«Luxus» Teil 1: Die Luxus-Lüge - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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16. April 2019 um 14:00

Aktualisiert 26.01.2022

«Luxus» Teil 1: Die Luxus-Lüge

Jens Knöpfel, Tamino Kuny, Clara Richard, Meghan Rolvien, Alice Tripet und Julian Wäckerlin studieren Architektur an der ETH Zürich. Für Tsüri.ch verfassen sie drei Gastbeiträge, in denen sie den Begriff «Luxus» verhandeln. Denn was ist «Luxus» wirklich? Und was bedeutet «Luxus für alle»? Anhand dieser Fragen wollen sie zurück zum Kern der Architektur finden und hinterfragen, wie wir eigentlich leben wollen.

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Komfort ist Luxus. Davon gehen wir aus, während wir die langen Listen auf Homegate und Immoscout durchscrollen und uns die Frage stellen, in welcher von diesen glänzig-glamourösen und teuren Wohnungen wir wohl bis zu unserem finanziellen Ruin leben werden. Vom Komfortangebot überwältigt, überlegen wir uns, doch mehr als einen Drittel unseres Einkommens dafür ausgeben zu wollen. Denn was luxuriös ist, ist auch teuer.

Die Frage nach dem Luxus ist zu gross, um sie in Bezug aufs Wohnen so schnell beantworten zu können. In der Regel wissen wir aber, dass luxuriöse Güter selten sind und die Nachfrage nach ihnen stets steigt. Gäbe es mehr von ihnen, würden sie an Wert verlieren. Im Wohnungsbau ist diese Klausel ein wenig verstrickter, da die Nachfrage ja kaum sinken kann, solange die Bevölkerung wächst und der Boden in den Städten nunmal knapp ist – die Nachfrage also steigt und der Bau von Wohnungen ebenfalls vorangeht.

Wir können uns aber trotzdem fragen, was Luxus im Wohnen für uns persönlich bedeutet. Dies haben wir ein Semester lang getan, indem wir uns die besten Beispiele aus dem Wohnungsbau genau angeschaut und uns dabei überlegt haben, was denn eigentliche Wohnqualitäten sein könnten, wenn nicht die klassischen Standards, die auf dem Zürcher Wohnungsmarkt zementiert werden.

Zu viel des Besten?

Wenn wir uns das Bild von der klassischen Wohnung mit dem Namen «Classic» an der Europaallee anschauen, sehen wir auf den ersten Blick eine Luxuswohnung. Bei genauerem Hinschauen jedoch ist die eigentliche Wohnung kaum noch zu sehen, da sie von Kalksteinböden, Eichenparkett, Kalk- und Lehmputz, Keramikfliesen, Glasbaustein «Clearview», Holzwerkstoff lackiert und seidenmatt, Naturstein «Grey Basalt» und so weiter zutapeziert, versiegelt und abgedeckt wurde, so dass der eigentliche Raum, der sogenannte Rohbau, verschwunden ist. Durch unzählige Auflagen und oft knappe Flächen ist es letztlich der Innenausbau, der zum einzigen Wirkungsfeld der Architekt*innen wird. Dies beraubt uns jedoch (nicht nur als Architekt*innen, sondern vor allem als Bewohner*innen) unserer Freiheit, darüber zu entscheiden, wie wir in unseren eigenen vier Wänden leben wollen.

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Europaallee Haus F, Roger Boltshauser, Wohnung «Classic»

Denn der Entwurf geht von Bewohner*innen aus, die es nicht gibt. Für den messbaren Wohnungsbau zählt der Durchschnittsmensch: Eine Person, die ein Reduit braucht, eine Dusche im Badezimmer, ein Bett im Schlafzimmer und Sofas überall dort, wo noch Platz bleibt. Wir passen also unsere Bedürfnisse und Wünsche an, geben uns zufrieden mit den hohen Kosten, den kuscheligen Spannteppichen, den Einbauschränken und allem, was uns sonst noch angedreht wird für 2'400 Franken pro Monat. Und vergessen dabei, wie wir es eigentlich gewollt hätten. Oder noch schlimmer: Wir kommen gar nie zu dem Punkt, an dem wir uns überlegen, wie wir eigentlich gern wohnen möchten.

Schöner teurer Schein

Dass die steigenden Bodenpreise auch die Mieten in die Höhe treiben, ist leider eine logische Konsequenz. Dass aber in den Innenausbau auch so viel investiert wird, um entweder den Standard noch mehr zu erhöhen oder aber die Fehler im Rohbau zu kaschieren, bleibt unausgesprochen. So sieht es auch bei den technischen Installationen aus, also Heizungsrohren, Lüftungen, Wasserleitungen etc. Diese werden heute überall in die Wände, Decken und Fussböden gepackt, so dass nichts mehr von allem sichtbar ist. Wenn also ein Rohr repariert werden sollte, muss erstmal eine Wand aufgerissen werden, die sonst noch siebenundvierzig Jahre (oder länger!) gehalten hätte. Das alles, zusammen mit den längst überholten Nachhaltigkeitstandards, macht heute ungefähr die Hälfte der gesamten Gebäudekosten aus.

Ein Gegenbeispiel dazu ist das Haus an der Feldstrasse 24 – ein Haus, das ich kürzlich im Vorbeigehen entdeckt und gleich darauf die Verwaltung kontaktiert habe. Es habe seit 2008 keinen Mieterwechsel mehr gegeben, erklärte man mir. Grund dafür seien die grosszügigen Wohnungen und der niedrige Mietzins. Die Miete sei so günstig, weil sich die Besitzer entschieden hätten, den eigentlichen Rohbau des ehemaligen Tapisseur-Hauses an Büros und private Bewohner zu vermieten.

Nur Grundausstattung wie Leitungsführung, Elektrizität, Wasser etc. waren vorhanden. Für Küche, Bad, Böden und alles, was man zum Innenausbau zählt, seien die Mieter*innen selbst verantwortlich gewesen. So kann der*die Mieter*in sparen und investieren, wie er*sie will. Dies habe dazu geführt, dass keine dieser Wohnungen in den letzten zehn Jahren aufgegeben und zurück in den Wohnungsmarkt geschickt worden sei. Aufwandskosten der Verwaltung, Spekulationspreise und Renovationskosten blieben (und bleiben immer noch) fast gänzlich aus.

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Chalon-sur-Saône / Prés-Saint-Jean, Lacaton & Vassal, minimaler Innenausbau, nahe einem Rohbau

Am Beispiel der Europaallee – wo die neue Wohnung eher dem neuen Ledersofa gleicht, Leitungen, Heizungen und Vorhangschienen versteckt werden, koste es was es wolle – ist der Komfort, der heute häufig als Luxus verstanden und gleichgesetzt wird, hoffentlich an seinem finalen Höhepunkt angelangt. Aber auch billige Investorenbauten werden heute bis aufs Letzte ausgestattet, sodass günstige Materialien durch noch schlechtere verdeckt und für das Immoscout-Foto kurz zum Lebenstraum angerichtet werden.

Wir sind der Meinung, Wohnen betrifft alle gleich. Wir sollten nicht vergessen, was die eigentlichen Qualitäten wie gute Grundrisse, Licht, frische Luft, hohe Decken und im besten Fall noch eine schöne Aussicht bedeuten. Wir wollen uns nicht vorschreiben lassen, was Luxus ist, sondern sollten die Möglichkeiten zurückerlangen, ihn selbst zu kreieren. Der Aufwand und die Kosten eines Gebäudes sollten in das eigentliche Haus investiert werden, in die rohe Struktur. Und um alles was folgt, können wir uns wieder selbst kümmern.

Text: Clara Richard

Titelbild: Europaallee Haus F, Roger Boltshauser

«Luxus» Teil 2: Räumliche Vielfalt als Luxus

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Die Autor*innen
Jens Knöpfel, Tamino Kuny, Clara Richard, Meghan Rolvien, Alice Tripet und Julian Wäckerlin sind eine Gruppe von Architekturstudent*innen an der ETH Zürich. Im vergangenen Herbstsemester haben sie sich am Lehrstuhl von Professorin Anne Lacaton unter dem Titel «Inhabiting: Freedom, Pleasure and Luxury for all» mit Wohnungsbau in Zürich und Wohnen ganz allgemein beschäftigt. Sie haben für das von den SBB umstritten projektierte Neugasse-Areal ein Alternativprojekt ausgearbeitet. Ihr Vorschlag: eine Umnutzung des bestehenden Depots zu Hallenwohnungen, ein Wohnhochhaus für alle und ein gen Stadt durchlässiger Wohnblock. Dabei ging es darum, Wohnqualitäten wie freie Aussicht, viel Raum und örtliche Gegebenheiten zu kombinieren und die dafür notwendigen architektonischen Eingriffe auf ein Minimum zu reduzieren. Verdichtung und mehr Raum für alle sind für sie dabei kein Widerspruch, sondern Fundament einer sozialen Stadt.

Mehr zu ihrem Projekt findet ihr hier:

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