Wie Mieter:innen und Aktivist:innen in Zürich zusammenspannen - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Lara Blatter

Co-Geschäftsleitung & Redaktorin

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8. September 2023 um 04:00

«Betroffene Mieter:innengruppen brauchen die Empathie der ganzen Stadt»

Man tauscht sich über ähnliche Fälle aus und spannt für Petitionen zusammen: Mieter:innen und Aktivist:innen unterstützen einander vermehrt. Can Deniz, Mieter aus Wollishofen, und Diana Krasovskaya, Mietaktivistin, sprechen über diese Vernetzung und darüber, wieso sich vor allem der urbane Mittelstand diese Form von Widerstand leisten kann.

Mieter Can Deniz (44) und Diana Krasovskaya (35) vom Mietenplenum zeigen auf, wie Aktivist:innen und Mieter:innen zusammenspannen können. (Foto: Lara Blatter)

Lara Blatter: Der Wohnungsmarkt ist ausgetrocknet und erstmals besitzen in Zürich Immobilienfirmen mehr Wohnungen als Private. Droht uns bald ein grosser Aufstand von Mieter:innen?

Diana Krasovskaya: Ich hoffe es! Das Thema Wohnungsnot beschäftigt viele und ist in den Medien präsenter als noch vor einigen Jahren. Zudem gibt es immer mehr Gruppierungen, die sich vernetzen. Aber für einen Wandel braucht es auch die Solidarität von jenen, die aktuell nicht in einer prekären Wohnlage sind. 

Can Deniz: Wir beide befinden uns wohl auch in einer Bubble. Gehe ich ins Einkaufszentrum Sihlcity runter und verteile Flyer für unsere Petition, dann merke ich, wie viele Menschen sich nicht für die Wohnungskrise interessieren.

Can Deniz, du bist Mieter in einer privaten Siedlung in Wollishofen und wurdest durch einen bevorstehenden Verkauf zum Aktivisten. Und Diana Krasovskaya, du bist im Mietenplenum aktiv – einem Bündnis von aktivistischen Mieter:innen. Warum spannen Mieter:innen und Aktivist:innen zusammen?

C.D.: Als wir im März den Brief bekommen haben, dass die Eigentümer verkaufen wollen, waren zuerst alle in Schockstarre. Wir mussten wieder in Bewegung kommen. Sich zu wehren, braucht aber viel Zeit und Wissen. Deshalb sind Mieter:innen oft auf Unterstützung angewiesen – sei es aus der Politik, von Kampagnenprofis, Jurist:innen, Architekt:innen oder eben aus dem Aktivismus. 

D.K.: Und auch ihr als Mieter:innengruppe, die euch mittels Petition wehrt, seid Aktivist:innen. Ich möchte diesen Begriff entmystifizieren. Viele denken an junge Menschen, die sich auf den Boden kleben oder an Demos randalieren. Aktivismus ist aber viel breiter. Und das, was du angesprochen hast, punkto Zeit und Wissen: Darum gibt es das Mietenplenum. Wir sind ein loser Zusammenschluss von Menschen mit vielem verschiedenen Wissen, also ein Pool aus Ressourcen; davon sollen alle profitieren können. 

Geht es nach den Mieter:innen an der Scheideggstrasse, soll die Stadt Zürich, eine Genossenschaft oder die Stiftung PWG die Häuser für geschätzt 60 Millionen kaufen. (Foto: Lara Blatter)

«Unser Quartier soll nicht wie so viele andere im Stillen, sondern in der öffentlichen Wahrnehmung zerschlagen werden.»

Can Deniz

Diana Krasovskaya, du hast es angesprochen. Bei Aktivismus denken viele an Ausschreitungen und Demos. Oft wird auch die Besetzer:innenszene mit Wohnaktivismus gleichgesetzt. Braucht die Mieter:innenbewegung ein neues Image, um alle ins Boot zu holen?

D.K.: Alle Strömungen innerhalb dieser Bewegung sind wichtig. Mit genau solchen Initiativen wie hier in Wollishofen können wir aufzeigen, dass alle betroffen sind. Auch privilegiertere Menschen haben es schwer, eine passende Wohnung zu finden.

C.D.: Das ist auch unser Ziel. Unser Petitionsfoto beispielsweise zeigt unsere fröhliche und solidarische Nachbarschaft von Jung und Alt in unserem Garten. Unser Quartier soll nicht wie so viele andere im Stillen, sondern in der öffentlichen Wahrnehmung zerschlagen werden. Betroffene Mieter:innengruppen brauchen die Empathie der ganzen Stadt. Denn eine Stadt soll kein Renditeobjekt sein, eine Stadt ist ein sozialer Kosmos. 

Can Deniz, wie seid ihr vorgegangen als klar war, dass die Eigentümer verkaufen wollen?

C.D.: Gemeinsam mit meinen Nachbar:innen haben wir ein Treffen organisiert und schnell war klar: Wir bleiben nicht untätig. Als Erstes habe ich mit der Stadt und der PWG Kontakt aufgenommen und sie auf den bevorstehenden Verkauf im Bieterverfahren aufmerksam gemacht. Gleich anschliessend suchten wir das Gespräch mit den Eigentümern – leider erfolglos. Sie verwiesen uns auf Verwaltung und wollten den Verkauf offensichtlich möglichst im Stillen abwickeln. Danach tauschte ich mich mit Menschen an der Forchstrasse aus, die sich vor einigen Monaten in einer ähnlichen Lage befanden wie unsere Siedlung. Sie gaben uns wertvolle Tipps und quasi eine Anleitung, wie wir vorgehen sollten. Und auch andere Akteur:innen aus Politik und Gesellschaft – wie etwa SP-Nationalrätin Jacqueline Badran – unterstützten uns. Wir spürten viel Wohlwollen aus unterschiedlichen Ecken.

D.K.: Genau diese Vernetzung wollen wir als Mietenplenum fördern. Plus ist zuerst auch die Beziehungspflege innerhalb der Nachbarschaft wichtig. Diese kann durch kleine Aktionen präventiv gefördert werden. Zum Beispiel kann man eine Chat-Gruppe für das eigene Haus machen. Ein Kanal, wo sich Leute austauschen können. Schlussendlich geht es darum, wie man zusammen lebt.

Die Kulturschaffende plädiert für mehr Vernetzung in der Nachbarschaft – und nicht erst, wenn es zu Verdrängung kommt. (Foto: Lara Blatter)

Aber was bringt eine Chat-Gruppe? Die kann ja auch erstellt werden, wenn ein Notfall naht.

D.K.: Es entanonymisiert und verbindet die Siedlung. Es entstehen Beziehungen und durch lockere Kommunikation bleibt man informiert. Zu oft passiert Verdrängung leider im Stillen und wir bekommen nichts davon mit, wenn Menschen gezwungen werden, ein Quartier oder gar eine Stadt zu verlassen. Man spricht nicht miteinander.

C.D.: Es sind kleine, vielleicht belanglose Dinge, die ein Quartier oder ein Haus näher zusammenrücken lassen. «Meine Katze ist verschwunden», oder: «Meine Mutter kann doch nicht Kinderhüten, wer kann heute Abend meine Kids füttern?» Und wenn es mal Hart auf Hart kommt, dann steht man eher zusammen. Denn man weiss, was auf dem Spiel steht: unsere lebendige Nachbarschaft.

Das klingt alles sehr schön. Aber in der Realität haben viele Menschen keine Ressourcen für eine intensive Pflege der Nachbarschaft. Erst recht nicht, wenn es darum geht, eine ganze Siedlung zu mobilisieren und zu retten. Engagieren sich nicht vor allem jene Menschen, die Zeit und Geld haben?

C.D.: Ich habe durch meinen beruflichen Werdegang in der NGO-Welt ein grosses Netzwerk an engagierten Menschen. Als Politologe habe ich mich zudem viel mit Machtpolitik und Geostrategie beschäftigt – dieses Wissen lässt sich auch auf lokaler Ebene einsetzen. Ich arbeite 70 Prozent und aktuell gehen meine 1.5 Tage mit den Kids vor allem für die Kampagne darauf. Unser Erfolg ist also kein Zufall, da steckt viel Herzblut und investierte Zeit drin. Leider haben viele Menschen zu wenige Ressourcen, um sich überhaupt wehren zu können.

D.K.: Die Frage, wer sich Aktivismus leisten kann, zirkuliert bei uns im Mietenplenum immer wieder.

«Für die Arbeiter:innenklasse können nicht nur linke Zürcher:innen kämpfen gehen.»

Diana Krasovskaya

Ist der Kampf um Wohnraum das neue Hobby des urbanen Mittelstands geworden?

C.D.: Nein. Es ist vielmehr ein zweiter Job als ein Hobby. Man kann auch nicht vom ganzen urbanen Mittelstand sprechen. Wir sind ein Tropfen auf den heissen Stein. Aber auch dieser kann was bewirken. 

D.K.: Unser Aktivismus ist kein Hobby. Dahinter steckt anspruchsvolle, ehrenamtliche Arbeit. Beispielsweise eine Petition zu lancieren und Menschen zu vernetzen, ist sehr zeitintensiv. Aber uns ist bewusst, dass wir oft auch Interessen von Menschen vertreten, die nicht an vorderster Front mitarbeiten. Zum Beispiel alleinstehende Mütter oder Menschen, die keine guten Deutschkenntnisse haben. Wenige von ihnen haben die Ressourcen für Aktivismus. Aber es ist wichtig, dass wir auch mit ihnen in Kontakt sind. Denn für die Arbeiter:innenklasse können nicht nur hochgebildete, junge, linke Zürcher:innen kämpfen gehen.

C.D.: Die Berührungsängste unter Gruppierungen und Politiker:innen sind zudem gross. Die einen glauben nicht ans System, andere verfolgen eigene politische Ziele. Das Prinzip «teile und herrsche» funktioniert leider. Gleichgesinnte Gruppen bremsen einander aus, statt sich vereint für die Sache zu engagieren. 

Vernetzung als Stichwort fällt immer wieder. Arbeitet Zürich zu wenig zusammen?

D.K.: Ja, aus diesem Umstand ist das Mietenplenum vor zwei Jahren entstanden. 

C.D.: «Alles Gescheite ist schon gedacht worden, man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken», schrieb Goethe. Und genau das müssen wir doch machen. Wieso muss die nächste Siedlung, die abgerissen wird, sich eine eigene Strategie überlegen? Die Interessengemeinschaft Wollishofen hat von anderen gelernt und baut auf der Arbeit von anderen auf. So muss es weitergehen, auch wir wollen nach unserer Kampagne unser Wissen teilen. 

Profitieren schlussendlich grosse Investor:innen von der Anonymität der Grossstadt?

D.K.: Ja. Und da bin ich wieder beim Beispiel vom Chat. Diese Entanonymisierung fängt genau da an…

C.D.: ...und geht bis zu Gruppierungen, die nicht zusammenspannen, weil irgendwann in der Vergangenheit mal was war.

D.K.: Ich bin absolut für Vernetzung, aber nicht für Homogenisierung. Denn die Anliegen werden immer divers sein und du wirst niemals alle an einen Tisch bekommen. Die einen fordern Enteignungen, die anderen wünschen sich kaum gesetzliche Regulierungen auf dem Wohnungsmarkt. Diese Bandbreite an Forderungen finde ich wichtig, damit sich alle gehört fühlen.

«Mit Petitionen alleine können wir die Wohnungskrise nicht lösen.»

Diana Krasovskaya

Den Verkauf der sechs Häuser will die IG Wollishofen mittels Petition beeinflussen. (Foto: Lara Blatter)

Die IG «Nicht im Heuried» lancierte eine Petition und auch ihr hier in Wollishofen habt ihr eine Petition gestartet. Und diese Woche verkündete die Stadt die neuen Pläne für das Kibag-Areal – die ebenfalls auf Forderungen von Anwohnenden zurückzuführen sind. Sind Petitionen als das schwächste politische Mittel die Lösung?

D.K.: Petitionen sind harmlose, aber einfache Formen, etwas zu äussern. Ihr Vorteil ist die Vernetzung und die Öffentlichkeit, die man bekommt. Alle, also auch Menschen ohne Stimmrecht, können unterschreiben, fühlen sich nicht alleine und empowered. Mit Petitionen alleine können wir die Wohnungskrise aber nicht lösen.

C.D.: Aber die Symbolik ist wichtig. Letzte Woche waren wir bei der Übergabe der Petition für das Heuried dabei und auch Vertreter:innen von der Forchstrasse waren dort. Gemeinsam hat man die Unterschriften dem Stadtrat übergeben. Das hatte Kraft. 

Die Vernetzung innerhalb Zürichs ist also wichtig. Aber was kann Zürich von anderen Städten lernen?

D.K.: Es gibt viele Städte, von denen wir etwas abschauen können. Berlin etwa ist Vorreiterin, wenn es um den Diskurs rund ums Enteignen oder Vergesellschaften geht. Und Wien hat ab 1920 aktive Wohnungspolitik betrieben, um preisgünstigen Wohnraum zu garantieren. In Wien gibt es dadurch so wenig privates Wohneigentum wie kaum in einer anderen europäischen Stadt. Der Boden gehört der Stadt und wer den Boden besitzt, hat die Entscheidungskraft, wie damit gehandelt wird. In Zürich gibt es das Drittelsziel noch nicht sehr lange. Ändert sich nichts an der aktuellen Wohnungspolitik, so bleibt es unrealistisch, dass wir das jemals erreichen. 

C.D.: Und die kürzlich lancierte Wohnschutzinitiative der SP hat wohl Basel-Stadt als Vorbild. Oder in Lausanne beispielsweise kennt man das Vorkaufsrecht.

Am 4. November findet in Zürich eine grosse, bewilligte Wohndemonstration statt. Kundgebungen rund um Freiräume und Wohnraum haben in Zürich einen schlechten Ruf. Ich erinnere an die Koch-Demo oder an jene von «Reclaim the Streets». Werdet ihr im November auf die Strasse gehen?

D.K.: Ja. 

C.D.: Wir werden auch dort sein.

D.K.: Darum ist die Demonstration auch bewilligt. Wir brauchen alle. Auch Familien aus Wollishofen sind Teil der Bewegung. Und das muss sichtbar werden. 

Can Deniz und die anderen Mieter:innen in Wollishofen haben für ihre Kampagne Unterstützung von aussen bekommen. Auch sie wollen ihr Wissen teilen und weitergeben. (Foto: Lara Blatter)

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