Vom «Gangster Paradise» zum «Bünzli Paradise»

Wie die Polizei die Stadt säubert

<!--more--> Vor 20 Jahren wurde das Rayonverbot sowie die Wegweisung eingeführt. Dadurch gewann die Polizei ein neues Instrument, um Personen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein- und auszugrenzen. Doch was hat es mit dem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit auf sich, inwiefern wirken sich die Instrumente auf den öffentlichen Raum aus und warum sollte diese Thematik jeden etwas angehen? Diesen Fragen stellte die Welt am Donnerstag in der autonomen Schule zur Diskussion. Manuela Schiller (Anwältin und AL-Politikerin) und Daniel Moeckli (Staatsrechtler) nahmen Stellung.<br><br> <strong>Die Anständigen schützen, die Randständigen entfernen</strong> Alkoholiker stinken, Jugendliche lärmen, Fussballfans randalieren und Ausländer pöbeln – Zürich würde zu Sodom und Gomorrha verkommen, wenn SIP und Polizei nicht für Recht und Ordnung sorgen würden. Ihre Waffen sind: Aus- und Eingrenzungen, Rayonverbote und Wegweisungen – das Recht, jemandem das Recht zu nehmen, sich an einem Ort aufzuhalten und diesen wieder zu betreten. Nachvollziehbar, wenn es sich beispielsweise um häusliche Gewalt handelt. Dass es aber bei allen verzeichneten Wegweisungen und Rayonverboten – im Jahr 2012 waren es 5323 Wegweisungen laut Medienmitteilung – um mehr geht als das Schützen von Opfer und das Verbannen von gewalttätigen Fussballfans aus den Zürcher Rayons, ist offensichtlich. Staatsrechtler Moeckli: «Vom Rayonverbot betroffen sind vorwiegend Fussballfans aber auch Ausländer. Von Wegweisungen meistens Alkoholiker und Drogenabhängige.» Es sind also unter anderem die Randständigen, die im öffentlichen Raum nicht mehr toleriert werden.<br><br> <strong>Wie juristisch ist Anstand?</strong> Moeckli und Schiller sind im Konsens: «Früher wurde mehr toleriert.» Auch der neue Slogan der Stadt «erlaubt ist, was nicht stört» spricht nicht gerade für ein liberales Zürich. Das störende Bild vom Säufer im Park wird also nicht mehr hingenommen und soll verschwinden. Einziges Problem dabei: Es liegt im Ermessen der Polizisten, was stört und was nicht. Und mit der Wegweisung bekamen die Behörden die Kompetenz Einzelpersonen wegzuweisen und fernzuhalten, ohne dass ihnen Straftaten nachgewiesen werden müssen. Klingt schwer nach Ordnungszwang und mütterlicher Bevormundung, die ihre Konsequenzen bereits zeigte. Beispielsweise die Bäkeranlage, genutzt meist von Familien, wurde von Alkoholiker befreit, um die anständigen Familienkreise zu schützen und die öffentliche Ordnung zu wahren. Allerdings wurden auch Wegweisungen an Jugendliche verhängt, die zusammen Bier tranken. Schiller: «Jugendliche, die früher die Sau rausliessen, sind heute Väter, die den jugendlichen Leichtsinn verbieten.» Dabei geht es viel mehr um Freiheit als um Sicherheit. Es geht um das Grundrecht der Bewegungsfreiheit, um die unverhältnismässige Repression der Polizei und um den öffentlichen Raum mit Benimmdiktat. <strong>Sauberes Stadtbild </strong>Zürich sieht sich als Weltstadt. Dabei soll die äussere Reputation blitzblank sein. Es gibt schlichtweg keinen Platz für Alkoholiker, Drogenabhängige, Jugendliche – für alle, die das Erscheinungsbild ruinieren. Wie eine Filterfunktion im virtuellen Raum wird der öffentliche Raum vom Ekligen und Unanständigen gesäubert.<br><br> «Jugendliche brauchen Freiräume, um zu chillen», erklärt Schiller. Doch genau dort zeigt Zürich die Tendenz Freiräume einzuschränken. Moeckli: «Die Privatisierung des öffentlichen Raumes nimmt zu und führt zu einer Konsumzone». Wie in einem Einkaufszentrum, welches als halböffentlicher Raum über eigene Verhaltensregeln verfügt, wird beispielsweise die Bahnhofstrasse sauber und ordentlich gehalten, sodass sie attraktiv für Kaufkräftige bleibt. Störenfriede müssen daher ferngehalten, sonst würde sich der Konsum an andere Orte verlagern. Es kann also absolut jeder, der als störend empfunden wird, wegewiesen werden. Ein Beispiel für die Entwicklung zur sauberen, ordentlichen Konsumzone ist die Gentrifizierung. Die Aufwertung ist dabei kein Vorreiter der Separation, sie ist die Durchführung, welche die Wohlhabenden bevorzugt.<br><br> <strong>Wer wehrt sich?</strong> Dass es rechtmässige Rayonverbote und Wegweisungen gibt, ist klar. Dass es nicht rechtmässige gibt auch. Am Vorfall vom 21.02. – von der Polizei wurden 800 Fussballfans beim Derbymarsch eingekesselt und fichiert – zeigt sich der schmale Grat. Laut Polizei wurde der Kessel aufgrund von zu vielen gezündeten Pyros und die damit verbundene gefährdete Sicherheit eingeleitet. Repressives Verhalten im Ermessen der Behörden zum Schaden von Fans und Unbeteiligten. Schiller: «Ich vertrete einige Fans, die unter dem Rayonverbot leiden. Nur mangelt es meist an Geld und Zeit, um ihnen juristisch zu helfen.»<br><br> Es ist eine biedere Entwicklung, die Zürich erlebt und die sich spielend zuspitzen könnte. Die Frage, die sich aufdrängt und die sich jeder stellen sollte ist: Will man in einer Stadt leben, wo Leben auf zugunsten der Ordnung geopfert wird? Und wenn Zürich schon als Metropole und nicht nur als Spielplatz für die Reichen und Schönen gesehen werden will, so ist doch ein respektvoller Umgang mit dem öffentlichen Leben und dem was jeder darin versteht, wohl unabdingbar.

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