«Kommerzieller Fussball ist überhaupt nicht feministisch»

Die Frauen-Fussball-EM löst in der Schweiz und in Zürich Euphorie aus. Sportjournalistin Alina Schwermer spricht im Interview über feministischen Fussball, kapitalistische Widersprüche und die Titel-Favoritinnen.

Sportjournalistin Alina Schwermer
Alina Schwermer ist freie Journalistin mit Schwerpunkt Sport und Autorin des Buchs «Futopia: Ideen für eine bessere Fussballwelt». (Bild: Marcus Simaitis)

Dominik Fischer: Rund um die EM ist in der Schweiz ein regelrechter Hype entstanden. Etliche Public Viewings sind geplant, Bund und Kantone nehmen Geld für die Sportförderung in die Hand. Aber kann diese Fussball-EM der Frauen die Gleichstellung vorantreiben? 

Alina Schwermer: So ein Grossereignis kann auf jeden Fall ein grosser Katalysator sein und eine sportliche und kommerzielle Entwicklung im Frauen-Fussball massiv beschleunigen. Durch solche Grossturniere wird auch die historische Aufarbeitung angestossen. Ob mit Recherchen, Ausstellungen oder der Würdigung von Pionierinnen. Gerade jetzt zur EM ist auch das Buch «Das Recht zu kicken» zur Geschichte des Schweizer Frauen-Fussballs erschienen, geschrieben von zwei Schweizerinnen.

Sind diese Fortschritte nachhaltig oder beobachten Sie eher einen kurzen Hype? 

Da gibt es sehr grosse Unterschiede: England hat bei der letzten Frauenfussball-EM 2022 wahnsinnig viel richtig gemacht. Sie haben fünf Jahre vorab angefangen, einen strukturierten Plan aufzubauen. Dann haben sie die erste Liga der Frauen zu einer Vollprofi-Liga gemacht und einen riesigen TV-Deal an Land gezogen. Bei der WM 2019 in Frankreich hingegen hat man sich darauf ausgeruht, dass man damals mit Olympique Lyon die absolute Übermannschaft im europäischen Frauenfussball hatte. Nach dieser WM ist praktisch nichts hängen geblieben.

Wie schätzen Sie die Schweizer Vorbereitung in diesem Kontext ein? 

Das ist für mich schwer, von aussen zu beurteilen, aber mein Eindruck der letzten Jahre ist, dass die Schweiz etwas hinterherhinkt. Das Hauptproblem ist natürlich, dass die Schweizer Frauenliga noch keine Profiliga ist. Aber es bewegt sich schon was: So werden inzwischen alle Liga-Spiele ausgestrahlt und die Frauen der Young Boys Bern spielen im grossen Stadion.

In der Schweiz sind Spielerinnen mit 2500 Franken monatlich Topverdienerinnen. Wie schaut das im europäischen Vergleich aus? 

Das ist total unterschiedlich. England ist die einzige Vollprofiliga. Auch in Deutschland ist es sehr heterogen, einige Spielerinnen beim FC Bayern verdienen fünfstellige Monatsgehälter, andere arbeiten nebenher bei einer Versicherung. Und die Unterschiede zwischen West- und Osteuropa sind noch grösser als im Männerfussball.

Clubs und Verbände müssten Frauenfussball also viel mehr fördern. Inwiefern vermischen sich da Sport und Politik, wenn es um einen Event wie die EM in der Schweiz geht?

Aus feministischer Sicht sind solche Events total zweischneidig. So ist es politisch bedeutsam, wenn Frauen sich diese Plätze erobern, in einem so männlich konnotierten Sport wie Fussball Aufmerksamkeit bekommen und Themen wie «Equal Pay», Mutterschutz oder sexualisierte Gewalt diskutiert werden.

Gleichzeitig ist dieses komplette System UEFA und der kommerzielle Fussball überhaupt nicht feministisch. Auch im Frauenfussball gibt es massive Ungleichheit und Grossclubs, die von extrem zweifelhaften Investor:innen finanziert werden. Die EM in Zürich wird unter anderem von Adidas, Amazon und Booking.com gesponsert. Da sind Sponsor:innen dabei, die massive Emissionen verursachen und Frauen ausbeuten. Das ist der grosse Widerspruch. Und natürlich gibt es gute Gründe, warum so ein Event in der Schweiz stattfindet.

Nämlich? 

Die Schweiz ist das Machtzentrum des internationalen Sports und bietet für die Verbände extrem vorteilhafte Bedingungen, wie zum Beispiel Steuerfreiheit für die UEFA. Diese Turniere sind auch Orte, wo Politiker:innen und internationale Grosskonzerne zusammenkommen und hinter geschlossenen Türen Deals aushandeln. Die Austragungsorte selbst profitieren immer viel weniger, als vorab versprochen wird. 

Wie hält man diese Widersprüche aus? In der Schweiz feiern viele linke und feministische Personen, die sonst nie Fussball schauen würden, diese EM ab.

Ich finde, man kann die EM auch kritisch hinterfragen und wissen, dass nicht alles gut ist, und sich die Spiele trotzdem anschauen und für das eigene Team mitfiebern. Ich freue mich sehr darüber, dass Frauenfussball inzwischen in vollbesetzten Stadien stattfindet.

Gleichzeitig ist es wichtig, sich den kritischen Blick zu bewahren und den Finger in die Wunde zu legen. Aber das war bei der Männer-WM in Katar nicht anders. Da fand ich es auch Quatsch, zu sagen: «Das schaue ich mir nicht an». Für die arabische Welt war das ein extrem wichtiger Event. Das muss man begleiten und zugleich kritisch darauf gucken. Ich glaube, das ist ein ganz guter Mittelweg.

Ein Fussball auf einem Fussballfeld
Am 2. Juli ist der Auftakt für die Fussball-EM der Frauen. Um 18 Uhr spielt Finnland gegen Island in der Thuner Stockhorn Arena, um 21 Uhr die Schweiz gegen Norwegen im Basler St. Jakob-Park. (Bild: Unsplash/Emilio Garcia)

So gleicht sich der Frauenfussball im Guten und im Schlechten immer mehr dem Männerfussball an. Gäbe es andere, feministische Wege, den Frauenfussball zu gestalten? Und von wo kommt dann das Geld für die Profiliga? 

Es gäbe viele spannende Wege. Aber realistisch gesehen ist der Zug komplett abgefahren. Diese Diskussion, ob man im Frauenfussball das Gleiche will, wie im Männerfussball, gab es vor einigen Jahren noch. Aber inzwischen ist man in diese Strukturen komplett hineingewachsen und die wirtschaftliche Diskussion ist überwiegend tot.

Grundsätzlich gibt es viele Alternativen, wie ich auch mit meinem Buch «Futopia: Ideen für eine bessere Fussballwelt» aufzeige. Das fängt schon damit an, dass man die Frage nach dem Profitum stellen kann. 

Spitzensport ohne Profi-Spieler:innen, das klingt tatsächlich sehr utopisch. 

Der Profisport ist etwas, das den Spieler:innen auch sehr viel nimmt. Halbprofis haben einen viel grösseren Horizont, weil sie nebenbei auch noch gesellschaftliche Beiträge leisten, Ausbildungen abgeschlossen haben, sie ein anderes Umfeld haben und näher an der Gesellschaft dran sind. Wenn wir Fussball überbezahlen, führt das dazu, dass sich Menschen in eine extreme Bubble hineinbegeben. Für einen widerständigen Sport ist es total wichtig, dass die Spieler:innen nicht von klein auf in Internaten ausgebildet werden. 

Durch die Millionenbeträge, die Topstars im Fussball verdienen können, entstehen die falschen Anreize? 

Ja, und auch fatale Folgen, zum Beispiel die ständige Umverteilung von unten nach oben, oder wie Fussballer mit ihrem Millionärs-Lifestyle die Klimakrise anheizen. Das hat keine Zukunft. Die Frauen spielen nachweislich technisch und taktisch genauso gut, aber verdienen oft in einem Jahr, was Männer in einer Woche bekommen. Wir müssen gesellschaftlich entscheiden können, welche Mittel wohin gehen.

So etwas müsste man wohl ausserhalb der Strukturen der UEFA organisieren?

Solch widerständige Ligen gibt es auch schon, beispielsweise die wilden und die bunten Ligen, die selbstverwaltet organisiert sind. Oder inklusive und gemischte Ligen, wo Männer und Frauen zusammen spielen, und so weiter.

Zum Schluss noch einmal zurück zur EM in der Schweiz: Was glauben Sie, wer den Titel holen wird? 

Ich glaube, es wird ein sehr enges Turnier, weil insbesondere westeuropäische Länder zuletzt viel in den Frauenfussball hineingesteckt haben. Die Spanierinnen und Engländerinnen sind stark, auch Frankreich würde ich nicht unterschätzen. Das deutsche Team hat ziemliche Umbrüche hinter sich und ist eher eine Wundertüte, aber hat auch Chancen auf den Titel. 

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