Die Weltkugel im Hals: Ein Theaterstück über globale Ungleichheit

Die globale Ungerechtigkeit ist eine unbequeme Realität, die privilegierte Mitteleuropäer:innen oft in die Bredouille bringt. Wie gehen sie mit dem Wohlstand angesichts der globalen Ungerechtigkeit um? Davon handelt das Stück im «sogar theater».

Ursina Greuel sogar Theater Zürich
Ursina Greuel hat 2018 zusammen mit Tamaris Mayer die Leitung des sogar Theaters übernommen. (Bild: Jenny Bargetzi)

Wie begegne ich Menschen, die nichts haben, als jemand, der alles hat? Sollten wir auf Smartphones verzichten, weil wir die Produktionsbedingungen kennen? Wie viel Mitgefühl braucht es, um politische Veränderungen zu bewirken?

Um diese Fragen dreht sich das Stück «In meinem Hals steckt eine Weltkugel», das am Donnerstag, 27. Februar, im «sogar theater» Premiere feiert. Das Stück – geschrieben von Gerhard Meister und inszeniert von Ursina Greuel – beleuchtet den Umgang der privilegierten Mitteleuropäer:innen mit der globalen Ungerechtigkeit und konfrontiert das Publikum mit dem Elend inmitten der wohlhabenden Schweiz.

Greuel, die seit 2018 mit Tamaris Mayer das Theater leitet, inszeniert das Werk und nutzte dazu einen im deutschsprachigen Raum eher ungewöhnlichen Probenansatz: In nur drei Wochen erarbeitete das Ensemble das Stück. «Das hat nicht nur finanzielle Gründe, es macht uns auch radikaler in unseren Entscheidungen», erklärt Greuel. «Man überspringt die Phase, in der man so tun muss, als wüsste man alles. Stattdessen teilen wir unsere Unsicherheiten und kommen dadurch weiter.»

Die Inszenierung mischt Satire, Spoken Word, Musik und Theater. Sie fordert das Publikum heraus, über die eigene Position in einer ungerechten Welt nachzudenken und verspricht, kollektive Lähmung durch Musikalisierung der Fragen und Humor zu durchbrechen.

sogar theater zürich kreis 5 langstrasse
Das sogar theater wurde 1998 als Literaturtheater gegründet. Es befindet sich an der Josefstrasse im Kreis 5. (Bild: Jenny Bargetzi)

Jenny Bargetzi: Wie begegnen Sie persönlich dem Elend, besonders hier in der Umgebung des Theaters an der Langstrasse?

Ursina Greuel: Als Privatperson stecke ich im gleichen Dilemma wie alle anderen. Ich versuche zunächst wahrzunehmen, was um mich herum geschieht. Grundsätzlich halte ich es für wichtig, Missstände strukturell anzugehen – etwa durch günstige Notschlafstellen oder mehr Arbeitsangebote. Im Alltag setze ich mir Richtlinien, merke aber, dass sie nicht immer funktionieren.

Was für Richtlinien sind das?

Zum Beispiel, wenn mich eine Person um Geld bittet und ich denke, dass die Person sicher weniger Geld hat als ich, dann gebe ich ihr etwas. Aber wenn am selben Tag die dritte Person kommt, dann bin ich schon weniger freigiebig. Ich spüre eine grosse Unsicherheit und Unzufriedenheit mit mir selbst, weil ich merke, dass es natürlich am angenehmsten wäre, gar nicht mit diesen Umständen konfrontiert zu werden.

Das Stück behandelt vor allem die globale Ungerechtigkeit. Ein Thema, das oft besprochen wird. Was macht ihr Stück besonders?

Das Interessante und gleichzeitig Herausfordernde ist, dass unsere Aufführung Dinge ausspricht, die wir alle wissen und schon oft gedacht haben. Wir kennen die globale Ungerechtigkeit und wissen, dass unser Konsumverhalten sie verstärkt. Trotzdem ändern wir unser Verhalten kaum, weil wir glauben, als Einzelperson wenig bewirken zu können. Wir sind in einer Denkspirale gefangen. Gerhard Meister bringt diese Denkspirale auf die Bühne und beleuchtet unsere Hilflosigkeit.

«Das Stück ist satirisch, da es den Figuren eigentlich nicht um die globale Ungerechtigkeit geht, sondern um ihr Wohlbefinden.»

Ursina Greuel

Die Herausforderung besteht darin, diese bekannten Gedanken, diese Denkspirale auf unerwartete Art zu beleuchten. Und das Publikum dafür zu öffnen, seine eigenen Gedanken neu zu betrachten.

«In meinem Hals steckt eine Weltkugel» ist ein satirisches Stück. Wie passt das mit Mitgefühl und Schuldgefühl zusammen?

Das Stück ist satirisch, da es den Figuren eigentlich nicht um die globale Ungerechtigkeit geht, sondern um ihr Wohlbefinden. Denn sie suchen verzweifelt einen Weg, wie sie ihren Gerechtigkeitsanspruch mit ihrem Lebensalltag verbinden können. Die Satire hilft dabei, Themen wie Mitgefühl, Schuldgefühl und Scham zugänglicher zu machen. Wir versuchen auf der Bühne, diese Gefühle durch Satire auszubalancieren. Wir wollen weder mit dem moralischen Zeigefinger auf das Publikum zeigen, noch in Selbstmitleid verfallen. Der Theaterabend soll auch Spass machen – man lacht über die Figuren und dadurch auch über sich selbst.

Ihr Bühnenbild ist schlicht, Sie verzichten auf szenografische Elemente und setzten stattdessen auf Musik. Warum?

Unser Stück ist ein Spoken-Word-Musik-Theater. Das heisst, der Text ist sehr rhythmisch und musikalisch geschrieben, was wir durch einen Perkussionisten auf der Bühne noch verstärken. Ich glaube, dass sich Zuschauer:innen gegenüber Musik leichter öffnen können als gegenüber direkten Aussagen.

In meinem Hals steckt eine Weltkugel sogar theater Zürich
Ursina Greuel verzichtet auf szenografische Elemente und setzt stattdessen auf Musik. (Bild: Palma Fiacco)

Können Sie das näher erläutern?

Wenn jemand sagt: «Du musst dein Handy wegschmeissen, weil es den Rohstoff Coltan enthält», löst das sofort Abwehr aus und wir verschliessen uns, auch wenn die Aussage erkennbar satirisch gemeint ist. Musik hingegen umgeht diese Mechanismen. Sie lässt Gedanken zu, die wir auf rein intellektueller Ebene vielleicht ablehnen würden. Die Musik erleichtert es uns, uns für unbequeme Wahrheiten zu öffnen. Sie schafft einen Raum, in dem wir empfänglicher für neue Perspektiven sind.

Wie setzen Sie den Anspruch des Sogar Theaters um, Randgruppen eine Stimme zu geben?

In unserem Gesamtspielplan achten wir stets darauf, verschiedene Perspektiven abzudecken. Das hängt auch mit unserem Standort zusammen: Wir befinden uns im Kreis 5, dem Zürcher Stadtteil mit der höchsten sprachlichen und nationalen Diversität. Diesem Umfeld wollen wir gerecht werden. Europa ist nicht nur der stereotype weisse Mann. Deshalb habe ich ein Team zusammengestellt, das in Bezug auf Geschlecht, Alter und ethnische Herkunft möglichst vielfältig ist.

Das Stück wirft viele Fragen auf, beantwortet aber wenige. Was wollen Sie damit erreichen?

Das haben wir in den Proben auch ständig diskutiert. Natürlich wollen wir Antworten! Wir haben aber keine – weder der Autor noch wir. Im besten Fall erreichen wir, dass man neu hinhört und die eigene Hilflosigkeit nicht mehr so leicht akzeptiert. Vielleicht entsteht daraus Hoffnung oder der Wunsch, etwas zu ändern, sei es auch nur im Kleinen. Unser Ziel ist es, dass das Publikum nach der Vorstellung über das Thema spricht, nicht über die Schauspieler:innen oder das Bühnenbild.

Wie gehen Sie in Ihrem Theaterstück mit der Hoffnungslosigkeit um, die viele Menschen angesichts globaler Probleme empfinden?

Besonders junge Menschen, die sich kritisch mit der Weltsituation auseinandersetzen, verfallen oft in Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Sie haben die längste Zukunft vor sich und leiden am stärksten unter dem Mangel an Lösungen für globale Probleme. Die überfüllten Jugendpsychiatrien und die langen Wartezeiten für Therapieplätze zeigen das deutlich.

Ein Thema, das auch Zürich stark betrifft. Wie gehen Sie in Ihrem Theaterstück darauf ein, dass junge Menschen angesichts weltweiter Probleme oft hoffnungslos sind?

Wir gaukeln keine einfachen Antworten vor, stattdessen ermutigen wir dazu, weiter nachzudenken – nicht verzweifelt, sondern mit einer gewissen Neugier und Erkenntnisdrang. Unser Ziel ist es, einen konstruktiven Umgang mit diesen schwierigen Themen zu finden, der weder in Resignation noch in Aktionismus verfällt.

Schauspieler:innen sogar Theater
Die Schauspieler:innen Gulshan Sheikh, Fabio Santos, Krishan Krone, Lilian Fritz und Lou Bihler. (Bild: Elly Kontoleon)

Welche Rolle spielt hier das Theater?

Theater kann das scheinbar Unrealistische vorstellbar machen. Und je vorstellbarer etwas wird, desto eher wird es realisiert. Grosse zivilisatorische Errungenschaften wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurden zunächst als Idee belächelt und verspottet. Nur weil es genügend Menschen gab, die daran glaubten, wurde sie nach jahrelangem Ringen ratifiziert. Was wir brauchen, ist Phantasie.

Was macht für Sie ein gutes Theaterstück aus?

Als Zuschauerin will ich in die Stimmung hineingezogen werden, nicht nur Beobachterin bleiben. Meine Fantasie soll angeregt werden, ich will involviert sein – sei es durch Rührung, Amüsement oder sogar Wut.

Müssen sich die Zuschauer:innen auf das Stück vorbereiten?

Nein, man soll einfach kommen. Wenn man Lust hat, sich mit Gedanken zur globalen Ungerechtigkeit zu befassen und Spass an Selbstironie hat, wird es ein vergnüglicher Abend. Trotz der brisanten Inhalte ist es ein musikalisches und beschwingtes Stück.

Im Tsüritipp vom 26. Februar findest du News und Events zur Kultur in Zürich.

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Kommentare

PH
26. Februar 2025 um 18:39

Konkret sein

Neben Kultur kann man aktiv gegen die globale Ungerechtigkeit angehen, wenn man konkret die Entwicklung der BRICS und BRICS+ sowie die neue polyzentrische Weltordnung unterstützt. Dabei kann man härtestens unter die Räder kommen, wie ich selber feststellen musste, nicht nur von Rechten oder Konservativen, auch von Linken. Trotz Meinungsäusserungsfreiheit und Menschenrechten. Fehler und Irrtum gehören dazu. Ich glaube nicht, dass man mit dem Allgemeinen etwas verändern kann, sondern Veränderungen bedingen notwendigerweise das Konkrete und das Konkretsein.