Fehlentscheid: Stadtrat will kein Grundeinkommen
Die Zürcher Regierung will nicht, dass in der Stadt ein wissenschaftlich begleitetes Pilotprojekt mit dem Grundeinkommen durchgeführt wird. Begründung: Arbeit ist wichtig. Warum diese Argumentation falsch ist, aber nicht überraschend kommt.
«Erwerbsarbeit bleibt zentral für die Existenzsicherung», heisst es in der Medienmitteilung zum Stadtratsbeschluss vom Mittwoch, 8. September. Mit diesem Argument stellt sich die Regierung gegen die Volksinitiative mit dem Namen «Wissenschaftlicher Pilotversuch Grundeinkommen».
Diese fordert, dass in der Stadt Zürich mindestens 500 Personen während drei Jahren ein Grundeinkommen erhalten und dieser Versuch wissenschaftlich begleitet wird. Im Mai 2021 wurde die Initiative von einem überparteilichen Komitee mit rund 4000 Unterschriften eingereicht, nötig gewesen wären nur 3000.
Nun lehnt unsere linke Regierung das Experiment also ab – entschieden ist noch nichts, das Volk wird an der Urne entscheiden. Das Nein mit dem Argument, dass die Leute doch bitteschön arbeiten sollen, um ihr Leben zu bestreiten, überrascht vielleicht auf den ersten Blick. Auf den zweiten und dritten Blick ist die Argumentation aber logisch. Der Reihe nach.
Wir leben in Zürich, der Stadt des Reformators Ulrich Zwingli. Dieser schrieb: «Arbeit ist etwas Gutes, etwas Göttliches.» Was damals fortschrittlich war, ist es heute nicht mehr. Dennoch prägt dieser zwinglianische Arbeitsethos (und auch der calvinistische Arbeitsethos) bis heute unseren Alltag: Wer viel arbeitet ist cool, wer weniger machen will, gilt als faul. Diese Einstellung ist offenbar auch unter linken Mitgliedern der Regierung verbreitet – und nicht nur dort.
Linke Politiker:innen haben auch, abgesehen von Zwingli und Calvin, eine enge und existenzielle Beziehung zur Lohnarbeit. Die Linke definierte sich historisch als die Partei der Arbeiter:innen, ist mit den Gewerkschaften verbandelt und setzt sich noch immer für die Rechte der arbeitenden Bevölkerung ein. Dies ist auch richtig so. Für ihre eigene Legitimation brauchen die Linken also Menschen, die arbeiten und sich über ihre Arbeit definieren.
Wenn der Stadtrat also argumentiert, die Erwerbsarbeit bleibe «das wichtigste Element der Existenzsicherung», dann meint er damit vor allem sicher auch sich. Nur weil die Menschen heute arbeiten müssen, um ihre Existenzen zu sichern, heisst das noch lange nicht, dass es einfach so bleiben muss. Natürlich werden wir neue Lösungen finden müssen, natürlich werden wir Menschen uns an neue Lebensformen gewöhnen müssen und ja, das müssen wir alles auch finanzieren.
Die Volksinitiative für einen wissenschaftlich begleiteten Pilotversuch ist eine gute Gelegenheit, mal etwas Neues zu probieren; befristet und begleitet. Was soll schon schief gehen?
P.S. Ich schreibe bewusst nur von den linken Mitgliedern in der Stadtregierung. Erstens, weil diese die Mehrheit haben und zweitens, weil wir ja alle wissen, dass die Bürgerlichen möglichst viel Arbeit eh cool finden.
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An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Lara. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.