3780 Franken für 3 Zimmer – Swiss Life sucht neue Mieterschaft im Kreis 4
Vor zwei Jahren kündigte die Lebensversicherung Swiss Life allen Parteien in einem prominenten Haus am Helvetiaplatz und liess es aufwändig sanieren. In wenigen Wochen stehen die Wohnungen bereit für neue Mieter:innen – zu Preisen im «mittleren bis hohen Segment».
Der Name ist vielversprechend: «Nova» – «neu» auf Latein – heisst das Projekt der Swiss Life am Helvetiaplatz im Kreis 4.
Über zwei Jahre lang liess die Lebensversicherung das prominente Haus an der Stauffacherstrasse 94/96 und der Molkenstrasse 15 umfassend sanieren. Ab November stehen die ersten der insgesamt 30 Wohnungen zum Einzug bereit.
Die Mietpreise: im mittleren bis hohen Segment. Eine 2.5-Zimmer-Wohnung mit 45 Quadratmetern gibt es ab 2440, eine 4-Zimmer-Wohnung mit 104 Quadratmetern ab 4550 Franken.
Grund für die gehobene Preisklasse sei unter anderem die zentrale Lage, die auf der Webseite als «perfekt für alle, die urbanes Lebensgefühl mit kurzen Wegen und hoher Aufenthaltsqualität verbinden möchten» beschrieben wird. Das Quartier sei «die perfekte Kulisse für ein Afterwork-Apéro».
Für die ehemaligen Mieter:innen des historischen Wohnhauses bestätigt sich damit, was sie bereits beim Zeitpunkt ihrer Kündigung vermutet haben: Die Gentrifizierung im Quartier ist in vollem Gange.
Eine 25-Millionen-Sanierung mit Folgen
Über 20 Jahre lang wohnte Josephine Kramer an der Stauffacherstrasse 96. Kramer heisst eigentlich anders, will aber nur anonym über ihren Fall sprechen. Etwas unter 2000 Franken bezahlte sie für ihre 3-Zimmer-Wohnung, als ihr und den anderen zehn Mietparteien gekündigt wurde. Das war Anfang 2023.
2012 hatte die neue Eigentümerin das Grundstück der Swiss Prime Site abgekauft – für 34,5 Millionen Franken, wie aus dem damaligen Geschäftsbericht des Immobilienunternehmens hervorgeht. Der Verkaufspreis lag über einem Drittel des ausgewiesenen «Fair Value» – also dem hypothetischen Marktpreis der Immobilie.
Zehn Jahre lang passiert an der Adresse am Helvetiaplatz nichts, dann wird klar: Die Swiss Life will das ehemalige Postgebäude totalsanieren, die Anzahl Wohnungen verdreifachen – unter anderem, indem Büros umgenutzt werden. Kostenpunkt: 25 Millionen Franken.
Kramer ahnte deshalb schon damals, dass die neuen Wohnungen um ein Vielfaches teurer sein werden, als sie sich jemals leisten könnte. Viele Monate lang suchte sie nach einer neuen Bleibe – den Wohnungsmarkt bezeichnete sie als «Vorhölle».
Auch nach ihrem Auszug hat sie das Haus nie ganz aus den Augen verloren und staunte nicht schlecht, als sie sich die Projektwebsite von «Nova» genauer anschaute: Eine ähnlich grosse Wohnung wie ihre frühere kostet nach der Sanierung mehr als das Doppelte. 3780 Franken pro Monat kosten drei Zimmer mit 78 Quadratmetern. «Wer kann sich sowas überhaupt leisten?», fragt sich Kramer.
Dass solche Mietpreise in ihrem einstigen Wohnquartier längst kein Einzelfall mehr sind, zeigt eine Stichprobe auf Immobilienplattformen: Im Monat August wurden 3- und 3.5-Zimmer-Wohnungen im Kreis 4 für durchschnittlich 3300 Franken angeboten.
Zum Vergleich: Der Median für Bestandsmieten in Aussersihl berechnete die Stadt 2024 auf 1980 Franken monatlich.
Swiss Life gehören über 5000 Wohnungen in Zürich
Bei der Swiss Life macht man keinen Hehl daraus, dass die Wohnungen an der Stauffacher- und Molkenstrasse nicht gerade günstig sind. «Die Preise orientieren sich am Markt», schreibt ein Kommunikationsverantwortlicher auf Anfrage. Zur Legitimation dienen der Versicherung die zentrale Lage, grosszügige Grundrisse und der hochwertige Ausbaustandard.
Auf der Projektwebsite können sich potenzielle Mieter:innen die frisch sanierten Wohnungen und Büros ansehen, sich durch die Grundrisse klicken und online bewerben. Mitte August waren elf der Wohnungen bereits vermietet oder reserviert. Ab 1. November beginnt der etappenweise Einzug der neuen Bewohner:innen.
Der Plan der Swiss Life scheint also aufzugehen: Aus der Liegenschaft am Helvetiaplatz ist ein Renditeobjekt geworden. Eins von vielen. In der Schweiz ist der Lebensversicherer einer der grössten Vermieter – mit knapp 40'000 Wohnungen. In der Stadt Zürich waren es 2023 über 5000, wie die Swiss Life auf Anfrage damals bestätigte.
Liegenschaft stand monatelang leer
Mit ihren Angeboten will die Swiss Life auch der Wohnungsknappheit entgegenwirken, wie ihr Chef Matthias Aellig 2024 in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger erklärte. Deshalb sei ein Drittel ihrer Wohnungen im tiefen Preissegment. Bei Sanierungen achte man zudem darauf, dass die Mieter:innen in den Wohnungen bleiben können, so Aellig. Seinen Aussagen zufolge würde das in drei Viertel der Fälle möglich sein.
Josephine Kramer nahm den Lebensversicherer weniger sozial wahr. Nach der Leerkündigung Anfang 2023 kämpfte sie darum, bis zum Baubeginn in ihrer Wohnung bleiben zu können. Trotzdem sei das Haus nach ihrem Auszug noch lange Zeit leer gestanden, erzählt Kramer.
Auch dass die Swiss Life an diesem Ort Wohnungen für Gutverdienende realisiert hat, zeige, dass sich die Eigentümerin nicht um die Zukunft des Quartiers schere.
«Nova» reiht sich in eine Liste von Bauprojekten ein, welche die Veränderung der Langstrasse anzeigen. An der Sihlhallenstrasse, unweit des Helvetiaplatzes, lässt eine Immobilienfirma mit Sitz in Meilen zwei Wohnhäuser sanieren, weshalb per Ende September 30 Mietparteien ausziehen müssen. Und an der Dienerstrasse, wo sich 20 Jahre lang der Club Zukunft befand, wird bald ein Neubau mit Shop entstehen.
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Ausbildung zur tiermedizinischen Praxisassistentin bei der Tierklinik Obergrund Luzern. Danach zweiter Bildungsweg via Kommunikationsstudium an der ZHAW. Praktikum bei Tsüri.ch 2019, dabei das Herz an den Lokaljournalismus verloren und in Zürich geblieben. Seit Anfang 2025 in der Rolle als Redaktionsleiterin. Zudem Teilzeit im Sozialmarketing bei Interprise angestellt.