«Musiker:innen sind Social-Media-Plattformen komplett ausgeliefert»
Zwölf Monate, 24 Songs. Der Zürcher Musiker Pablo Nouvelle hat dieses Jahr jeden Monat zwei neue Lieder produziert und veröffentlicht. Im Interview mit Tsüri.ch schaut er zurück auf ein intensives Jahr: Hat sich das Experiment gelohnt?
Nach einem Jahr, in dem Pablo Nouvelle jeden Monat zwei Songs geschrieben, produziert und veröffentlicht hat, erscheinen diesen Freitag die letzten zwei Songs. Der Interviewtermin findet im Studio von Fabio Friedli, wie Pablo Nouvelle mit bürgerlichem Namen heisst, in der Zentralwäscherei Zürich statt.
Zwischen Keyboards, Synthesizern, einem Mellotron («das macht einen geilen Sound, klingt ein bisschen nach den Beatles») und dem wichtigsten Arbeitsinstrument, dem Laptop, produziert der 39-Jährige Musik, die sich zwischen den Genres bewegt. Sie klingt mal elektronisch, mal gitarrenlastig, mal nach Pop. Immer wieder arbeitet er mit anderen Künstler:innen zusammen, zum Beispiel mit der norwegischen Sängerin Aurora, Andreya Triana und Marina & the Diamonds aus Grossbritannien oder der Schweizer Musikerin Nnavy.
Nina Graf: Am Freitag erscheinen die beiden letzten Songs. Dann ist das Projekt «2025» abgeschlossen. Wie ist die Gefühlslage?
Pablo Nouvelle: Meine Gefühle sind gemischt. Ich bin zufrieden mit dem Ergebnis, aber auch traurig, dass «2025» jetzt zu Ende ist. Gleichzeitig war’s anstrengender, als ich zu Beginn gedacht habe.
Warum? Ich habe in diesem Jahr mit vielen Künstler:innen zusammengearbeitet. Die meisten kannte ich davor nicht, sondern habe sie einfach angeschrieben. Die Zusammenarbeit mit den anderen Artists führte zu Resultaten, die ich mir alleine nicht hätte vorstellen können. Ich liebe es, so Musik zu machen. Die Koordination und Planung, die dieser Arbeitsmodus verlangt, vor allem wenn man das ein Jahr macht und weiss «Am Ende des Monats muss der Song stehen», war aber anstrengend.
Der Dezember-Song ist mit Nemo. Wie kam es dazu?
Ich freue mich mega, dass diese Zusammenarbeit geklappt hat. Nemo und ich sind schon lange befreundet, haben viele Male zusammengearbeitet. Darum ist es schön, den Abschluss mit Nemo als Collab-Partner zu haben. Der Weg dahin war aber kompliziert.
Erzählen Sie.
Der gemeinsame Song war schon lange vereinbart, doch Nemo befand sich nach dem ersten Album-Release im Oktober, dem ersten seit dem Eurovision-Sieg 2024 noch im Ausland. Lange war unklar, ob wir den Song für Dezember schaffen. Schlussendlich haben wir ihn einen Tag vor Abgabe bei mir im Studio fertig gemacht.
Sie haben jeden Monat zwei Songs veröffentlicht, ohne Ausnahme. Hält Qualität so starre Vorgaben aus?
An einem Album arbeitest du über mehrere Monate hinweg. Singles hingegen sind in sich geschlossen und zeigen, wie du dich jetzt gerade fühlst. Das Projekt hiess ursprünglich «Sketchbook»: Etwas skizzieren, festhalten, aber nicht im «Overthinken» untergehen.
Mit dem Projekt kritisieren Sie auch, dass Alben im Streaming-Zeitalter immer unwichtiger werden, weil einzelne Songs dank Algorithmen durchstarten – trotzdem machen Sie mit. Ich hoffte, dass mit diesem Rhythmus die Stücke immer fresh sind und dafür sorgt, dass einzelne Songs mehr Aufmerksamkeit erlangen. Aber ehrlich gesagt: Heute muss man ein Megastar sein, damit ein Album noch wahrgenommen wird. In gewisser Weise haben wir es mit dem Projekt auf die Spitze getrieben.
Welche Reaktionen gab es auf das Projekt? Schwer zu sagen. Da ich gerade keine Konzerte spiele, sondern «nur» digital veröffentliche, fühlt sich alles mega entkoppelt an. Und Feedback über Social Media ist nochmal ein schwieriges Thema.
Sie haben ihre Social-Media-Präsenz deutlich verstärkt, um die Songs zu bewerben. Was haben Sie daraus gelernt?
Content zu produzieren. Dieses Jahr war vor allem ein Studium in Sachen Social Media.
«Dieses Projekt hat mir gezeigt, dass die Dinge schon gut kommen. Und wenn es dann doch mal nicht gut wird, gibt es immer ein nächstes Mal.»
Pablo Nouvelle
Das klingt, als wäre das Fazit nicht wohlwollend. Als Musiker:innen sind wir auf diese Plattformen angewiesen – und ihnen gleichzeitig komplett ausgeliefert. Videos, auf denen ich mir einen Kaffee rauslasse, können mehr Views bekommen als solche, in die ich in einen guten Hook und eine Dramaturgie investiere, um neue Leute zu erreichen. Es ist tragisch, dass wir Künstler:innen kein anderes Tool haben, um unsere Musik zu promoten.
Konzerte zu spielen, wäre eine Alternative. Es war eine bewusste Entscheidung, dass ich dieses Jahr keine Gigs spiele. Letztes Jahr war ich mit Nativ (Anmerkung Rapper aus Biel) auf Tournee. Nun wollte ich auch aus familiären Gründen eine Pause von diesem Leben nehmen; von langen Nächten und jedem Wochenende in einer anderen Stadt.
Das alles klingt ziemlich stressig. Hängen Sie das Musikersein nun an den Nagel?
Auf keinen Fall. Musik zu machen ist das, was ich liebe. Gerade dieses Projekt hat mir gezeigt, dass die Dinge schon gut kommen. Und wenn es dann doch mal nicht gut wird, gibt es immer ein nächstes Mal.
Und wie klingen die zwei letzten Songs für den Monat Dezember?
Gitarrenriffs, 80s Beats, Synthies und darüber Nemos Pop-Sound. So schön und kitschig, dass es manchmal fast schon in den Wahnsinn kippt. Passend zu diesem Jahr.
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Aufgewachsen am linken Zürichseeufer, Master in Geschichte und Medienwissenschaft an der Universität Basel. Praktikum beim SRF Kassensturz, während dem Studium Journalistin bei der Zürichsee-Zeitung. Wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem SNF-Forschungsprojekt zu Innovation im Lokaljournalismus. Seit 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von We.Publish. Seit 2023 Redaktorin bei Tsüri.ch.