Lass uns über unsere Ängste reden, Züri!

An normalen Tagen hängen wir Zürcher*innen in Cafés, Bars und Clubs ab und erzählen einander, wie gut es gerade läuft in unserem Leben. Doch seit Montagabend sind die meisten Geschäfte und Lokale für mindestens einen Monat geschlossen. Gerade Selbständige lässt der Bundesrat in Unsicherheit. Sie brauchen jetzt unsere Unterstützung, denn sie sind es, die unsere Stadt zu dem machen, was sie ist.

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Als erstes traf es die Kultur- und Eventbranche. Sämtliche Veranstaltungen in Clubs, Museen, Theater und Kinos...bis mindestens am 19.April wurden abgesagt. Den Betreiber*innen von Clubs und Eventlokalen fehlen nun Einnahmen. Selbständige Musiker*innen, DJs, Türsteher*innen, Dekorateur*innen, Tontechniker*innen und Grafiker*innen verloren von heute auf morgen sämtliche Aufträge für mindestens die nächsten paar Wochen.

Bars und Restaurants sind ab heute geschlossen. Damit bricht diesen Betrieben der Umsatz von einem Tag auf den nächsten komplett weg. Die Löhne der Festangestellten müssen die Betreiber*innen Ende Monat trotzdem bezahlen. Nicht wenige Zürcher Student*innnen und Künstler*innen halten sich ausserdem mit Bar- und Restaurantjobs über Wasser – manche im Stundenlohn ohne Festanstellung. Sie trifft es als erstes.

Geschäfte, Coiffeursalons, Tattoostudios – ausgenommen sind Lebensmittelläden und Apotheken – sie alle müssen ebenfalls schliessen. Die Ladenmieten in Zürich sind hoch. Gerade kleine Läden ohne finanzielles Polster trifft es hart, wenn der Umsatz für mindestens einen Monat komplett wegbricht. Wer Glück hat, führt bereits einen Onlineshop, sowie einen Newsletter und kann den Stammkund*innen mit Rabattcodes das Online-Shopping schmackhaft machen.

Wie lange reichen meine Ersparnisse? Wird mich der Staat für Ausfälle entschädigen? Wenn ja, bis in welche Höhe? Kann ich aufs RAV oder muss ich aufs Sozialamt? Wie lange muss ich warten, bis ich mein Geld erhalte? Der Bundesrat sagt, er sei sich des Problems bewusst, wolle Gelder sprechen. Konkrete Antworten würden bald folgen. Er appelliert an unsere Geduld. Die Zürcher Kantonsratsfraktionen haben sich gestern in einer gemeinsamen Medienmitteilung an den Regierungsrat gewandt und schnelle und unkomplizierte Massnahmen gefordert. Doch momentan herrscht Unsicherheit.

Über die Angst, Schwäche zu zeigen

Genau diese selbständigen Menschen ohne Festanstellung und sichere Bürojobs sind es, die unsere Stadt zu einer Stadt machen, die für ihre Grösse ein sehr vielfältiges Kultur-, Party- und Einkaufsangebot zu bieten hat, auf welches wir mächtig stolz sind. Sie sind es, die unserer Stadt die Coolness geben, auf die wir insgeheim so stolz sind. Genau sie brauchen uns jetzt. Und sei es nur eine positive Botschaft, ein Anruf, ein «ich bin mit dir», um die Zeit der Unsicherheit zu überbrücken.

Wir Zürcher*innen sind oft zu cool, zu stolz, um über unsere Angst zu sprechen. Über Geld spricht man nicht, über Geldnot schon gar nicht.

Wenn man auswärtige Leute fragt, würden manche das Zürcher Sozialleben als konstantes «social distancing» beschreiben. Wir sind nicht gerade dafür bekannt, Neuzuzüger*innen mit offenen Armen zu begrüssen. Das wird uns oft als Arroganz angekreidet, doch ich glaube vielmehr, dass wir hinter unserer coolen Fassade zu schüchtern und unsicher sind. Unsere wenigen, engen Freund*innen sind unser ein und alles – sie geben uns Halt in dieser Stadt, in der man keine Schwäche zeigen darf. Es ist einfach, sich in Zürich einsam zu fühlen. Doch wir würden es niemals zugeben.

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Es ist Zeit «die Hosen runterzulassen». Bild: zvg

«Ich bin für dich da. Alles wird gut.»

Nun haben wir wegen Corona eine nie dagewesene Situation, die uns vor neue Herausforderungen stellt. Es ist Zeit, umzudenken. Es ist Zeit, Schwäche zu zeigen und füreinander da zu sein.

Eure Resonanz auf unsere «Gern gscheh - Tsüri hilft»-Gruppe auf Facebook ist überwältigend. In erster Linie geht es darum, älteren Menschen zu helfen. Doch dann geht es auch schlicht und einfach darum, einander zu helfen. Habt keine Angst eure Sorgen zu teilen.

Auch Tsüri.ch ging es zeitweise finanziell nicht gut. Unsere Crowdfundings waren nicht einfach ein lustiger PR/Marketing-Gag. Es gab Momente, da sassen wir als Redaktion zusammen und es war alles andere als lustig. Jobs und Ersparnisse standen auf dem Spiel. Doch ihr habt uns immer wieder aus der Patsche geholfen, sodass wir heute noch immer hier sind und euch nun etwas zurückgeben können. Wenn du irgendeine Idee hast, wie wir dich mit unserer Reichweite unterstützen können, lass es uns wissen.

Wenn du die Kraft hast, nimm dir in den nächsten Tagen etwas Zeit und überlege dir, was eigentlich deine Fähigkeiten sind, mit der du die Community bereichern kannst. Bist du selbständig und möchtest dein Wissen über «Selbstdisziplin im Homeoffice» weitergeben? Bist du durch den «Lockdown» arbeitslos geworden und möchtest der Community von deinen aktuellen Erfahrungen mit dem RAV berichten? Bist du DJ und möchtest eine virtuelle Silent Disco organisieren? Hast du einen Online-Shop und würdest gerne in einem Listicle erwähnt werden oder anderen dabei helfen einen solchen aufzubauen? Bist du Mami/Papi und möchtest deine Erfahrungen mit Homeschooling teilen? Schreibst du seit Jahren Tagebuch und möchtest anderen Tipps geben, wie es am besten klappt? Ich bin überzeugt, dass wir zusammen auf ganz viele gute Ideen kommen werden, die zudem den Corona-Lockdown überdauern und unsere Stadt zu einem sozialeren Ort machen.

Abgesehen davon wäre doch jetzt der Moment, einander ganz unzürcherisch zu sagen, wie gerne wir einander haben. Oder eben auch einmal zu sagen «ich habe Angst», «ich fühle mich einsam», «ich brauche Hilfe». Und zu antworten: «Ich bin für dich da. Alles wird gut.» Und schon bald hängen wir Zürcher*innen wieder in Cafés, Bars und Clubs ab und trauen uns dann hoffentlich auch mal ausserhalb nationaler Krisenzeiten über unsere Ängste oder mit Zugezogenen zu reden.

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Postkarte des Wohlgroth Areals. Bild: zvg

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