Zurich Pride: «Ein schwuler SVPler gehört genauso zur Community»
Kritik an der Zurich Pride wird immer wieder laut. Ist die Pride kein politischer Aufstand mehr, sondern ein kommerzieller, queerer Event? Mentari Baumann, Präsidentin Zurich Pride, und Alexander Thamm, Vorstandsmitglied und Mitglied der Pride trans Arbeitsgruppe, sprechen über die letzten beiden Jahre - ehrlich und offen.
Lara Blatter: Warum engagieren Sie sich bei der Pride?
Mentari Baumann: Die Pride ist für mich der schönste Tag im Jahr. Sie war für mich der erste Kontaktpunkt zur queeren Community. Zum ersten Mal habe ich gemerkt, wie viele wir Queers sind.
Alexander Thamm: Die Energie dieses Anlasses ist einzigartig. Die Liebe und die Zusammengehörigkeit haben mich überzeugt, mitzumachen. Ausserdem sind im Verein wenige trans Menschen vertreten. Gemeckert ist schnell, gemacht nicht – darum bin ich hier.
Mentari Baumann, Sie nennen sich selbst «Berufs-Katholikin», sind bei der FDP und Präsidentin der Zurich Pride – Sie vereinen viele Dinge, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen. Ist das wirklich so speziell oder sind das vor allem Vorurteile gegenüber der Kirche, Lesben und der FDP?
Baumann: Beides (lacht). In der Kirche, bei der Pride und bei der FDP – eigentlich mache ich überall dasselbe: Strukturen verändern und für Gleichstellung kämpfen.
Vor zwei Jahren wurde kritisiert, dass zu wenige PoCs im Verein vertreten seien. Diesen Winter änderten Sie Ihren ursprünglichen trans Slogan «trans*normal – Mensch bleibt Mensch», weil Ihnen Assimilationspolitik vorgeworfen wurde. Und vor wenigen Wochen hagelte es Kritik, weil die Lesbenorgansiation Schweiz (LOS) erst keinen Wagen bekommen hat. Nehmen Sie sich innerhalb des Vorstandes Zeit, sich diesen Vorwürfen und den Diskussionen zu stellen?
Thamm: So gut es geht. Im Vorstand sind wir zehn Menschen. Wenn wir Sitzungen haben, dann haben wir ehrlich gesagt leider keine Zeit, Stunden über politische Themen zu sprechen. Wir müssen viele konkrete Themen im Bezug auf das Festival angehen.
Baumann: Dann geht es um Verträge, Offerten, Budgetfragen – wir sind fest mit logistischen Dingen beschäftigt. Unsere Ressourcen sind beschränkt.
Liegt genau da das Problem, müssten Sie sich wieder mehr politischen statt organisatorischen Dingen widmen?
Baumann: Ja. Vielleicht sollten wir uns gerade für politische Diskussionen, die die Community beschäftigen, wieder mehr Zeit nehmen.
Thamm: All die Kritikpunkte sind auch immer eine Frage des Blickwinkels. Das trans Motto als Beispiel: Der ursprüngliche Slogan ist bei uns in der trans Arbeitsgruppe von ausschliesslich trans Personen entschieden und entwickelt worden. Dennoch wurde mit der «Jetzt hat der weisse, cis Vorstand dieses Motto gemacht»-Keule geschlagen. Nein, so wars nicht.
Das Motto hat aber scheinbar doch einen blinden Fleck getroffen. Waren Sie als Teil der trans Arbeitsgruppe überrascht über die Vorwürfe?
Thamm: Uns war klar, dass das Motto Diskussionen aufwirft. Der Aufschrei kam aber überraschend. Wir hofften auf eine Debatte über Normen und die Hinterfragung derer. Wir wollten diese Diskussion bewusst anregen, aber das wurde falsch verstanden. Das war klar unser Fehler und den haben wir eingesehen. Aber es tat auch weh. Wir haben lange daran gearbeitet.
Ist Ihnen die Community zu sensibel und zu laut geworden?
Baumann: Nein. Dank den Sozialen Medien gibt es mehr Möglichkeiten, um Kritik anzubringen. Die Gesellschaft macht eine Entwicklung durch, lernt extrem viel und benennt Dinge, für die wir vor Jahren noch kein Vokabular hatten. Und das ist gut so.
Thamm: Aber es sind halt nicht alle gleich schnell in dieser Entwicklung.
Baumann: Ja, als grössere Organisation sind wir langsamer als dynamische, kleine Kollektive.
«Wir sind dankbar um die Rückendeckung der Polizei.»
Alexander Thamm, Vorstandsmitglied und Mitglied der Pride trans Arbeitsgruppe
Dennoch schliesst etwa der Verein Pink Cops, der homosexuelle, bi, trans und intergeschlechtliche Polizist:innen vereinigt, andere aus. Zum Beispiel Sans Papiers, diese fühlen sich nicht sicher, an einer Demonstration neben Polizist:innen zu laufen. Das kann man doch nicht ignorieren.
Thamm: Die Pink Cops laufen als Privatpersonen und nicht als Polizist:innen im Einsatz mit. Ich glaube nicht, dass sich Menschen vor dieser Organisation fürchten müssen. Sie sind da, um ihre Queerness zu feiern.
Baumann: Ich möchte nie eine queere Gruppierung ausschliessen nur wegen ihrem Beruf. Und es laufen auch andere mit, die historisch gesehen nicht easy sind und viel Schaden an der queeren Community angerichtet haben. Zum Beispiel die Kirche.
Was lösen all diese Kritikpunkte in Ihnen aus?
Baumann: Als junge Politikerin mit einem nicht schweizerischen Namen bin ich mir Kommentare und Kritik gewohnt. «Ach, die alten weissen Männer oder die SVP wieder», sage ich mir oft. Aber es fühlt sich schon anders an, wenn so viel Unmut aus den eigenen Reihen kommt.
Thamm: Ich verspüre auch Undankbarkeit. Ich investiere im Rahmen meiner Möglichkeiten so viel Zeit und Energie in die Pride. Ein Danke höre ich selten, häufiger Kritik.
Sie verspüren Undankbarkeit. Auf der anderen Seite: Was unternehmen Sie konkret?
Thamm: Shitstorms auf Instagram bringen selten etwas. Um konstruktive Kritik sind wir dankbar. Zum Beispiel um die Kritik am Verteilsystem mit den Demostrationswagen. Aber es ist ein Unterschied, ob man uns persönlich anspricht oder ob man an die Öffentlichkeit geht.
Sie sprechen die Lesbenorganisation Schweiz (LOS) an. Die Organisation hat sich öffentlich darüber beklagt, dass sie nach dem neuen Verteilsystem der Pride keinen Wagen bekommen hat, aber dafür vier gewinnbringende Firmen einen. Die LOS hat Ihnen vorgeworfen, Lesben systematisch unsichtbar zu machen. Hätten Sie Ihr neues System ohne den Druck des offenen Brief und den der Öffentlichkeit wirklich geändert?
Thamm: Ja, wir waren intern bereits dran. Wir planen eine Überarbeitung und wollen enger mit anderen Organisationen zusammenarbeiten. Das System war noch in den Kinderschuhen.
Baumann: Die Rede ist oft von diesen grossen Firmen und Pinkwashing. Eine Firma, die einen Wagen haben wird, ist ein lokales, queeres KMU. Und die anderen Wagen sind ein Zusammenschluss von mehreren Firmen. Und es sind meist die queeren Netzwerke der Unternehmen, die auf uns zukommen und nicht die Marketingabteilungen.
Die LOS darf nun doch mit einem Wagen an der Demonstration teilnehmen. Hat jemand anders auf einen verzichtet?
Baumann: Ja. Wir haben eine interne Lösung gefunden.
«Wir bilden so die Community nicht ab.»
Mentari Bauman, Präsidentin Zurich Pride
Alexander Thamm, Sie haben zwar gesagt, diese Keule komme immer. Dennoch: Im Vorstand sind Sie zwei Frauen und acht Männer. Sind schlussendlich vielleicht doch ältere, weisse Männer das Problem, dass es zu so viel Kritik an der Zurich Pride kommt?
Baumann: Das kann gut sein – so wie überall sonst auch. Wir sind zehn Personen im Vorstand und neun davon sind cis; acht Männer und zwei Frauen. Wir bilden so die Community nicht ab. Wir würden uns freuen, würden sich mehr Menschen im Verein engagieren.
Thamm: Und nochmals, der Vorstand ist nicht die Pride. Hinter uns steht ein grosses Organisationskomitee. Wir wollen wieder mehr miteinander arbeiten. Momentan habe ich das Gefühl, wir kämpfen teils gegen unsere eigenen Leute.
Die Pride ist ein Anlass für eine sehr diverse Community. Ist es eine Illusion, alle Anliegen unter einen Hut zu bringen?
Baumann: Sowieso.
Thamm: Definitiv.
Baumann: Aber es muss dennoch unser utopisches Ziel sein, alle Anliegen zu berücksichtigen.
Sie sind sehr reflektiert.
Baumann: Wir versuchen ja auch, alle Forderungen zu verstehen und den Dialog zu suchen. Wir können und wollen auch nicht auf alles eingehen.
Thamm: Wir sind gefangen im Rahmen unserer Möglichkeiten. Uns sind in manchen Belangen schlicht die Hände gebunden.
Baumann: Wir als Vorstand können nicht von heute auf morgen einfach unsere Identität und das Konzept ändern. Die Zurich Pride ist für viele ja auch gut und schön, so wie sie ist.
Neben den Leuten fehlt Ihnen aber auch ein bisschen der Wille, nicht?
Thamm: Nein. Aber wir sind Fan von Dialogen und wir wollen und müssen eine breite queere Masse ansprechen. Ich denke, wenn wir gemeinsam mit anderen Organisationen und verschiedenen konstruktiven Inputs an der Pride arbeiten, können wir uns stetig positiv weiterentwickeln.
Die Ursprünge der Pride gehen auf die Stonewall Riots 1969 zurück. Das war ein politischer Aufstand einer marginalisierten Gruppe. Muss die queere Community vielleicht akzeptieren, dass der Verein Zurich Pride so wie er heute aufgebaut ist, kein politischer Aufstand mehr, sondern eher ein kommerzieller, queerer Anlass ist?
Baumann: Nein. Wir sind politisch. In unserer heteronormativen Welt ist der Akt, dass wir alle zusammen auf die Strassen gehen, sehr politisch. Mit dem Motto, den Reden, der Politikbühne und dem Magazin, sind wir auch inhaltlich politisch. Ich habe den Anspruch, dass die Pride für alle da ist. Ein schwuler SVPler gehört genauso zur Community, wie jemand, die einfach nur feiern will. Niemand soll das Gefühl haben, er:sie sei nicht willkommen, nur weil er:sie sich nicht aktivistisch engagiert.
Thamm: Wo fängt queere Politik an und wo hört sie auf? Es kommt immer wieder der Vorwurf, dass wir zu wenig gegen den Kapitalismus unternehmen. Für mich ist Kapitalismus nicht das wichtigste Thema, um das wir uns als Pride kümmern müssen. Mein Fokus liegt auf konkreten Forderungen. Zum Beispiel auf der Ehe für alle im letzten Jahr. Viele dieser Forderungen haben nichts mit Kapitalismus zu tun.
«Für aggressive Riots sind wir eine Fehlbesetzung.»
Mentari Baumann, Präsidentin Zurich Pride
Hat sich also nichts verändert seit 1969?
Baumann: Doch, die Grundvoraussetzungen haben sich geändert, aber die Herausforderungen sind ähnlich wie damals: Homophobie, Transphobie, Hate Crimes… Letztere werden statistisch kaum erfasst.
Thamm: Vor kurzem wurde in Bassersdorf zum Beispiel ein «Diversity Böögg» verbrannt. Ich meine, was ist das für ein Zeichen?
Baumann: Darum: Pride is still a riot. Aber wir können uns nicht verbiegen. Für aggressive Riots sind wir eine Fehlbesetzung. Was uns aber vereinen sollte, ist die Tatsache, dass die Pride für uns alle ein wichtiger Moment in unserer Geschichte ist – wir alle haben einen Berührungspunkt mit ihr.