Zürichs Kampf gegen die Hitze: Ein Mehrgenerationenprojekt
Wie weiter mit der Hitzestadt Zürich? Dieser Frage ging Tsüri.ch am 17. Mai im Kulturpark Zürich im Rahmen unseres Fokusmonats «Hitzestadt» nach. Mitdiskutiert haben die Direktorin Grün Stadt Zürich Christine Bräm, der Empa-Forscher Dominik Brunner, die grüne Gemeinderätin Monika Bätschmann und Mitinitiantin der Stadtklima-Initiativen Tonja Zürcher.
Nach einem gemeinsamen Stadtspaziergang, der von Alexander Kochan der Grün Stadt Zürich geleitet wurde, besammelten sich rund 40 Menschen im Kulturpark Zürich. Grund dafür war eine Podiumsdiskussion im Rahmen unseres Fokusmonats «Hitzestadt». Auf der Bühne standen die Direktorin der Grün Stadt Zürich, Christine Bräm, Empa-Forscher Dominik Brunner, Gemeinderätin der Grünen Monika Bätschmann und Mitinitiantin der Stadtklima-Initiative von Umverkehr, Tonja Zürcher. Die freie Journalistin Samantha Zaugg moderierte den Abend.
«Es muss ein Ruck durch die Stadt gehen»
Los ging es mit der Frage, ob und wie sich die Stadt Zürich in den nächsten Jahren verändern wird. «Es muss ein Ruck durch die Stadt gehen. Die Stadt Zürich muss grüner werden», so Christine Bräm. Dieser Meinung ist auch Dominik Brunner: Es brauche mehr entsiegelte Flächen, mehr Bäume und weniger Asphalt. Doch das benötige Zeit. Es sei ein Mehrgenerationenprojekt.
Tonja Zürcher erzählte von ihrer Vision: «Das Erste, was man sehen soll, wenn man aus der Haustür geht, ist grün. Man soll Vogelgezwitscher hören und es soll einfach mal schön sein. Nicht wie heutzutage im Sommer, dass einem eine Hitzewelle erschlägt.» Ein konkreter Ansatz, erzählte Zürcher, sei es, den Platz, der heute für den Autoverkehr genutzt wird, in zehn Jahren um zehn Prozent umzunutzen. Auch wenn dies ein kleiner Teil sei.
Sieben Jahre für eine Strasse
Zur Sprache kamen auch die langen Planungsprozesse der Stadt. Die Begrünung gerate oft in den Hintergrund. Bräm erklärte, dass die Stadt viele Prozesse einhalten müsse und es nicht so einfach sei, Änderungen an einem Projekt anzupassen, wie zum Beispiel die Begrünung des Tramtrasses der Linie 20. Laut Bräm dauert ein Strassenprojekt von der Planung bis zur Umsetzung im Normalfall sieben Jahre.
Damit solche Prozesse schneller werden, braucht es laut Tonja Zürcher Initiativen wie jene von Umverkehr. In der Stadt St.Gallen, in der die Stadtklima-Initiative bereits angenommen wurde, wurden im Zuge dessen neue Gremien geschaffen, die ein Projekt von Beginn an begleiten und kontrollieren. So werde der Begrünung hohe Priorität eingeräumt.
Private und öffentliche Grundstücke
Auf die Frage, ob es bei Neubauten Empfehlungen oder Vorschriften für Hitzeminderungs-Projekte gäbe, verwies Bräm auf die Unterscheidung privater und öffentlicher Grundstücke. Die städtische Dienstabteilung habe wegen der Fachplanung Hitzeminderung gewissen Forderungen gerecht zu werden. Für private Eigentümer:innen gebe es bisher keine gesetzlichen Verpflichtungen, diesen Forderungen gerecht zu werden. Erst mit der klimaangepassten Siedlungsentwicklung werde es eine Möglichkeit geben, gesetzliche Vorgaben zu machen. Im Moment animiere die Stadt private Investor:innen mithilfe von Geld und Know-How, mehr hitzeminderne Massnahmen an ihren Bauten zu berücksichtigen.
Die Gute Luft-Inititative will pro Jahr 0,5 Prozent der Strassenraums in Grünflächen mit Bäumen umwandeln. Die Zukunfts-Initiative will pro Jahr 0,5 Prozent des Autoverkehrsraums in klimafreundlichen Verkehrsraum umwandeln. Sprich mehr Platz für Velo und Fussgänger:innen schaffen. Gemeinsam ergeben sie die Stadtklima-Initiative.
«Der Autoverkehr braucht enorm viel Platz», so Zürcher. «Vor allem, wenn in einem Auto durchschnittlich 1,1 Personen sitzen.» Somit werde viel vom teuren und knappen Stadtboden verschwendet.
Ohje, Europaallee
Dominik Brunner gab zu bedenken, dass Bäume zwar sehr wichtig seien gegen Hitze, jedoch hätten sie auch Schattenseiten. So behindern sie laut dem Forscher den Luftaustausch. Auch Dachbegrünungen seien nicht immer ideal: «Ich bin mir nicht sicher, ob grüne Dächer besser sind als helle Dächer mit einem hohen Rückstrahlvermögen», so Brunner. Seiner Meinung nach sollte man neben der Begrünung auch an hitzemindernde Optionen denken, zum Beispiel an Segel, die man als Beschattung am Tag nutzen und in der Nacht abspannen kann. So werde der Luftzyklus nicht eingeschränkt. «Wir müssen aufpassen, dass wir nicht plötzlich in jedem Gebäude eine Klimaanlage haben, die auch wieder Wärme produziert», fügte Brunner hinzu.
Als Negativbeispiel wurde auch an diesem Podium die Europaallee genannt. «Würde man heute anfangen, die Europaallee zu planen, würde man es garantiert anders machen», sagte Christine Bräm von der Stadt. Das letzte Gebäude der bestrittenen Allee wurde erst 2019 fertig gebaut. Bräm betonte, dass der Planungsprozess einer so grossen Überbauung 20 Jahre lang dauerte und es nicht möglich sei, kurzfristige Änderungen anzupassen. Sie kam noch auf einen neuen Ansatz zu sprechen. Dieser würde ein integrales Bausystem enthalten, das Regenwasser speichern kann, um bei Bedarf die Begrünung zu bewässern. «Die Idee einer Schwammstadt und der Begriff Hitzestadt sind keine neuen Erfindungen, sie sind einfach erst jetzt in der Politik angekommen», konterte Tonja Zürcher auf die Aussage von Bräm. Laut ihr muss die Stadt wegkommen von einer fixen Planung.
Die letzten Worte hatte Gemeinderätin Monika Brätschmann: «Es braucht Politik, die mitträgt, aber es braucht uns alle. Wir alle müssen auf unseren CO2-Ausstoss achten.»
Die ganze Podiumsdiskussion gibt es hier als Video.
Ausblick
24. Mai, 2023: Pitchnight: Wir brechen die Stadt auf! Ort: Karl*a der*die Grosse