Gerechtigkeit oder Steuergeschenk – die Abstimmung zum Eigenmietwert

Ende September entscheidet das Schweizer Stimmvolk, ob sie den Eigenmietwert kippt und damit eine ihrer umstrittensten Steuerregeln abschafft. Ein Ja würde Eigentümer:innen steuerlich entlasten, den Staat aber Milliarden kosten.

Wohnung Zürich
Der Eigenmietwert gilt als Nutzungseinkommen: Wer in den eigenen vier Wänden lebt, spart die Miete, die man sonst zahlen müsste. (Bild: Sophie Wagner)

Stell dir vor, du kaufst ein Haus oder eine Wohnung, ziehst ein – und musst trotzdem Miete zahlen. Nur, dass diese Miete rein fiktiv ist. Genau das passiert in der Schweiz mit dem Eigenmietwert. Für den Staat bringt das jedes Jahr Milliarden Franken an Steuereinnahmen. Doch am 28. September könnte damit Schluss sein. Dann stimmt das Volk über die Vorlage «Bundesbeschluss zu kantonalen Steuern auf Zweitliegenschaften» ab, die eigentlich eine Zweitwohnungssteuer betrifft, tatsächlich aber eine der umstrittensten Steuerregelungen des Landes auf dem Prüfstand stellt: der Eigenmietwert. 

Worum geht es?

Die Vorlage ist eine sogenannte Verknüpfungsvorlage: Sie kombiniert zwei Entscheide in einem Paket. Ein Ja bedeutet:

  • Der Eigenmietwert für Haupt- und Zweitwohnsitze fällt schweizweit weg.
  • Die Kantone erhalten die Möglichkeit, eine spezielle Steuer auf Zweitwohnungen zu erheben (Zweitwohnungssteuer), um Einnahmeausfälle zu kompensieren.

Bei einem Nein bleibt alles wie bisher: mit Eigenmietwert und den bisherigen Steuerabzügen.

Der Eigenmietwert – ein Schweizer Sondermodell

In der Schweiz müssen Hauseigentümer:innen nicht nur auf ihr Einkommen, sondern auch auf ein fiktives Mieteinkommen Steuern zahlen, den sogenannten Eigenmietwert. Die Idee dahinter: Wer im eigenen Haus oder der eigenen Wohnung wohnt, spart die Miete, die andere zahlen müssten und geniesst dadurch einen wirtschaftlichen Vorteil. Damit Eigentümer:innen steuerlich nicht besser wegkommen als Mieter:innen, wurde bis anhin ein geschätzter Mietwert als zusätzliches Einkommen versteuert.

Diesen Wert legen die Kantone fest. Er muss aber mindestens 60 Prozent einer möglichen Marktmiete betragen. Kostet zum Beispiel ein Haus auf dem freien Markt 4000 Franken Miete pro Monat, wird den Eigentümer:innen ein Eigenmietwert von mindestens 2400 Franken als Einkommen zugerechnet und versteuert. So sollen Eigenheimbesitzer:innen steuerlich mit Mieter:innen gleichgestellt werden.

Kritik und politische Kontroversen

Seit Jahren kritisieren bürgerliche Parteien und Hauseigentümer-Verbände diese Praxis als ungerecht und belastend, besonders für ältere Eigentümer:innen mit abbezahlten Häusern oder Wohnungen. Linke Parteien und der Mieterinnen- und Mieterverband verteidigen den Eigenmietwert als Instrument zur steuerlichen Gleichstellung und gegen indirekte Subventionen für Eigentum. 

Ob die Reform für Eigentümer:innen am Ende vorteilhaft ist, hängt stark vom Zinsniveau ab, wie eine Analyse des Bundes zeigt. Bei Hypothekarzinsen um 1,5 Prozent würde die grosse Mehrheit profitieren – sie müsste künftig weniger steuerbares Einkommen ausweisen. Steigen die Zinsen auf 3,5 Prozent, halten sich Gewinner:innen und Verlierer:innen ungefähr die Waage. Bei noch höheren Zinsen würde eine Mehrheit der Eigentümer:innen schlechter dastehen als heute.

Die Reform ist also eine Wette auf dauerhaft tiefe Zinsen.

Wie kam es zur Vorlage?

Nach über sieben Jahren politischer Debatte beschloss das Parlament im Dezember 2024 einen Systemwechsel: Der Eigenmietwert soll wegfallen, gleichzeitig sollen Unterhaltsabzüge vollständig gestrichen und Schuldzinsen nur noch in Ausnahmefällen steuerlich abzugsfähig sein.

Berg- und Tourismuskantone wehren sich gegen die Reform, denn ihnen drohen hohe Steuerausfälle, weil gerade Zweitwohnungen erhebliche Einnahmen durch den Eigenmietwert einbringen. Der Kompromiss: Die Kantone sollen künftig freiwillig eine Zweitwohnungssteuer einführen dürfen. Damit dies möglich wird, ist aber eine Verfassungsänderung notwendig – daher die nationale Abstimmung.

Nur wenn Volk und Stände die neue Steuer erlauben, fällt gleichzeitig der Eigenmietwert weg.

Was würde ein Ja bedeuten?

Ein Ja zur Vorlage würde bedeuten, dass der Eigenmietwert in der ganzen Schweiz wegfällt und Eigentümer:innen das fiktive Einkommen aus selbstgenutztem Wohneigentum nicht mehr versteuern müssen.

Für viele Wohneigentümer:innen würde der Systemwechsel eine Steuererleichterung bringen. Besonders Rentner:innen, die heute oft vom Eigenmietwert belastet sind, würden profitieren. Das könnte den Erwerb von Eigenheimen attraktiver machen und die Nachfrage sowie Immobilienpreise weiter erhöhen. 

Die Kehrseite: Unterhaltskosten könnten nicht mehr von den Steuern abgezogen werden. Das könnte kurzfristig einen Sanierungsboom auslösen, bevor das neue System greift – langfristig aber Investitionen in den Unterhalt bremsen. Zudem verlieren Bund und Kantone je nach Zinsniveau bis zu zwei Milliarden Franken Steuereinnahmen pro Jahr. Sie erhielten aber die Möglichkeit, eine Zweitwohnungssteuer einzuführen. Der Systemwechsel soll frühestens 2028 umgesetzt werden.

Verpasst die Vorlage an der Urne eine Mehrheit, bleibt alles beim Alten.

«Schon jetzt plant der Bund, jährlich 400 Millionen Franken beim Gebäudeprogramm zu streichen. Das geht in die falsche Richtung.»

Nadim Chammas, Kommunikationsverantwortlicher Casafair

Wer ist dafür – wer dagegen?

Befürworter:innen der Vorlage sind die bürgerlichen Parteien SVP, FDP, die Mitte sowie der Hauseigentümer- und der Gewerbeverband, National- und Bundesrat. Sie argumentieren, dass die Abschaffung des Eigenmietwerts Wohneigentum fairer mache, steuerlich entlaste und das Eigenheim altersgerechter sichere. 

Gegner:innen – vor allem SP, Grüne und der Mieterinnen- und Mieterverband – warnen vor Steuerausfällen bei Bund und Kantonen und kritisieren, dass vor allem wohlhabende Immobilienbesitzer:innen profitieren würden. Zudem stehen einige Kantone (Graubünden, Wallis, Uri, Obwalden, Tessin) und die Banken der Veränderung kritisch gegenüber, unter anderem weil die langfristigen Steuerausfälle und die Auswirkungen auf das vielschichtige Hypothekarsystem schwer abschätzbar sind.

Auch der Verband Casafair, der die Interessen von Hauseigentümer:innen in der Schweiz vertritt, lehnt die Abschaffung des Eigenmietwerts ab. Nadim Chammas, Kommunikationsverantwortlicher, warnt vor massiven Steuerausfällen und zusätzlichen Kürzungen bei öffentlichen Leistungen: «Schon jetzt plant der Bund, jährlich 400 Millionen Franken beim Gebäudeprogramm zu streichen. Das geht in die falsche Richtung.»

Die Reform löse keines der Kernprobleme, sagt Chammas: Wohnen bleibe extrem teuer, die Immobilienpreise würden eher weiter steigen. Besonders kritisch wäre der Wegfall steuerlicher Anreize für energetische Sanierungen – während der Gebäudesektor noch immer fast ein Viertel der Treibhausgasemissionen verursache. Auch junge Familien mit hohen Hypotheken würden benachteiligt, weil der Schuldzinsabzug befristet und gedeckelt ist.

«Wohnen bedeutet Eigentum mit Verantwortung», sagt Chammas. Deshalb sei Casafair aus gesamtgesellschaftlicher Sicht gegen die Reform.

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jenny

Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.

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