Trachten, Rosen und Ehrungen: Die Gesellschaft zu Fraumünster will Frauen sichtbarer machen

Früher brauchten die Mitglieder der Gesellschaft zu Fraumünster eine Bewilligung, um am Sechseläutenumzug mitlaufen zu dürfen. Heute sind sie offiziell Teil davon, doch im Zentralverband der Zürcher Zünfte bleiben sie ausgeschlossen.

Gesellschaft zu Fraumünster
Seit 25 Jahren läuft die Gesellschaft zu Fraumünster am Sechseläuten. (Bild: Sofie David)

Die Fraumünsterkirche in Zürich ist an diesem Montagmorgen schnell gefüllt. Auf sämtlichen Bänken haben Besucher:innen Platz genommen. In den vordersten Reihen sitzen die Frauen der Gesellschaft zu Fraumünster. Sie tragen bodenlange Gewänder in den Farben Karminrot, Königsblau und Tannengrün. Ihre Köpfe schmücken weisse Kopftücher und verschiedene Hüte. Die Frauen blicken nach vorne und lauschen der Rede. 

Am Redner:innenpult steht Andrea Spörri, eines der neun Vorstandsmitglieder der Gesellschaft. Auch sie trägt die traditionelle Tracht und einen blauen Hut, geschmückt mit goldenen Bändern.

Spörri spricht über das Leben von Hedwig Frey, die als erste Frau eine Titularprofessur für Anatomie an der Universität Zürich innehatte. «Hedwig Frey war mit vielen Vorurteilen konfrontiert», sagt Spörri. Heute, rund hundert Jahre später, wird Frey als «Pionierin» geehrt. 

«So viele Frauen leisten Grossartiges und sind trotzdem unsichtbar»

Es ist der Tag des Zürcher Sechseläutens. Die Gesellschaft zu Fraumünster, im Volksmund auch Frauenzunft genannt, ehrt jedes Jahr eine bedeutende Frau der Zürcher Geschichte oder Gesellschaft.

Dadurch wollen sie Frauen sichtbarer machen, wie Spörri sagt. «So viele Frauen leisten Grossartiges und sind trotzdem unsichtbar.» Deshalb sei diese Ehrung fester Bestandteil des Sechseläutentags geworden. Spörri sagt: «Wir wollen Frauengeschichten aus dem Verborgenen ans Tageslicht bringen.»

Auch solche der Gegenwart. «Zum Beispiel eine Nachbarin, die sich viel für das Quartier engagiert.» Zu diesem Zweck führt die Gesellschaft ein gebundenes und handschriftlich geführtes Ehrenbuch, in das Frauen aus verschiedenen Wirkungsfeldern eingeschrieben und so gewürdigt werden. Auch Personen, die nicht der Gesellschaft zu Fraumünster angehören, dürfen Frauen für das Ehrenbuch vorschlagen. Dafür nimmt die «Curatorin» Anregungen aus der Bevölkerung auch per Mail entgegen.

Andrea Spörri selbst kommt aus einer Zünfterfamilie. «Als Kind bin ich immer mit meinem Vater und Grossvater am Umzug mitgelaufen», erzählt sie. «Später war das nicht mehr möglich.» Auf die Gesellschaft zu Fraumünster sei Spörri während ihrer Studienzeit aufmerksam geworden. Im Jahr 2004 wurde sie aufgenommen.

Andrea Spörri
Andrea Spörri hält eine Laudatio auf Hedwig Frey. (Bild: Sofie David)

Heute kümmert sich die reformierte Pfarrerin um die Frauenehrung. Dazu sammelt sie Vorschläge für geeignete Kandidatinnen, kontaktiert Gastreferent:innen und verfasst das Lebensbild und die Informationen für die Ehrung. Die Wahl der Ehrenfrau treffe der Vorstand gemeinsam. 

Früher liefen sie mit einer Demonstrationsbewilligung

Die Gesellschaft zu Fraumünster wurde 1989 von Frauen mit «zöiftigem» Hintergrund gegründet. Heute zählt sie 75 Mitglieder. Sie treffen sich einmal im Monat, etwa zum Kegeln oder für andere Aktivitäten, tauschen sich aus, pflegen Traditionen und Freundschaften. Die meisten kamen über Bekannte zur Gesellschaft, manche wuchsen in Zünfterfamilien auf, andere wurden zufällig auf die Fraumünster-Frauen aufmerksam.

Gesellschaft zu Fraumünster
Die Farben der Gewänder und die Form der Hüte können die Frauen selbst wählen. (Bild: Sofie David)

Seit 25 Jahren läuft die Gesellschaft zu Fraumünster am Sechseläuten Umzug mit. Dafür mussten sie zu Beginn etwas tricksen: Die ersten 14 Jahre holten sie von der Stadt eine Demonstrationsbewilligung ein, um mitlaufen zu dürfen. Frauen waren im offiziellen Umzug nicht erwünscht, also liefen die Frauen der Gesellschaft zu Fraumünster eine halbe Stunde vor dem Umzug.

Gelbe Rosen und Politik

Zurück in der Fraumünsterkirche versammelt sich die Gesellschaft nach der Ehrung im Innenhof der Kirche, um der letzten Äbtissin des Fraumünsterklosters, Katharina von Zimmern, zu gedenken. Eine Frau nach der anderen legt eine gelbe Rose auf das Grab.

Angeführt von Claudia Hollenstein, der Hohen Fraumünster Frau. Sie trägt als einzige ein Gewand mit violetten Farben und statt eines Hutes eine Krone. Neben Hollenstein steht die Stadtpräsidentin Corine Mauch, die der Zeremonie ebenso beiwohnt. 

Vor dem Grab von Katharina von Zimmern
Auf das Grab von Katharina von Zimmern legen sie Blumen. In der Mitte: Claudia Hollenstein und Corine Mauch. (Bild: Sofie David)

Als Hohe Fraumünster Frau führt Hollenstein die Gesellschaft an. Sie ist «das Pendant zu den Zunftmeistern in den Zünften», wie sie selbst sagt. Ihre Aufgabe sei es, den Zweck der Gesellschaft zu fördern, zu vertiefen und zu wahren. «Ich bin quasi Innen- und Aussenministerin.»

Es ist Hollensteins erstes Jahr als Hohe Fraumünster Frau. Das Amt hat sie vergangenes Sechseläutens übernommen. Vor allem die gelebte Tradition in der Gegenwart habe sie fasziniert: «So stand ich mit meinen Kindern am Strassenrand um die Gesellschaft zu Fraumünster am Sechseläuten zu sehen.» Bei der Gesellschaft ist sie inzwischen seit über zehn Jahren, 2011, habe sie mit dem Aufnahmeprozess begonnen, 2014 wurde sie Fraumünster Frau. 

Neben ihrem Amt ist Hollenstein in der Politik tätig: Seit 2019 sitzt sie für die Grünliberalen im Zürcher Kantonsrat, für ihre Gemeinde Stäfa ist sie ausserdem im Gemeinderat tätig.

Heute ist sie allerdings ganz in ihrem Amt als Hohe Fraumünsterfrau vor Ort. Und als solche läuft sie den Frauen voraus, um vor dem Umzug noch Energie beim gemeinsamen Mittagessen zu tanken.

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Sofie David

Sofies Begeisterung für die Medienbranche zeigt sich in ihren diversen Projekten: Sie leitete den Zeitungs-Kurs im Ferienlager, für die Jungen Jorunalist:innen Schweiz organisiert sie seit mehreren Jahren das Medienfestival «Journalismus Jetzt» mit. Teilzeit studiert sie an der ZHAW Kommunikation. Zu Tsüri.ch kam sie zunächst 2022 als Civic Media Praktikantin. 2024 kehrte sie dann als Projektleiterin und Briefing-Autorin zurück und momentan macht sie als erste Person ihr zweites Tsüri-Praktikum.

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