2025 Fotografie gedruckt auf Verbundsicherheitsglas-Folie, 770 auf 1100 Zentimeter). (Bild: Renate Buser)
«Der ungezähmte Horizont» von Yves Netzhammer besteht aus einem Metallgerüst, das über Gelenke verbunden ist und mittels Hydraulikzylindern bewegt wird. (Bild: Jenny Bargetzi)
Der Ansturm war entsprechend: Für die ersten 141 Wohnungen gingen 14’467 Bewerbungen ein. Um eine Vorauswahl zu treffen, liess die Stadt per Software rund 1100 Namen ziehen, anschliessend prüfte die Verwaltung soziale Kriterien: Familien mit Kindern, Personen mit dringendem Wohnbedarf oder Benachteiligte auf dem freien Markt hatten Vorrang. Entscheidend war auch, wie gut die Wohnung zu den Bedürfnissen der Bewerbenden passte.
Kunst am Bau: Pferd und Fensterbilder
Auch Kunst gehört zum Tramdepot Hard: Renate Busers «Rear Window» bespielt die Eingangsfassade mit einem halbtransparenten Digitaldruck. Der Name sei an Alfred Hitchcocks Filmklassiker angelehnt, sagt Buser. Das Motiv stammt von einer Fotografie des alten Depots.
Auf dem höheren Turmdach thront Yves Netzhammers drei Meter hohes, 1,7 Tonnen schweres Pferd. ES soll an die Zeit der Rösslitrams erinnern. Eine Live-Kamera im Kopf überträgt den Blick über die Stadt.
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Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.