Abstimmungen 30. November

Quartierleben im Umbruch: Das Familienzentrum Elch in Zürich Nord

Transformation, Baustellen, Bevölkerungswachstum: Im sozial durchmischten Zürich Nord will der Verein Elch Begegnung und Vernetzung fördern – und setzt bei den Familien an. Ein Besuch vor Ort.

Elch Familienzentrum Affoltern
Der Standort Frieden ist eines von sechs Familienzentren des Vereins Elch. (Bild: Nina Graf)

Das Stimmengewirr im Familienzentrum Elch streitet um Aufmerksamkeit mit den Autos auf der Wehntalerstrasse, die draussen vorbei brausen. 

Zwei Geschwister verhandeln mit ihrer Mutter um den Erwerb eines Lollipops. In der Spielecke belädt ein Mädchen im Prinzessinnenkleid den Plastiklastwagen. Auf den Tischen liegen Darvida-Packungen, Mandarinenschalen und Schnabeltassen.

Flora und Besa sind Mütter von gleichaltrigen Kindern und kommen seit vielen Jahren hierher an den Standort Frieden. «Während die Kinder spielen, können wir schwatzen», sagt Flora. Gerade jetzt, wo es kalt wird, gebe es hierfür nicht viele Alternativen im Quartier.

Am 30. November stimmt die Stadtzürcher Stimmbevölkerung über die weiterführende Finanzierung des Elch ab. Denn die Szene in der Cafeteria in Affoltern berührt eine grössere Frage: Wie kann ein Quartier trotz Baustellen und Ersatzneubauten ein Zuhause für seine Bevölkerung bleiben? 

Arbeiterquartier wird durchmischter Stadtteil

Zürich Nord hat in den letzten dreissig Jahren einen tiefgreifenden Wandel durchlebt – vom Landwirtschafts- und Industriegebiet zum aufkommenden Stadtteil. 38 Prozent der Wohnungen in Affoltern wurden in den letzten dreissig Jahren gebaut. Das Gebiet «Neu Oerlikon» auf der Nordseite des Bahnhofs ist eines der grössten städtischen Entwicklungsgebiete der Schweiz.

Zur gleichen Zeit entstand aus einer Müttervereinigung in Neuaffoltern der gemeinnützige Verein Elch für «Eltere und Chind».

Spielzeug Lastwagen Kindergarten Kita
Unterstützung im Alltag mit Kleinkindern sowie Vernetzung ist der Auftrag des Vereins. (Bild: Nina Graf)

Mittlerweile gibt es sechs Zentren, fünf davon in den Kreisen 11 und 12. «Bei der Gründung waren die meisten Mütter Familienfrauen, die schon lange in Zürich Nord wohnten», sagt Lena Jansen, Geschäftsführerin des Vereins. «Sie suchten einen Raum ausserhalb der eigenen vier Wände – einen, an dem sie sich mit ihren Kindern treffen konnten, ohne etwas konsumieren zu müssen.» Heute arbeiten viele Mütter und viele Familien sind neu im Quartier.

An diesem Punkt setzt der gemeinnützige Verein an: Er bietet Unterstützungsangebote für den Alltag mit Kleinkindern und will Familien im Quartier miteinander vernetzen.

Es sind Familien, deren Ausgangslage sehr unterschiedlich ist. 

«Die ersten Kinderjahre können eine isolierende Erfahrung sein: Man wird aus seinem Alltag geworfen, merkt aber gleichzeitig, wie das Sozial- und Berufsleben weiterläuft.»

Lena Jansen, Geschäftsführerin Elch

Heute zieht der Stadtteil ennet dem Milchbuck immer mehr Gutverdienerhaushalte an. Gleichzeitig weisen die Quartiere Affoltern, Saatlen, Schwamendingen-Mitte, Seebach und Hirzenbach mitunter die höchsten Sozialhilfequoten in Zürich auf.

«Schon ein paar freie Stunden tun gut»

Regelmässige Befragungen zeigten, dass der Elch eine Vielzahl an Besucher:innen erreicht, sagt Geschäftsführerin Jansen; gut verdienende, wie auch sozioökonomisch benachteiligte Haushalte, Menschen aus über 40 Nationen. 

Denn die Herausforderung, die in den ersten Lebensjahren eines Kleinkindes entstehe, sei für alle gleich – egal, welchen Status die Familie habe, so Jansen. «Man wird aus seinem Alltag geworfen, merkt aber gleichzeitig, wie das Sozial- und Berufsleben weiterläuft. Das kann eine isolierende Erfahrung sein.»

Mutter Kind Kita
Anna ist mit ihrer Familie vor Kurzem erst nach Zürich gezogen. (Bild: Nina Graf)

Ein Blick auf das schwarze Brett beim Zentrumseingang zeigt, wie der Verein die Eltern unterstützen will. Babyturnen, Grittibänz backen, Elternbildungskurse, aber auch Kinderbetreuung für einen freien Freitagabend – ein niederschwelliges Angebot. «Jede:r mit Kleinkindern weiss: Schon ein paar freie Stunden tun gut», sagt Jansen. Vor allem dann, wenn das persönliche Netzwerk fehlt. 

Eine von ihnen ist Anna. Für den älteren Sohn sucht sie einen Platz in der Kita in der Gegend, das Baby auf ihrem Schoss ist erst wenige Monate alt. Weil ihr Mann in Zürich eine neue Stelle fand, ist die vierköpfige Familie vor Kurzem von Deutschland nach Zürich gezogen. «Nach unserem Umzug habe ich mich schnell nach einem Angebot umgeschaut, wo ich Leute kennenlernen kann.»

Vorlage grundsätzlich unumstritten

Finanziert wird der Verein neben Spenden und Mitgliederbeiträgen hauptsächlich durch die Stadt. Ende November entscheidet die Zürcher Stimmbevölkerung, ob der Leistungsvertrag verlängert wird, sowie das jährliche Budget von rund 1,97 Millionen Franken um 355’500 Franken erhöht werden soll.

Die Vorlage ist grundsätzlich unstrittig. Alle Parteien haben sich für eine Verlängerung ausgesprochen – einzig die SVP legte ein Nein ein. Zwar unterstützt auch sie das Angebot, sprach sich aber gegen die zusätzlichen Mittel aus, da diese «nicht verhältnismässig» seien, wie Michele Romagnolo (SVP) im Gemeinderat zu Protokoll gab.

Geplant sind längere Öffnungszeiten, neue Bildungsangebote und eine moderne digitale Infrastruktur. Die Weisung schaffe Stabilität und Planungssicherheit, so die Mehrheitsmeinung im Parlament. Zudem sollen die tiefsten Gehälter auf ein angemessenes Mindestlohnniveau angehoben werden. 

Der Stadtrat spricht in seinem Argumentarium von «Begegnungsorten der frühen Kindheit» – Orten, die eine niederschwellige Begegnung zwischen Familien im Quartier ermöglichen und so einen wichtigen Beitrag zur Integration und Vernetzung untereinander und im Quartier leisten.

Die Cafeteria in Affoltern will aufzeigen: Ein Quartier entsteht nicht zwischen Baugespannen, sondern durch Menschen, die miteinander in Beziehung treten.

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