Gemeinderatskanditat Hannes Gassert: «Die Zürcher*innen möchten etwas bewegen»
Hannes Gassert, der engagierte IT-Unternehmer, will für die SP in den Zürcher Gemeinderat. Im schattigen Hinterhof seiner Web-Agentur Liip haben wir mit ihm über den Innovationsstandort Zürich, föderalistische Bitcoin Experimente und Bullshitjobs gesprochen:
Tsüri: Ihr seid voll im Trend, ihr seid auch holakratisch (hola-was?) aufgestellt.
Ja, das Thema trifft in der Szene und den Medien auf immensen Anklang. Böse Zungen behaupten, das sei alles nur eine Werbekampagne von uns. Wenn dem so wäre, wäre das die schmerzhafteste, die grösste Umbruch-verursachende Kampagne EVER. Es ist keine.
Aber Du triffst damit einen Nerv. Es wird ein ziemlicher Hype darum gemacht.
Ich werde immer wieder in solche Debatten hineingezogen. Bisher vor allem in Bern auf nationaler Ebene zu technologie- und innovationspolitischen Fragen. Und da ich jetzt tatsächlich hier ein festes Zuhause hab, immer mehr auch in Zürich. Und weil ich finde, dass man mitreden muss, kandidiere ich eben für den Gemeinderat im März.
Von der Tech-Szene ab in die Politik?
Es ist nur der Gemeinderat, entspann dich. Ich kandidiere im Kreis 9, Albisrieden und Altstetten. Das ist der neue Kreis 4, da geht's recht ab. Was alles an Technologie und Kultur zusammenkommt, ist schon krass. Ich halte das für den entscheidenden Faktor, Technologie ist ja Kultur. Für Zürich ist es eine riesige Chance, die Achse ETH-ZHdK nutzen zu können. Das macht die Stadt mit ihrer ganzen Kreativwirtschaft viel stärker als einfach ein «Valley» voller Informatiker.
Wenn du für die Investor*innen, statt für den Markt ein Produkt baust, dann geht der ganze Witz verloren.
Zürich wird als Innovationsstandort verschrien. An jeder Ecke sind Hubs, Accelerators, Incubators. Wird es euch Jungunternehmer*innen zu einfach gemacht?
Es gibt aber auch viele Fallen. Es ist mega gefährlich von Förderbeitrag zu Förderbeitrag, von Preis zu Preis zu angeln, statt von konkretem Auftrag zu konkretem Auftrag. Wenn du für die Investor*innen, statt für den Markt ein Produkt baust, dann geht der ganze Witz verloren. Viele möchten «etwas mit Innovation» machen, so wie «etwas mit Medien. Und auf der anderen Seite möchten viele Berater*innen ihre Erfahrungen weitergeben, von denen haben aber nur wenige erfolgreich etwas aufgebaut. In einer solchen Landschaft können Startups überberaten werden. Man muss aufpassen, dass diejenigen Unterstützung bekommen, die gut arbeiten, und nicht nur die, die gut tönen. Man sieht nämlich auch immer wieder, dass die spannenden Geschichten da passieren, wo nur minimale, sehr gezielte Förderung vorhanden ist.
Wird Zürich zu Google-City?
Die Europaallee, die Arbeitsplätze für 5000 Leute, das ist schon beeindruckend. Die muss man zuerst mal finden, das werden Leute aus der ganzen Welt sein. Und die «High-Potential-Expats» brauchen alle auch Spitäler, Infrastruktur, Cafés und weiteres Personal.
Und schon sind wir bei der Politik. Innovation ist ja ein zweischneidiges Schwert: Beschleunigung, Effizienzsteigerung, internationale Standards und Handelsabkommen stehen Immigration, Protektionismus, Arbeitslosigkeit und demokratischer Machtlosigkeit gegenüber. Wo steht Zürich?
In der Mitte von Europa. Obwohl, faktisch stimmt das nicht. Zürich krankt am kleinen Heimmarkt. Vor allem im digitalen Bereich, wo Skalierbarkeit alles ist. Und da kommt erschwerend dazu, dass wir nicht Teil des digitalen Binnenmarkts der EU sind. Die meisten Schweizer Startups kommen als globale Player auf die Welt, sonst sterben sie gleich wieder. Oder ziehen in die USA oder nach Berlin. Ein Vergleich: Wenn Du 0.1 Prozent vom US-Markt hast, geht es dir gut. Das Gleiche kann man von der Schweiz nicht sagen. Diesen Nachteil kann man nur durch spezifische Experimente mit den Rahmenbedingungen wettmachen.
Du machst Anspielungen auf unser Verhältnis zur EU. Nicht jede Branche strebt aber den sicheren Zugang zum internationalen Markt an.
Es geht in der Frage um verschiedene Geschwindigkeiten. Städte wollen vorwärts machen und ausprobieren und auf dem Land will man an dem, was schön und gut ist, festhalten. Die grosse demokratische Herausforderung ist dabei, die Schnellen schnell sein zu lassen. Der Föderalismus ist dafür ein wunderbares Instrument. In der einen Zelle kannst du etwas ausprobieren, das der anderen Zelle nichts ausmacht. Ein Beispiel: Zug mausert sich gerade zur Welthauptstadt von Bitcoin und Kryptowährungen. Man kann sogar amtliche Gebühren per Bitcoin bezahlen.
Genau das Dezentrale, was sonst immer als Hemmschuh dargestellt wird, müsste man uminterpretieren und noch mehr zum echten Standortvorteil machen. Wenn in Zug Rahmenbedingungen herrschen, um spannende Entwicklungen zu testen, die nachher auf der ganzen Welt funktionieren, dann können im Kanton Thurgau auch ganz andere Rahmenbedingungen herrschen.
Ich sehe ja genau wie die technologische Entwicklung auch eine Gefahr für den Mensch und die Arbeit darstellen kann, wenn wir nicht in den Ring steigen dafür.
Den Bedürfnissen der Schnellen und gleichzeitig den anderen Arbeit-gebenden Branchen nachkommen. Ist unsere Demokratie dafür flexibel genug?
Die Experimente müssen so gestaltet sein, dass sie demokratisch abgestützt und legitimiert sind. Dafür braucht es selbstverständlich Zeit: Auch wenn Computer immer schneller werden: die Demokratie wird es nicht. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir unseren Staat, unsere öffentliche Hand als Ermöglicher, als Innovator sehen können. Gesellschaftlich müssen wir daran arbeiten, dass es nicht um möglichst viel Wachstum geht, sondern darum, in welche Richtung wir wachsen.
Zurück auf den Boden. Es gibt auch Leute, die einfach einen easy Job machen und die Welt nicht mit einem Startup erobern möchten. Auch in der Innovationsstadt Zürich. Wie steht es um die?
Ich glaube, die Zürcher*innen möchten etwas bewegen. Ich glaube auch, dass immer mehr sich die Sinnfrage stellen. Kurzfristig kann man sie mit einem easy Job und «chli go reise» beantworten, wie man das eben so macht. Aber langfristig ist die Arbeit, die gute Arbeit, zusammen auf etwas hin zu arbeiten, ein extremer Sinnstifter. In unserer Wohlstandsgesellschaft steht die Erfüllung immer mehr im Zentrum, und dafür reicht mittelfristig der easy Job nicht, der einfach irgendwie überwunden werden muss. Leute wollen etwas erschaffen, das vorher so noch nie da war. In einem Wort: Innovation. Betrifft das nur eine kleine Gruppe? Oder sind das nicht doch immer mehr, die so ticken? Ich glaube, das hat was mit dem Horizont zu tun, und der wird für sehr viele Leute sehr schnell sehr viel weiter.
Apropos Überwinden. Im neuen Positionspapier deiner Partei, der SP, steht da ein ganz altes Konzept: Kapitalismus überwinden. Wie passt das zum IT-Unternehmer, der doch auch nach Wachstum seiner Firma strebt?
Ich glaube wir müssen mit dem Kapitalismus ringen. In diesem Ringkampf müssen wir die Errungenschaften in der Gesundheitsversorgung und der Altersvorsorge verteidigen und stets weiter ringen. Was wir hier machen ist für mich ein Teil davon. Eine Wirtschaft anzustreben, die für die Menschen da ist und im besten Sinn produktiv ist und Werte schafft. Eine Wirtschaft, die nicht einfach etwas Geld herumschiebt und aus sinnentleerten Bullshitjobs (A.d.R.: David Graeber und Bullshitjobs) besteht. Eine Wirtschaft, die nicht destruktiv ist, sondern sinnvoll.
Darum bin ich als Tech-Unternehmer in dieser Partei. Ich sehe ja genau wie die technologische Entwicklung auch eine Gefahr für den Mensch und die Arbeit darstellen kann, wenn wir nicht in den Ring steigen dafür. Wird automatisiert was automatisiert werden kann, dann wird der Faktor Kapital der einzig bestimmende. Genau dort will ich mich einsetzen, weil das ein falsches Verständnis von wertvoller Wirtschaft wäre.
So jetzt muss ich meine Tochter von der Krippe abholen.
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