Zürcher:innen wollen weltoffen sein – Expats erleben das anders
Zürcher:innen sehen ihre Stadt als international, Expats aber fällt es schwer, hier Anschluss zu finden. Umfragen von Tsüri.ch zeigen: Schweizerdeutsch ist das Problem.
«Mit den Locals in Kontakt zu kommen, ist sehr schwierig.» Das sagen viele Expats, die an der Tsüri-Umfrage teilgenommen haben. Und: Echte Freundschaften zu knüpfen, sei kaum möglich. Zwar fühlen sich die meisten grundsätzlich sehr wohl in Zürich, doch soziale Nähe zur einheimischen Bevölkerung bleibt für viele eine Herausforderung.
Sie arbeiten hier, sie leben hier – wie geht es den Expats in Zürich? Und wie beschreiben die Zürcher:innen ihr Zusammenleben mit den Expats? Tsüri.ch hat zwei Umfragen durchgeführt, je rund 200 Expats und Zürcher:innen haben daran teilgenommen. Die Resultate zeigen: Die Einschätzungen der Expats und der Zürcher:innen gehen teils weit auseinander.
Als grösste Stadt der Schweiz, mit diversen Hochschulen, dem Bankenplatz und mehreren weltweit tätigen Grossunternehmen schätzt eine überwältigende Mehrheit der an der Umfrage teilnehmenden Locals ihre Stadt als «weltoffen» und «international» ein. Man ist gesellschaftlich progressiv, offen für neue Entwicklungen und Kulturen – und gefällt sich auch in dieser Rolle.
Aber sobald im Café auf Englisch bestellt wird, kippt die Stimmung: Rund die Hälfte hat keine Lust, ihren Kaffee auf Englisch bestellen zu müssen.
Dazu passt, was die Expats in der Umfrage berichten. Es gäbe eine grosse Distanz zu den Einheimischen: sprachlich, kulturell, gesellschaftlich. Diese Distanz bleibt nicht folgenlos. Mehr als die Hälfte der Expats gibt an, in Zürich bereits aufgrund ihrer Sprache, Herkunft oder Hautfarbe diskriminiert worden zu sein.
Man will offen sein, fremdelt aber mit Menschen, die eine andere Sprache sprechen? International ja, aber bitte auf Schweizerdeutsch?
Die Forderung der Zürcher:innen ist denn auch deutlich: Expats, lernt Deutsch! Nur neun Prozent geben an, Deutsch zu sprechen, sei nicht so wichtig.
Die Expats nehmen diese Erwartung durchaus wahr. Viele sprechen nach eigenen Angaben zwar Deutsch oder Schweizerdeutsch, meist aber nur auf einfachem Niveau. Das reicht für den Alltag, nicht aber für tiefere Gespräche.
Die Folge: Viele bleiben in der eigenen Community. Und wünschen sich mehr Unterstützung, zum Beispiel durch zusätzliche Deutschkurse. Einer der Befragten sieht es anders: «Cancel Swiss German.» Englisch solle stattdessen offizielle Sprache werden.
Das Bild, das viele Zürcher:innen von Expats haben, ist gemischt: gut gebildet, gut verdienend, nur kurzzeitig hier und darum nicht sonderlich an lokalen Strukturen interessiert. Manche empfinden Expats als hochnäsig und haben das Gefühl, dass von ihnen weniger Integration erwartet wird.
Ein Blick auf das soziale Engagement zeigt: Rund zwei Drittel der Expats sind nicht gesellschaftlich eingebunden, etwa in Sportclubs, Vereinen oder Nachbarschaftsinitiativen. Jene, die es sind, sagen jedoch, das helfe beim Ankommen.
Sie empfehlen deshalb anderen Expats: Engagiert und vernetzt euch. Und von den Locals wünschen sie sich, sich mehr zu öffnen gegenüber Menschen, die eine andere Sprache sprechen – oder wie es jemand formuliert: «be less racist».
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An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Nina. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.