Beschwipste Schnitzeljagd – Bartour durchs Niederdorf
In Zürich gibt es eine Schnitzeljagd – allerdings mit Alkohol anstelle von Schnitzel. Das nennt sich dann Schwipsel-Jagd. Tsüri.ch hat sich für euch ins das Abenteuer gestürzt. Eine Spielkritik und eine kleine Geschichte.
Im Leben einer Journalist*in gibt es immer wieder diese Aufträge, die einen aus dem Komfort der eigenen vier Wände locken. Sie führen einen auf die kalten, nassen und dreckigen Strassen hinaus ins reale Leben. Damit stellen sich stets die existenziellen Fragen: Wer bin ich? Was mache ich in meinen Leben? Wie kann ich so tun, als hätte ich journalistische Integrität, wenn ich eigentlich einfach nur gratis trinken will?
Eines dieser Abenteuer ist die Schwipsel-Jagd von Zürich Tourismus. Eine Bartour mit Rätsel. Chefredaktor Timothy Endut und ich schnallten unsere Gürtel enger und tranken für unsere Karriere.
Das Abenteuer beginnt
Samstag, 19.00 Uhr, -2 Grad Celsius, 0 Promille. Im Tourismusbüro am Hauptbahnhof wird uns mit einem freundlichen Lächeln ein Couvert übergeben, darin vier A4-Seiten mit Text. Ein Mann namens Midi Gottet begrüsst uns schriftlich. Uns erwarte das Lösen von Rätseln und das Trinken von Alkohol – insgesamt acht Aufgaben, die uns wiederum in acht Bars locken, in welchen wir acht Coupons einlösen können. Ziemlich simpel dieses Konzept und laut Gottet: «Mein bescheidener Beitrag, meine Heimat- und Lieblingsstadt Zürich mit einem kulturellen Mehrwert zu segnen.»
Eine Segnung also mit dem Spiritus in den heiligen Trinkstuben Zürichs. Doch Gottet ist kein Pfarrer, auch wenn sein Name darauf hinweisen könnte. Nein, Gottet ist ein Komiker. Ein Schweizer Komiker. Dabei weiss jedes Kind, dass in der Schweiz Komik und Gastfreundschaft verboten sind. Auf was haben wir uns bloss eingelassen?
Die erste Bar
Unser erster Hinweis führt uns zu «L’ange protecteur» von Niki de Saint Phalle – von Gottet uncharmant als «dicke blaue Frau» mit einem Gewicht von 1,5 Tonnen (laut zürich.com sind es allerdings 1,2 Tonnen) beschrieben. Gottet hält ein kleines Zahlenrätsel bereit. Rasch merken wir, dass wir zu kompliziert denken. Wir folgen weiter den Anweisungen auf dem Blatt und landen in der ersten Bar, in der wir den nächsten Hinweis suchen und einen Shot trinken. Damit ist die Mechanik des Spiels wirklich eindeutig.
Der Startpunkt der Schwipseljagd: «L’ange protecteur» von Niki de Saint Phalle.
Zürich Tourismus liegt damit voll im Trend, denn die Gamification von Konsum ist allgegenwärtig. Manchmal werden Punkte verteilt, manchmal ist das Spiel der Konsum an sich. Beispielsweise beim Onlinehändler Digitec wird man für die Einkäufe und für das Engagement in der Community belohnt; so kann man Level um Level aufsteigen und Achievements holen.
Kaum haben wir mit dem ersten Shot unsere Kehlen befeuchtet, öffnet sich die Tür und sieben Freundinnen betreten die Bar – sie sind ebenfalls auf der Schwipsel-Jagd. Sieben. Eine wichtige Ziffer in der Zahlensymbolik des Christentums. Dann Alkohol, das Grundnahrungsmittel einer jeden Christ*in. Dann Gottet, der Komiker, der kein Pfarrer ist. Von Zufall kann kein Reden sein. Womöglich werden wir zwei Atheisten getauft und gereinigt aus diesem Spiel heraustreten.
Wir begrüssen kurz die sieben Freundinnen, die sich selbst «forever 24» nennen – nein, «Winti-Warriors». Na was jetzt? Wir reden nicht lange. Unsere Wege werden sich sicher noch kreuzen. Kreuzen. Das Kreuz. Christliche Symbolik. Etwas scheint faul an der Schwipsel-Jagd. Welches Spiel wird hier mit uns gespielt?
Hoch oben am Berg thront der nächste Hinweis.
Die zweite Bar
Von einer kleinen Ahnung geleitet, folgen wir den weiteren Hinweisen zur nächsten Bar. Allerdings haben wir tatsächlich mit einer anderen gerechnet. Da wir uns (natürlich) im Niederdorf befinden, sind unsere Kenntnisse der lokalen Spelunken eher dürftig. Doch Bar zwei überzeugt uns wenigstens mit Charme und wir trinken unseren Gratis-Shot, die saure Schlange und noch ein Bier darauf. Auffällig ist, dass der Samstag wohl ein eher ungünstiger Tag für die Schwipsel-Jagd ist, da doch einige NPCs – also Non-Playable-Characters in diesem Spiel – ebenfalls Durst verspüren. Auf die Frage, wie viele Schwipsel-Jäger*innen die Barkeeperin bereits begrüssen durfte, kam als Antwort: «Etwa 90 Shots in den letzten drei Monaten.»
Die dritte und vierte Bar
Wir machen uns auf zur nächsten Bar. Während wir zunächst einige Schritte in Richtung See stolpern, wird Gottets Rätsel plötzlich poetisch: «Geradeaus noch ein paar Häuser ihr nun schreitet. Den Pianoklängen geleitet.» Yada, yada, yada... Wir finden den Schuppen – und auch rasch wieder hinaus. Denn nebst dem abgelöschten Barpersonal und den Wodka-Shots hat diese Bar ein Interieur mit unheimlichem Charakter. Kronleuchter, roter Spannteppich, Piano in der Mitte und schwarze Frauenstatuen, die die Lampen halten. Es ist unangenehm.
Der Vodka-Shot ist der unspektakulärste Shot dieses Abends.
Die Hinweise für Bar vier sind eindeutig, zielstrebig gehen wir auf sie zu. Dort wollen wir wieder verweilen. Wir trinken Bier und bekommen schliesslich ein Kompliment des Barkeepers, der uns als «frisch» bezeichnet. Den Schwipsel-Jäger*innen der ersten Stunde habe er noch Absinth gegeben, doch viele Jäger*innen seien schon bei Bar vier recht parat und würden nur noch nach Wasser lechzen. Schade um den Absinth. Aber auch einem geschenkten Bier schaut man tief ins Glas. Die Trinklust steigt und damit auch das Verlangen, gemütlich und faul über unserem Bier zu sitzen. Doch eigentlich sind wir hier, um zu arbeiten. Glücklicherweise kann uns der nette Barkeeper etwas aushelfen und gibt uns direkt den QR-Code, den wir irgendwo in dieser Bar hätten finden sollen.
Bloss Bier statt Absinth.
Die fünfte, sechste und siebte Bar
Wir eilen hinaus und direkt in die «Winti-Warriors», die uns als langsam bezeichnen, obwohl wir klar einen Vorsprung haben. Aber das ist kein Rennen... zumindest noch nicht. Und wenn es eines wäre, dann würden wir noch sehen, wer als Erstes am Ziel ist. Wir ziehen weiter und verirren uns zum ersten Mal. Eigentlich hätten wir unsere Schritte zählen und nach weiteren Zahlen Ausschau halten sollen. Wir sind verloren. Während wir mit offenen Mündern im Regen stehen und etliche Male Gottets Text lesen, macht sich Panik breit.
Die vier A4-Seiten Text: Nicht immer war klar, wo's hingehen soll.
Wir folgen der Spur zurück und erkennen die «Winti-Warriors», die gerade die fünfte Bar gefunden haben. Chapeau! Wir tun es ihnen nach. Zum ersten Mal heute Abend stellt uns ein Barkeeper die Frage: «Wollt ihr einfach den Shot oder bleibt ihr noch etwas? Ich kann euch gerne eine Karte geben.» Doch uns fehlt die Zeit dafür, in der vollen Bar zu bleiben. Wir sind auf einer Mission. Einer göttlichen Mission.
Mit einer Nasenlänge voraus finden wir vor den Winti-Warriors die sechste Bar. Wir trinken den obligatorischen Shot, finden den Hinweis und trinken noch ein Bier. Plötzlich überkommt mich meine journalistische Intuition: Ich könnte die Winti-Warriors nach ihrer Meinung fragen. Was für ein journalistischer Geniestreich. Rasch kommt ein Schulterzucken, begleitet von der Antwort: «Ja, ist ok. Gottets Witze sind... okay. Von einer Skala von 1 bis 10 gebe ich der Schwipsel-Jagd eine 6.5.» Wir können nicht zustimmen. Ein schönes Gespräch. Bezahlt haben sie für den Spass jeweils 55 Franken. Ich beende das Interview und wir brechen auf.
Schon wieder ein Shot: Dafür sind sie meist gut gefüllt.
In der siebten Bar, die mit Abstand die schönste Bar mit dem besten Personal ist, erwartet uns ein sehr viel Zeit konsumierendes Rätsel. Timothy fand den Hinweis prompt, da er von einem Gast neben ihm darauf aufmerksam gemacht wurde. Wir kümmern uns mit vollem Eifer um unser Rätsel und verspüren den Unmut der Winti-Warriors. Einer der Coupons kann für einen Snack eingelöst werden. Allerdings ist er nur bis 23 Uhr gültig. Es ist bereits halb elf. Was nun? Hier soll sich also die Spreu vom Weizen trennen.
Die achte Bar
Mit Zeitdruck im Genick eilen wir zur nächsten Bar, die eigentlich gar keine ist. Dennoch lösen wir den Coupon ein und geniessen unsere Biere sowie die Gratis-Wurst mit Brot. Auch die «Winti-Warriors» trudeln ein und sind offenbar erleichtert. Es ist kurz vor elf. Da wir in einem persönlichen Gespräch über unsere Beziehungen zu unseren Eltern sind – was für ein Klischee –, erkennen wir gar nicht, dass wir die Schwipsel-Jagd erfolgreich beendet haben. Nach acht Shots und sechs Bieren endet mit dieser Wurst die Jagd. Gottet gratuliert zur exzellenten Trinkfestigkeit.
Zur Belohnung erhalten wir Bier und Wurst.
Laut der Eidgenössischen Alkoholverwaltung EAV wurde im Jahr 2016 in der Schweiz pro Kopf 54,9 Liter Bier getrunken. Das sind 2,6 Liter reiner Alkohol pro Kopf nur mit Bier – was im weltweiten Vergleich gar nicht mal so viel ist. Auch die trinkfesten «Winti-Warriors» freuen sich über ihren Erfolg und sind mit uns einig, dass wir eigentlich noch in eine weitere Bar gehen könnten.
Einen Coupon hätten wir nämlich noch: Einen Voucher für einen Club. Club oder Bar, eine weitere wichtige Entscheidung. Wir verschenken den Voucher. Kein Club – nicht für uns. Zusammen mit den «Winti-Warriors» lassen wir die abenteuerliche Suche nach Inhalt im Leben hinter uns. Wir waren erfolgreich. Trotzdem noch nicht erfüllt durch die Schwipsel-Jagd, entschwinden wir dem Niederdorf in Richtung Langstrasse, wo wir weiter trinken werden.
Die Schwipsel-Jagd ist, was sie ist. Eine kleine, aber feine Tour durch das Herz Zürichs. Man lernt neue Bars kennen, löst die Rätsel und wenn man mit einem platten Humor gesegnet ist, so könnte man tatsächlich über Gottets Witze schmunzeln. Für 55 Franken bekommt man etwas zu essen und acht Drinks. Ziemlich solider Preis.
Alle Bilder von Timothy Endut
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