«Humanitäre Katastrophe» – das sagt die Stadtzürcher Politik zum Krieg in Gaza

Die Lage in Gaza beschäftigt die Zürcher Stadtpolitik. Während linke Parteien humanitäre Unterstützung für die Bevölkerung im Kriegsgebiet fordern, kritisieren Bürgerliche das Vorpreschen auf Gemeindeebene.

Eine Palästina-Flagge weht im Wind.
In der Schweiz demonstrieren aktuell immer wieder Menschen gegen den Krieg in Gaza. (Bild: Unsplash/Delia Giandeini)

Am Samstag, 7. Juni findet in Zürich eine Demonstration gegen den Krieg in Gaza statt – organisiert von verschiedenen pro-palästinensischen Kollektiven. Eine der Kernforderungen: das Ende einer Zusammenarbeit der Schweiz mit Israel. Nur so könne der «Genozid am palästinensischen Volk sofort gestoppt werden», heisst es unter einem Post auf dem Instagramaccount des Palestine Comitees Zurich

So weit will sich die Stadtzürcher Politik nicht aus dem Fenster lehnen. Zwar forderten vergangenen Mittwoch die Fraktionen SP, Grüne und AL den Stadtrat auf, zu prüfen, erneut einen «substanziellen Beitrag» für humanitäre Hilfeleistungen zu spenden, doch welche Rolle die Stadtpolitik im Gaza-Krieg einnehmen soll, darüber sind sich die Parteien uneinig.

Druck auf Bundesrat wächst

«Wir haben gehofft, dass angesichts der katastrophalen Lage in Gaza alle Fraktionen des Gemeinderats das Postulat unterstützen», sagt der Grünen-Gemeinderat Martin Busekros zwei Tage später am Telefon. Stattdessen geht er nun davon aus, dass die SVP einen Ablehnungsantrag stellen wird.

Obwohl ihm bewusst sei, dass Hilfsgüter aktuell nur bedingt nach Gaza gelangen und Spenden nicht zum Ende des Krieges führen, zeigt sich Busekros enttäuscht über die Reaktionen seiner Ratsmitglieder: «Es ist das Mindeste, das wir von Zürich aus für Menschen in den betroffenen Gebieten machen können.»

Ähnlich sieht das Severin Meier von der SP. Nachdem die Stadt Zürich letztes Jahr bereits 580’000 Franken an Hilfsorganisationen in Gaza gespendet hat, hofft Meier jetzt, dass sie auch dieses Jahr einen Beitrag sprechen wird. Der Stadtpolitiker findet es zudem richtig, dass Gemeinden und Kantone Druck auf den Bundesrat ausüben, um eine klarere Haltung einzunehmen: «Im Gazastreifen herrscht eine humanitäre Katastrophe.»

Meiers Partei formulierte Ende Mai einen offenen Brief, der den Aussenminister Ignazio Cassis zum Handeln aufrief. Über 135’000 Menschen unterschrieben den Appell. Es sollte nicht das einzige Schreiben bleiben.

So forderten Menschenrechtsorganisationen vom Bundesrat, dass dieser seinen «völker- und menschenrechtlicher Verpflichtungen» nachkommen solle. Mitunterzeichnerinnen des Briefes waren unter anderem die Alt-Bundesrätinnnen Micheline Calmy-Rey und Ruth Dreyfuss. 

Und vor wenigen Tagen kritisierten ehemalige und aktuelle Mitarbeitende seines eigenen Departements Cassis zurückhaltende Haltung gegenüber Israel und forderten konkrete Massnahmen im Sinne der Genfer Konventionen und der Uno-Resolutionen. Auch warnten sie im Brief vor «ethnischer Säuberung und genozidalen Prozessen», wie es im Blick heisst.

«Als Parlamentarier:innen werden wir nicht müde, auf Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen.»

Tanja Maag, AL-Gemeinderätin

Dass die Landesregierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen aufgerufen werden muss, bezeichnet die Gemeinderätin Tanja Maag von der AL als «sehr befremdlich». Trotzdem befürwortet sie die Bestrebungen aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen. Die offenen Briefe seien Ausdruck von Mitgefühl und Menschlichkeit – und deshalb «enorm wichtig», so Maag.

Dabei nimmt sie auch die Stadtpolitik in die Pflicht: «Als Menschen und Parlamentarier:innen werden wir nicht müde, auf Konflikte oder Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen. Grenzen spielen dabei keine Rolle.»

«Aussenpolitik ist nicht die Sache der Gemeinden» 

Anderer Meinung ist die GLP-Gemeinderätin und Co-Parteipräsidentin Selina Frey. Politischer Druck auf globale Konflikte und humanitäre Krisen kann ihrer Ansicht nach vor allem auf nationaler und internationaler Ebene ausgeübt werden.

Aber: «Wir befürworten ein finanzielles Engagement seitens der Stadt grundsätzlich, allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass aktuell vor allem die sichere Verteilung der Hilfsgüter die zentrale Herausforderung ist.» Deshalb habe die grünliberale Fraktion das Postulat der linken Parteien nicht mitunterzeichnet, unterstützen jedoch die Forderung.

Als städtische Partei wolle man vor allem auch die Auswirkungen des Konflikts in der Stadt thematisieren: «Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 beobachten wir einen Anstieg sowohl antisemitischer als auch antimuslimischer Vorfälle hier vor Ort», schreibt Frey. Ihre Partei fokussiere sich deshalb in erster Linie auf die Menschen und das Leben in Zürich.

Eine Ansicht, die auch die FDP vertritt: «Unser zentrales Anliegen ist ein friedliches Miteinander in Zürich», schreibt der Parteipräsident und Gemeinderat, Përparim Avdili.

Ausserdem habe die Stadt Zürich nur beschränkte Mittel, um in Form von humanitärer Hilfe Beiträge zu leisten – diese sollten im möglichen Rahmen verschiedenen Krisenregionen zugutekommen. Deshalb habe seine Partei das Postulat nicht mitunterzeichnet und werde es voraussichtlich auch nicht unterstützen, wenn es zur Abstimmung kommt, so Avdili.

Ebenfalls keine Unterstützung gibt es von Rechtsaussen. Auf Anfrage schreibt die Parteipräsidentin der Stadtzürcher SVP, Susanne Brunner: «Aussenpolitik ist Sache des Bundes, nicht die Sache der Gemeinden. Vorstösse zu aussenpolitischen Themen im Stadtparlament sind darum nicht sachgerecht.»

Kritik an Stadt wegen UNRWA-Gelder

Bereits vor einem Jahr kritisierten bürgerliche Parteien die Forderung von Links, dem Hilfswerk der Vereinten Nationen «Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten», kurz UNRWA, aus der Stadtkasse zu überweisen. Als die Spende in der Höhe von 380’000 Franken dann im vergangenen November von der Stadtregierung getätigt wurde, reichte die FDP Beschwerde beim Regierungsrat ein. 

Auch in diesem Fall werde die Stadt das Postulat der linken Fraktionen prüfen, wenn es vom Gemeinderat überwiesen werde, schreibt der Medienverantwortliche des Stadtpräsidiums, Lukas Wigger, auf Anfrage.

Die Entwicklung der humanitären Lage in Gaza bestürze auch den Stadtrat, weshalb man sich Anfang Juni ebenfalls mit einem Schreiben an den Bundesrat gewandt hatte. Auf die Initiative der Städte Genf und Lausanne unterzeichneten insgesamt 36 Gemeinden die Erklärung – neben Zürich auch Städte wie Bern oder Luzern.

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2024-02-27 Isabel Brun Redaktorin Tsüri

Ausbildung zur tiermedizinischen Praxisassistentin bei der Tierklinik Obergrund Luzern. Danach zweiter Bildungsweg via Kommunikationsstudium an der ZHAW. Praktikum bei Tsüri.ch 2019, dabei das Herz an den Lokaljournalismus verloren und in Zürich geblieben. Seit Anfang 2025 in der Rolle als Redaktionsleiterin. Zudem Teilzeit im Sozialmarketing bei Interprise angestellt.  

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