Kanton will Gesetz lockern

Umbau statt Abriss: «Der grösste Hebel liegt bei den Gemeinden»

Die Zürcher Kantonsregierung will das Bauen im Bestand fördern, indem sie das Planungs- und Baugesetz lockert. Fachkreise sowie Vertretungen von Eigentümerschaften begrüssen diesen Schritt – haben aber auch Vorbehalte.

Seit fünf Jahren plant der Architekt Andreas Haug den Umbau seines Altbaus im Kreis 6. (Bild: Isabel Brun)

An der Wehntalerstrasse klafft ein riesiges Loch im Boden. Drei Einfamilienhäuser wurden dem Ersatzneubau geopfert, der hier in den nächsten Jahren entstehen soll. Nur wenige Meter von der Baustellenabsperrung entfernt steht das Haus von Andreas Haug. Ein Altbau von 1920. Er hat sich für einen anderen Weg als seine Nachbarn entschieden: Anbau statt Abriss.

Durch diese Bauweise könnten dank der Verwendung von natürlichen oder wiederverwendeten Materialien über 90 Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden, die bei einem Ersatzneubau ausgestossen würden, sagt Haug. Zudem dürfen die bisherigen Mieter:innen laut ihm im Haus wohnen bleiben. Zwei wichtige Gründe für ihn, das Bauen im Bestand zu fördern.

Diese Ansicht vertritt er nicht nur in seiner Rolle als Miteigentümer und Bauherr, sondern auch als Architekt beim Büro Insitu, das sich auf Nachhaltigkeit im Bau fokussiert.

Doch das Ergänzen und Aufstocken bestehender Gebäude ist komplex – etliche Normen und Vorschriften erschweren die Planung solcher Projekte oder verhindern sie gänzlich. Obwohl diese als sozial und ökologisch nachhaltiger gelten, entscheiden sich deshalb Eigentümer:innen im Zweifel eher für den Ersatzneubau.

Auch aus ökonomischen Gründen: Erst vor wenigen Wochen postulierte eine Sotomo-Studie, dass Totalsanierungen für Bauherr:innen teurer seien als Ersatzneubauten.

Die Zürcher Kantonsregierung will dieser Entwicklung entgegenwirken. Ende September präsentierte Baudirektor Martin Neukom die Pläne vor den Medien: Das kantonale Planungs- und Baugesetz soll teils revidiert, Vorschriften gelockert werden, wodurch das Bauen im Bestand attraktiver werden soll. Der Gesetzesentwurf befindet sich gerade in der Vernehmlassung.

Brandschutz verhindert Aufstockungen

Architekt Haug begrüsst die Bestrebungen des Kantons. Die gesetzlich erforderlichen Grenzabstände zu benachbarten Grundstücken sowie Brandschutzrichtlinien führen seiner Erfahrung nach immer wieder dazu, dass Eigentümer:innen lieber abreissen statt weiterbauen. «Es ist leider oftmals der einfachere und damit auch kostengünstigere Weg, die maximale Ausnützung einer Parzelle zu realisieren», sagt Haug. 

Das Problem: Viele Vorschriften wurden in den letzten 60 Jahren ausgearbeitet oder erneuert. Demnach entsprechen viele Häuser, die vor 1960 oder früher erbaut wurden, nicht mehr den heutigen Mindestanforderungen: Treppenhäuser sind zu eng, Wände zu dünn, Gebäude stehen zu nah beieinander. Die Liste ist lang. 

Solange das Haus so bleibt, wie es ist, hat die Eigentümerschaft nichts zu befürchten. Sobald jedoch ein grösserer baulicher Eingriff wie beispielsweise eine Aufstockung oder eine umfassende Sanierung erfolgt, gelten die aktuellen Vorschriften – und zwar nicht nur für den neuen Teil, sondern für das gesamte Gebäude. 

«Eine Revision sollte nicht in ein ‹Bauen um jeden Preis› münden.»

Beat Flach, Vize-Präsident von Casafair

Damit Gesetzesartikel in solchen Situationen nicht zum Todesstoss für ein bestehendes Haus werden, soll es deshalb neu die Möglichkeit geben, dass Eigentümer:innen von gewissen Regelungen ausgenommen sind. Vorausgesetzt, sie schaffen mit dem Umbau mehr Wohnraum für die Bevölkerung. Dieser Punkt ist laut Martin Neukom entscheidend: Die Lockerungen sollen nicht gelten, wenn man seine private Wohnung vergrössern will.

«Normen bieten auch Schutz»

In der Branche findet diese Idee viel Anklang. «Deregulierung kann dazu beitragen, Bauherrschaften beim Bauen im Bestand zu unterstützen», schreibt der Direktor des Hauseigentümerverbands (HEV), Albert Leiser, auf Anfrage. Ressourcen­sparendes Bauen sei eine uralte Tradition, heisst es vonseiten der Konferenz der Zürcher Planungsverbände (KZPV), «das – wo sinnvoll – gepflegt werden sollte». Laut der KZPV ist das heutige Gesetz in weiten Teilen ein Neubaugesetz.

Auch politisch sind die Pläne der Kantonsregierung breit abgestützt. Sowohl die Zürcher FDP als auch die Grünen äusserten sich grundsätzlich positiv dazu – der Gesetzesentwurf würde sowohl kostengünstigen Wohnraum fördern als auch das Klima schonen.

Doch es gibt auch kritische Stimmen. Zwar spricht sich der Verband Casafair für die Erleichterungen aus, der Vize-Präsident Beat Flach warnt aber auch: «Eine Revision sollte nicht in ein ‹Bauen um jeden Preis› münden.» Deshalb brauche es neben Vereinfachungen auch Beratungsangebote oder Musterprojekte. 

Die KZPV gibt bedenken, dass eine Streichung aus dem kantonalen Baugesetz auch dazu führen könne, dass die Gemeinden analoge Regelungen im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens einfordern werden. Was eher in einer De-Harmonisierung statt in der gewünschten Vereinfachung münden würde.

Andreas Haug von Insitu weist auf ein weiteres Risiko hin: «Wir dürfen nicht vergessen, dass Normen – so nervig sie auch sein mögen – in erster Linie zum Schutz der Schwächeren eingeführt wurden.»

Der Kanton hofft, dass die geplante Gesetzesrevision zu weniger Abrissen führt. (Bild: Isabel Brun)

Ein gutes Beispiel sei der Lärmschutz: Menschen mit kleinem Budget sind darauf angewiesen, dass auch günstige Wohnungen so gebaut würden, dass gesundheitsschädigende Einwirkungen verhindert werden, so Haug. Gesetzeslücken könnten im schlimmsten Fall dazu führen, dass Eigentümer:innen diese zu ihrem Zweck nutzen würden – auf Kosten der Mieter:innen.

Gemeinden bleiben autark

Einen solchen Ausgang will der Regierungsrat eigenen Aussagen zufolge tunlichst vermeiden. Deshalb habe man bewusst noch nicht definiert, welche Gesetzesartikel definitiv gelockert und welche gänzlich gestrichen werden sollen, sagte Martin Neukom an der Pressekonferenz Ende September. 

Auch die Kompetenzen der Gemeinden will die Regierung nicht untergraben: Auf die kommunale Bau- und Zonenordnung würde die Teilrevision deshalb keinen Einfluss haben, heisst es. Diese regelt die Ausnützung sowie die Funktion der Grundstücke; also die Fragen, wie das Gebäude genutzt werden kann oder wie viele Stockwerke gebaut werden dürfen. 

«Die Stadt hat sich mit ihrem verständlichen Bestreben nach mehr Innenverdichtung in die Zwickmühle manövriert.»

Andreas Haug, Architekt bei Insitu

Laut Haug liegt aber genau dort der Hund begraben. «Der grösste Hebel liegt bei den Gemeinden. Wenn wir den Umbau im Bestand fördern wollen, müssen wir da ansetzen, wo der Grundstückspreis definiert wird.» Dabei gilt dem Architekten zufolge: Je höher die Ausnützung, desto wertvoller das Land.

Das führe dazu, dass Investor:innen – nachdem sie Millionen für eine Liegenschaftbezahlt hätten – sich eher für den Ersatzneubau entscheiden würden als für den Umbau im Bestand. Oft könnten sie nur so den hohen Kaufpreis mit der Rendite decken, so Haug. 

Deshalb würde es nicht ausreichen, dass der Kanton das Bauen im Bestand erleichtern möchte. Auch die Verantwortlichen auf Gemeindeebene müssten sich überlegen, welche Rolle ihre Gesetze dabei spielen, sagt Haug: «Die Stadt hat sich mit ihrem verständlichen Bestreben nach mehr Innenverdichtung in die Zwickmühle manövriert, indem sie dazu beigetragen hat, die Grundstückspreise in die Höhe zu treiben.»

Eine Teilrevision des Planungs- und Baugesetzes werde deshalb nicht automatisch dazu führen, dass wesentlich weniger Wohnraum abgerissen und CO2 freigesetzt würde, so der Architekt.

Sanierungen bleiben teuer

Dies bestätigen sowohl der ZKPV als auch die Vertretungen der Zürcher Hauseigentümer:innen. «Die Entscheidung für Sanierung oder Abriss hängt von vielen Aspekten ab: wirtschaftliche Überlegungen, energetische Anforderungen, rechtliche Unsicherheiten und auch Bewilligungshürden», schreibt Beat Flach von Casafair.

Und Albert Leiser vom HEV betont, dass die Revision das Bauen im Bestand zwar fördern könne, sie dürfte gemäss seiner Erfahrung aber nur begrenzt darüber entscheiden, ob saniert oder neu gebaut wird. Entscheidend sei die Wirtschaftlichkeit.

Hätte Haug bei seinem Haus an der Wehntalerstrasse ebenfalls den Weg der maximalen Rendite gewählt, wäre das Loch im Boden noch grösser geworden. Dass er sich gegen einen Ersatzneubau und für das Bauen im Bestand entschieden hat, liegt wohl hauptsächlich seiner Überzeugung zugrunde, die Stadt nachhaltig zu entwickeln – Gesetz hin oder her.

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isabel

Ausbildung zur tiermedizinischen Praxisassistentin bei der Tierklinik Obergrund Luzern. Danach zweiter Bildungsweg via Kommunikationsstudium an der ZHAW. Praktikum bei Tsüri.ch 2019, dabei das Herz an den Lokaljournalismus verloren und in Zürich geblieben. Seit Anfang 2025 in der Rolle als Redaktionsleiterin. Zudem Teilzeit im Sozialmarketing bei Interprise angestellt.  

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