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23. Mai 2020 um 07:19

Kolumne: «Vielen Dank im Namen der Sans-Papiers an alle grosszügigen Menschen»

Geschätzt leben 10’000 Menschen ohne Papiere in Zürich, sogenannte Sans-Papiers. Sie leben hier, sie arbeiten hier, aber sie haben (fast) keine Rechte und keine Stimme. Licett Valverde, die als Sans-Papier in die Schweiz kam, schreibt einmal im Monat auf Tsüri.ch über ihre Erlebnisse.

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Photo by Kat Yukawa on Unsplash

Als ich in 2001 als Sans-Papiers in die Schweiz kam, geriet ich in eine tiefe Krise. Einerseits war ich enttäuscht, dass das Auswandern nicht so idyllisch war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Da war nicht nur die Sprachbarriere, sondern auch der kulturelle Unterschied, was mir verunmöglichte, mich zu integrieren.

Auf der anderen Seite war da meine Situation der Illegalität, ich konnte keine Wohnung mieten, nicht unter guten Bedingungen arbeiten und ich konnte auch keinen existenzsichernden Lohn anstreben.

Es gab viele Menschen, die mir ihre Unterstützung und Liebe gaben. Ich wurde nicht nach meinen Umständen beurteilt. Viele davon waren Sans-Papiers wie ich, andere Ausländer*innen mit Aufenthaltsbewilligung und auch einige Schweizer*innen.

Ich beginne bei den Menschen, die mich bei meiner Ankunft in der Schweiz bei sich zu Hause begrüssten und mir die Grundprinzipien für das Überleben als Sans-Papiers beibrachten. Wenn ich jemals keinen Platz zum Übernachten hatte, gab es einen Freund oder eine Freundin, der*die mir das Sofa in ihrem Wohnzimmer zum Schlafen anbot. Wenn ich nichts zu essen hätte, würde mir jemand einen Teller mit Essen anbieten. Selbst wenn ich nur jemanden zum Zuhören oder für Trost brauchte, fand ich immer jemanden. Oder auch diejenigen, mit denen wir, um die schlechten Zeiten zu vergessen, die kostenlosen Discos in Zürich besuchten, um Spannungen auf den Tanzflächen abzubauen.

Es gab viele Menschen, die in diesen zwei schwierigen Jahren meine Engel wurden und mich dazu brachten, weiterhin der Menschheit zu vertrauen. Ich werde ihnen immer dankbar sein und sie in meinem Herzen tragen. Die Unterstützung, die in einem Moment der Krise erhalten wird, ist irgendwie in das Herz für ewige eingeschrieben.

Derzeit befinden wir uns in einer Gesundheitskrise, die uns alle betrifft und uns dazu zwingt, uns neu zu erfinden, kreativ und grosszügig zu sein und an das Gemeinwohl zu denken. Ich möchte über diejenigen sprechen, die diese Krise am härtesten getroffen hat, die Sans-Papiers.

Seit den ersten Wochen des Corona-Krise in der Schweiz ist das Wohlergehen von Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung das grösste Anliegen der Sans-Papiers Anlaufstelle gewesen. Es war absehbar, dass diese Menschen ihre Jobs verlieren würden. Das geringe Einkommen, das ihnen das Überleben ermöglicht, verschwand über Nacht.

Die meisten sind nicht krankenversichert und die Versicherten konnten die monatlichen Prämien nicht mehr weiterbezahlen. Sie mussten entscheiden, was sie mit ihrem kleinen Einkommen machen: Miete zahlen oder Nahrungsmittel kaufen?

Kampagnen wurden über soziale Netzwerke durchgeführt, in denen um die finanzielle Unterstützung der Bevölkerung gebeten wurde, um zu versuchen, die Grundbedürfnisse der Sans-Papiers zu lindern.

Die Solidarität kam, Hunderte von Menschen und Institutionen machen mit und senden weiterhin ihre Spenden.

Ich hatte die erfreuliche Mission, viele der Sans-Papiers persönlich anzurufen, um ihnen mitzuteilen, dass wir Geld haben, um Lebensmittel zu kaufen und die Miete zu bezahlen. Die Reaktionen haben mich besonders eingeberührtprägt.

Anfangs gab es Skepsis hinsichtlich der Herkunft des Geldes, es fiel ihnen schwer zu glauben, dass anonyme Menschen ihr Geld für ihren Lebensunterhalt gespendet hatten. Als Überlebensinstinkt sind sie misstrauisch, weil sie täglich mit der Angst leben, von der Polizei abgeschoben sein und von der Gesellschaft nicht akzeptiert zu werden. Eine solche Solidaritätsaktion kam für sie sehr unerwartet.

Züri City Card
Diese Kolumne ist eine Kooperation zwischen der Züri City Card und dem Stadtmagazin Tsüri.ch. Die Züri City Card will einen städtischen Ausweis für alle lancieren, damit auch Sans-Papier an der Stadt teilhaben, sich vor Ausbeutung schützen und ärztlich behandeln lassen können. Du kannst das Projekt hier unterstützen. .

Es gab diejenigen, die trotz ihrer eigenen Not die anderen vor sich stellten und argumentierten, dass es andere geben würde, die unter schlechteren Umständen lebten, obwohl sie nicht genug Geld hatten, um ihre Bedürfnisse zu decken. Meine Aufgabe war es, sie davon zu überzeugen, dass jede*r es verdient.

Viele begannen vor Emotionen und Dankbarkeit gegenüber ihren Engeln zu weinen. Sie weinten erleichtert darüber, dass ihre Kinder etwas zu essen und ein garantiertes Bett zum Schlafen haben würden.

Vielen Dank im Namen der Sans-Papiers an alle grosszügigen Menschen, die ihre Spenden geschickt haben. Ich möchte mich mit den Worten einer begünstigten Frau verabschieden. «Möge das Leben euch Allen diesen Akt der Grosszügigkeit in Segen erwidern.»

P.S. Leider ist die Notsituation noch nicht zu Ende und trotz der Tatsache, dass einige Sans-Papiers ihre Arbeit langsam wieder aufgenommen haben, bleibt der Bedarf bestehen. Wenn jemand spenden möchte, kann dies gerne hier tun:

  1. Konto der Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich (8003); Kontonummer: 85-482137-7; IBAN CH70 0900 0000 8548 2137-7; BIC: POFICHBEXXX
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– Die Collaboration-Booster-Kolumne von Nadja Schnetzler, Co-Gründerin von Generation Purpose.
– Die Papi-Kolumne von Antoine Schnegg, Co-Gründer seines Kindes.
– Die Sans-Papiers-Kolumne von Licett Valverde, frühere Sans-Papiers.
– Die Food-Kolumne von Cathrin Michael, Food-Bloggerin.
– Die Veganismus-Kolumne von Laura Lombardini, Geschäftsführerin der Veganen Gesellschaft Schweiz.

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