Das war die Pitch-Night «Nachtschwärmer:innen aufgepasst!»
Städte sind nicht nur Lebensraum für Menschen, sondern auch für zahlreiche Wildtiere – von Igeln über Fledermäuse bis hin zu Wildschweinen. Doch wie kann urbanes Leben auch für Tiere funktionieren? An der Pitch-Night im Kulturpark gaben sieben Expert:innen Antworten.
Fliegende Glühwürmchen, eine eindrückliche Demonstration verschiedener Lichtintensitäten und packende Tierfotos – die Pitch-Night im Kulturpark nahm das Publikum mit überraschenden Einblicken in die Tierwelt unserer Städte mit.
In unseren Städten leben mehr Tiere, als man vermutet – doch ihr Lebensraum ist bedroht durch Lichtverschmutzung, fehlende Rückzugsorte und mangelnde Vernetzung. Im Kulturpark zeigte die Pitch-Night des Verbunds Lebensraum Zürich (VLZ) im Rahmen des Festivals «Abenteuer Stadtnatur», wie Städte tierfreundlicher gestaltet werden können.
Sieben Expert:innen präsentierten in jeweils sieben Minuten ihre Ansätze für eine lebenswerte Stadt – auch für ihre tierischen Bewohner:innen. Moderator Stefan Heller, Leiter des Naturzentrums Neeracherried bei BirdLife Schweiz, führte durch den Abend.
1. Anouk Taucher – Projektleiterin StadtWildTiere Zürich
«Freie Bahn für Igel!»
Igel zählen zu den typischen Stadtbewohner:innen – nicht, weil sie die urbane Hektik lieben, sondern weil sie in Gärten, Hecken und Gebüschen wertvolle Rückzugsorte finden. Städte, Agglomerationen und Siedlungsräume bieten solche Strukturen – doch sie sind zunehmend voneinander isoliert. Zäune, Mauern und versiegelte Flächen versperren den nachtaktiven Tieren den Weg – mit gravierenden Auswirkungen auf Nahrungssuche, Fortpflanzung und Wanderverhalten. Die Folgen sind alarmierend: Seit 1992 ist die Igelpopulation in Zürich um rund 40 Prozent zurückgegangen, der verfügbare Lebensraum hat sich um 17 Prozent verringert.
Anouk Taucher plädiert in ihrem Pitch für mehr Durchlässigkeit im städtischen Raum: Ein faustgrosses Loch im Gartenzaun, das Entfernen einzelner Zaunlatten oder kleine Trittsteine über Treppen können Igeln wieder freie Bahn verschaffen. So kann jede:r mit einfachen Mitteln viel bewirken – und dafür sorgen, dass die nächtlichen Schnüffler:innen auch künftig durch die Zürcher Quartiere wandern.
2. Jasmin Joshi – Leiterin Institut für Landschaft und Freiraum (ILF)
«Nachtdunkle Korridore in der Landschaft: Lebensadern für Biodiversität (und unsere Gesundheit)»
Kaum wahrnehmbar, aber mit weitreichenden Folgen: Lichtverschmutzung ist längst ein ernstzunehmendes Umweltproblem. Jasmin Joshi zeigt in ihrem Pitch, wie künstliches Licht ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringt. Nachtaktive Tiere verlieren ihre Orientierung, Pflanzen treiben verfrüht aus und werden frostempfindlich. Auch Fische und Insekten sind davon betroffen.
Joshi empfiehlt nachtdunkle Korridore und gezielte Beleuchtung mit warmem, gelborangem Licht – möglichst bodennah, nicht in Büsche oder in den Himmel strahlend. Ihre Botschaft: Licht nur dort und dann, wo es wirklich nötig ist – zum Schutz all jener, die im Dunkeln leben.
3. Fabian Kern – Wildhüter Grün Stadt Zürich
«Das Wildschwein – gross(artig) und (un)sichtbar»
Wildschweine sind längst keine scheuen Waldbewohner:innen mehr. In den vergangenen Jahrzehnten haben sie sich stark vermehrt und neue Lebensräume erschlossen – auch im urbanen Raum. Seit 2011 werden sie zunehmend in Stadtteilen wie Affoltern oder Höngg gesichtet. Verantwortlich für ihre Ausbreitung sind ihre hohe Reproduktionsrate, der Wegfall natürlicher Begrenzungen sowie milde Winter und ganzjährig verfügbares Futter.
Dabei übernehmen Wildschweine wichtige ökologische Aufgaben: Sie durchwühlen Böden, schaffen offene Flächen, verwerten Kadaver und fördern die Biodiversität. Doch ihre Nähe zum Menschen bringt auch Herausforderungen mit sich – etwa Schäden in der Landwirtschaft, Konflikte in Siedlungsgebieten und ein erhöhtes Unfallrisiko im Verkehr.
Für Wildhüter:innen wie Fabian Kern ist der Auftrag klar: Ackerkulturen schützen, Schadflächen gezielt bejagen – und eine dauerhafte Stadtpopulation vermeiden. Es gilt, ein sensibles Gleichgewicht zu halten zwischen Artenvielfalt und urbaner Sicherheit.
4. Madeleine Geiger – Projektleiterin SWILD
«Lebendige Nacht: Wildtiere in der Stadtlandschaft»
Madeleine Geiger stellt die spannenden Ergebnisse eines schweizweiten Forschungsprojekts vor, das in Zürich, Lausanne und St. Gallen mithilfe von Fotofallen die nächtliche Tierwelt in urbanen Gebieten dokumentiert hat. Die Aufnahmen enthüllen eine erstaunliche Vielfalt: Von Füchsen und Igeln über Eichhörnchen bis hin zu Wald- und Wasserspitzmäusen – viele kleine Säugetiere sind in den Städten heimisch.
Die zentrale Erkenntnis: Rund 70 % der Wildtierarten, die man sonst in ländlichen Gebieten findet, leben auch in urbanen Räumen. Städte sind damit wertvolle Lebensräume – vorausgesetzt, sie bieten ausreichend Grünflächen, Rückzugsorte und naturnahe Strukturen.
Doch künstliches Licht wird zunehmend zum Problem, besonders für lichtempfindliche Arten wie Fledermäuse. Madeleine Geiger unterstreicht daher die Bedeutung einer durchdachten Stadtplanung mit dunklen Rückzugsräumen, grünen Korridoren und möglichst wenig Störungen. Ihr Ziel: eine Stadt, die nicht nur für Menschen, sondern auch für Wildtiere lebenswert ist – Tag und Nacht.
5. Salomé Stauffer – Projektleiterin StadtWildTiere
«Mitten unter uns: Die verborgene Welt der Fledermäuse»
Fledermäuse leben verborgen und sind nachtaktiv. Ihre Unterschlüpfe sind oft kaum grösser als ein Daumen. Als einzige Säugetiere mit aktivem Flug navigieren sie mithilfe von Ultraschall durch die Dunkelheit – für Menschen unhörbar. Wie diese Rufe klingen, demonstriert Salomé Stauffer während ihres Pitches mit einem Hörbeispiel.
In der Schweiz gibt es rund 30 Fledermausarten, von denen etwa die Hälfte bedroht ist. Hauptursachen sind der Verlust von Lebensräumen wie alten Bäumen, Lichtverschmutzung und der Rückgang ihrer Hauptnahrungsquelle, der Insekten. Jede Nacht vertilgen Fledermäuse bis zu 2000 Insekten und leisten so einen wertvollen Beitrag zum ökologischen Gleichgewicht.
Einige Arten, etwa die Wasserfledermaus, haben sich sogar an das städtische Leben angepasst: Sie leben unter Brücken und jagen über Wasserflächen.
Salomé Stauffer betont die Wichtigkeit von Schutzmassnahmen und störungsarmen Rückzugsorten, damit Fledermäuse auch weiterhin ungestört in unserer Nähe leben können.
6. Lukas Schuler – Leiter Geschäftsstelle Dark-Sky Switzerland
«Lichthölle oder Dunkelgesundheit»
Mitten auf der Bühne holt Lukas Schuler eine Deckenlampe hervor – und demonstriert live, wie unterschiedlich Lichtintensitäten und -farben wirken können. Kaltweiss, neutralweiss, warmweiss: Anschaulich zeigt er den Unterschied und erklärt, dass die meisten Menschen am Abend warmweisses Licht bevorzugen, weil es dem Feuer ähnelt.
Problematisch sind kaltweisse LED-Strassenlaternen: Ihr hoher Blauanteil stört nachtaktive Tiere wie Fledermäuse und Insekten. Da diese Rotanteile im Licht kaum wahrnehmen, wäre warmweisses Licht für sie deutlich verträglicher.
Mit Dark-Sky Switzerland setzt sich Schuler für einen bewussteren Umgang mit künstlichem Licht ein: Beleuchtung soll nur dort und dann eingesetzt werden, wo sie wirklich nötig ist – gezielt, gut abgeschirmt und dynamisch steuerbar. So bleibt die Nacht auch für Tiere und Menschen erlebbar.
7. André Ducry – Projektleiter Artenförderung BirdLife Schweiz
«Nacht unter Strom: Vögel im falschen Licht»
Jährlich ziehen rund 50 Milliarden Vögel – allein zwischen Europa und Afrika sind es etwa 5 Milliarden. André Ducry veranschaulichte in seinem Pitch mit eindrücklichen Videos, wie enorm die nächtliche Flugaktivität der Vögel ist.
Vögel orientieren sich nachts vor allem nach Geräuschen, Gerüchen oder – bei den meisten Arten – nach den Sternen, sogar an der Rotation des Sternenhimmels.
André Ducry macht auf die Herausforderungen aufmerksam, die künstliches Licht für Zugvögel mit sich bringt, und betont, wie wichtig der Schutz ihres nächtlichen Lebensraums ist.
Hier gibt's die ganze Pitch-Night als Video.
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Vera hat an der Universität Zürich Politikwissenschaft und Geschichte der Neuzeit studiert. Während ihres Studiums engagierte sie sich als Vorstandsmitglied im Fachverein Polito, wo sie verschiedene Events organisierte und Diskussionen zu aktuellen politischen Themen mitgestaltete. Ihr Interesse an Medien und politischer Teilhabe führte sie in den Bereich Civic Media, wo sie seit April 2025 als Praktikantin tätig ist.