Trauerarbeit im Königreich der Zukunft
Der junge Zürcher Damien Hauser hat mit minimalstem Budget und kreativem KI-Einsatz ein afrofuturistisches Märchen gedreht. Jetzt hat er es damit gleich an die grossen Filmfestivals in Venedig und Toronto geschafft.
Wie sich das Kino (und mit diesem die Welt) in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird, scheint ausgemachte Sache zu sein: Leicht zugängliche, leistungsfähige KI-Programme demokratisieren die weltweite Filmproduktion, das schon länger kränkelnde Hollywood geht endgültig unter. Alle, selbst die Ärmsten, können jetzt mit Filmen ihre Geschichten erzählen, was zu zahlreichen erzähltechnischen Innovationen führt. Ab 2040 wird man einen Film dem Programm gegenüber bloss noch beschreiben müssen, um ihn Realität werden zu lassen.
Die Menschheit jedoch wird mit diesem Überangebot nicht umgehen können, depressiv werden und schliesslich einen Krieg anzetteln mit dem Ziel, zu den alten, vertrauten Formen zurückzukehren. Die konservativen Gewinner werden schliesslich jegliche nach 2040 entstandene KI-Technologie verbieten und auch noch gleich die Monarchie wieder einführen.
So weit die Vorgeschichte von «Memory of Princess Mumbi», die im Film selbst allerdings gar nicht auftaucht. Der Film – bereits der vierte des 24-jährigen Zürchers Damien Hauser – spielt 2093, mehrere Jahre nach dem «grossen Krieg», während des Drehs eines Dokumentarfilms im afrikanischen Königreich Umata. Es treten auf: der Filmemacher, eine Prinzessin, die diesen auffordert, seinen Film ganz ohne Hilfe von KI zu drehen, sowie ein Prinz, dem diese zur Heirat versprochen ist.
Langsam entspinnt sich eine gar nicht so märchenhafte Dreiecksgeschichte, wobei sich der Film nicht gross mit diesem Plot aufhält, sondern via pseudodokumentarische Aufnahmen von trügerisch leichten Momenten eine zart-poetische Stimmung irgendwo zwischen freundschaftlicher Entspanntheit und sanfter Melancholie der Erinnerung schafft – wobei alles, was wir sehen, von der Warte eines Ereignisses in noch weiterer Zukunft aus erinnert wird.
Der Verlust des Bruders
Tatsächlich stehe die Erinnerung an eine geliebte Person im Zentrum, sagt Damien Hauser im Gespräch wenige Tage vor der Weltpremiere des Films in Venedig. Als vor zwei Jahren sein jüngerer Bruder bei einem Unfall gestorben sei, habe er sich intensiv mit seiner Erinnerung an ihn auseinandergesetzt – insbesondere mittels der unzähligen Stunden Videomaterial, die er gedreht habe, seit er als Siebenjähriger von seinem Vater eine Digitalkamera geschenkt bekommen habe.
Beim Betrachten der Aufnahmen merkte er, dass er sich an die meisten dieser Momente kaum erinnerte: «Bei sehr wichtigen oder bei schwierigen Momenten lässt man ja normalerweise keine Kamera laufen. Darum handelte es sich fast nur um ‹unnötige› Aufnahmen von ‹unbedeutenden› Momenten. Aber gerade solche machen ja ein Leben aus. Davon handelt der Film.»
Hauser, der für seine Verhältnisse «schon megalang, also zwei Jahre» keinen Film mehr gemacht hatte, schrieb ein kurzes Drehbuch mit Science-Fiction-Plot und reiste nach Kenia, wo er mit Freund:innen und Familienmitgliedern den Film drehte. Ohne konkrete Erwartungen oder Absichten, wie der Sohn eines Schweizers und einer Kenianerin sagt: «Ich habe ihn für mich gemacht, zur Ablenkung. Ich war nicht verkrampft, unbedingt einen guten Film zu machen, sondern wollte einfach eine schöne Zeit haben.»
Kulissen aus dem Rechner
Auch Geld war so gut wie keines im Spiel. Hin- und Rückflug finanzierten ihm zwei Filmfestivals, die Hausers vorherigen Film «After the Long Rains» (2023) zeigten. Während des Drehs teilte Hauser ein Doppelbett mit dem Hauptdarsteller und dem Mann seiner Cousine, und mit dem wenigen Geld, das er zur Verfügung hatte, konnte er wenigstens seiner kenianischen Crew einen «easy Lohn» bezahlen, von dem man dort gut leben könne. Erst danach, als verschiedene Leute das Material sahen und begannen, «den Film zu pushen», sei das Budget gewachsen, um insbesondere den Ton zu retten, der sei «mega Katastrophe» gewesen.
Wie aber dreht man ohne Geld einen Science-Fiction-Film, der in einem zukünftigen Afrika spielt und dafür doch zumindest glaubwürdige Kulissen benötigt? Möglich macht es ausgerechnet die KI. Ganz anders jedoch, als man denken würde – und vor allem origineller. Fast zur gleichen Zeit, als Hauser seinen Bruder verlor, habe er wegen eines Unfalls zwei Monate zu Hause verbringen müssen.
Er begann, mit KI-generierten Bildern zu experimentieren, wurde immer besser darin, seine Vorstellungen von fremden und zukünftigen Welten in Prompts zu übersetzen, und kam bald einmal auf die Idee, diese als sogenannte Matte Paintings für einen Film zu benutzen. Dabei handelt es sich um einen eigentlich sehr alten Filmtrick mit gemalten Hintergrundkulissen – auch die heute allgegenwärtige Green-Screen-Technik ist eigentlich eine Weiterentwicklung davon, wobei in Hollywoodproduktionen jeweils enorme Effektbudgets dafür veranschlagt werden.
«Memory of Princess Mumbi» dagegen ist buchstäblich homemade: Die Effekte sind dezent und keinesfalls perfekt, und sie beharren auch nicht auf Realismus. Und doch gelingt dem jungen Regisseur, der seit seinem siebten Lebensjahr ununterbrochen Filme macht, weil ihm sonst «etwas fehlt», wie er sagt, etwas bislang relativ Einzigartiges: Er zeigt, dass unter den richtigen Voraussetzungen mit jener vermeintlich seelenlosen Technologie, deren rasend schnelle Entwicklung auch Hauser «crazy und beängstigend» findet, echte und vor allem neue filmische Poesie möglich ist.
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