Schwimmprojekt für Geflüchtete: Sara wagt den Schritt ins Wasser

Viele in die Schweiz geflüchtete Menschen können nicht schwimmen. Entsprechende Kurse sind oft Monate im Voraus ausgebucht. Ein Zürcher Verein versucht deshalb einen neuen Weg: Freiwillige sollen Geflüchteten selbstständig das Schwimmen beibringen. Wir haben zwei Projektteilnehmerinnen ins Freibad begleitet.

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Clea Wanner (links) und Sara treffen sich einmal in der Woche zum Schwimmtraining. (Bild: Isabel Brun)

Es ist nicht einer dieser heissen Sommertage, wie man ihn Anfang August erwarten würde. Immer wieder ziehen am Horizont dunkle Wolken auf. Doch obwohl Clea Wanner und Sara Khuzestani vom Regen verschont bleiben, werden sie in wenigen Minuten nass sein. Die beiden Frauen treffen sich regelmässig in den Badis Zürichs, damit Sara das Schwimmen lernen kann. Noch kann die 39-Jährige nicht ohne Risiko baden gehen – wie viele geflüchtete Menschen in der Schweiz.

Sie habe nie Angst vor Wasser gehabt, erklärt Sara, während sie langsam ins Nichtschwimmerbecken des Freibads Letzigraben steigt. Im Hintergrund turnt eine Handvoll Kinder auf einer Schwimminsel. Kreischend springen sie ins kühle Nass und werden prompt von der Bademeisterin zurechtgewiesen. «Wenn ich am See bin und sehe, wie sich andere problemlos im Wasser bewegen, wünsche ich mir, das auch zu können.» 

Sara wuchs im Iran auf; einem Land, wo dem Schwimmunterricht nur wenig Bedeutung zugeschrieben wird. Anders in der Schweiz: Hier ist der Besuch im Schwimmbad seit vielen Jahren Teil der Volksschulbildung. Gerade in der Wasserstadt Zürich mit dem See, der Limmat und der Sihl gehört das Baden zu einer beliebten Freizeitbeschäftigung.

Weil Sara nun nachholen möchte, was ihr einst verwehrt blieb, hat sie sich vergangenen Frühling für einen Schwimmkurs angemeldet. Doch wegen der vielen Anfragen landete sie auf einer Warteliste. Dass sie heute trotzdem im Wasser steht, hat sie einem Projekt zu verdanken, das Geflüchtete mit Freiwilligen verkuppelt.

Grosse Nachfrage nach Schwimmkursen

Der Schwimmkurs für Frauen sei seit seiner Einführung im Jahr 2021 stets ausgebucht, sagt Hanna Gerig vom Solinetz, einem Verein, der sich für Menschen mit Fluchterfahrungen im Raum Zürich einsetzt. «Mit den ersten warmen Tagen im Jahr nimmt die Nachfrage massiv zu. Es gibt so viele geflüchtete Menschen in Zürich, die gerne schwimmen lernen wollen, aber die finanziellen Mittel nicht haben, um regulären Unterricht zu besuchen.» Insgesamt hat es im Kurs Platz für zwölf Frauen. Für einen Schwimmkurs für Männer fehlen aktuell Freiwillige, die auch das nötige Brevet haben.

«Wenn die Schwimmtandem-Paare einen freundschaftlichen Austausch über die verschiedenen Lebensrealitäten hinweg gefunden haben, freue ich mich ganz besonders.»

Hanna Gerig, Co-Geschäftsleiterin vom Verein Solinetz

Bei der Asylorganisation Zürich (AOZ), die seit 2017 Schwimmkurse für Geflüchtete anbietet, sei die Nachfrage über das Jahr hinweg ebenfalls sehr gross und die Angebote entsprechend schnell voll. Wie der Verein Solinetz sucht auch die AOZ aktuell nach geeigneten Freiwilligen. Denn ob die Kurse zustande kommen, sei «sowohl von den verfügbaren städtischen Wasserflächen als auch von den Ressourcen der freiwilligen Schwimmlehrer:innen abhängig», heisst es auf Anfrage. 

Dass so viele geflüchtete Menschen schwimmen lernen wollen, freut die AOZ: Die Nutzung der öffentlichen Bäder und der natürlichen Gewässer habe einen hohen Stellenwert im hiesigen Leben, so gesehen können Schwimmkenntnisse auch als ein Schritt hin zur Integration verstanden werden.

Aus der Not eine Tugend machen

Auch Sara könnte es helfen, sich in Zürich noch mehr zuhause zu fühlen, wenn sie zusammen mit anderen baden gehen könnte, statt ihnen vom Ufer aus zuzuschauen. Mittlerweile liegt sie rücklings in der Mitte des Beckens und umklammert das Schwimmbrett. Noch sieht das Ganze etwas verkrampft aus, doch genau darum geht es: Die Übung soll Sara ein besseres Gefühl dafür geben, wie sich ihr Körper im Wasser verhält. Clea hatte ihr zuvor gezeigt, wie sie durch das Bewegen der Beine vorwärts kommt.

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Dass die beiden fast gleich alt sind, ist kein Zufall: Das Solinetz achtet darauf, Menschen mit ähnlichen Steckbriefen zu matchen. (Bild: Isabel Brun)

Sie selbst sei eigentlich nicht so eine gute Schwimmerin, antwortet die 36-Jährige auf die Frage, weshalb sie sich als Freiwillige beim Solinetz gemeldet hat: «Es ist auch für mich eine neue Erfahrung, jemandem das Schwimmen von Grund auf beizubringen.» Dabei würden sich die Treffen mit Sara nicht nur auf das Schwimmtraining begrenzen; es gehe auch um den zwischenmenschlichen Austausch. «Wenn möglich, setzen wir uns danach noch hin, trinken etwas und reden miteinander», so Clea. Sie würden sich sehr gut verstehen.

Solche Rückmeldungen hört Hanna Gerig gerne: «Natürlich ist es das erste Ziel, dass am Schluss möglichst viele ihre Angst verlieren und sich sicher im Wasser bewegen können. Doch wenn die Schwimmtandem-Paare auch einen freundschaftlichen Austausch über die verschiedenen Lebensrealitäten hinweg gefunden haben, dann freue ich mich ganz besonders.» Dass durch das Projekt über 50 Anfänger:innen trotz ausgebuchten Kursen die Möglichkeit erhalten, schwimmen zu lernen, erfüllt sie mit Stolz. Von der Idee bis zur ersten Infoveranstaltung seien nur wenige Tage vergangen. Ein erfolgreicher Blitzstart.

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Die Übungen hat Clea an einer Infoveranstaltung zum Tandem-Projekt gelernt, die von einer Schwimmlehrerin durchgeführt wurde. (Bild: Isabel Brun)

Der Vorteil des Tandem-Konzepts ist laut Gerig, dass es im Gegensatz zu Gruppen-Schwimmkursen weder eine Reservation eines Beckens noch eine ausgebildete Person benötigt. Um die Freiwilligen nicht ins kalte Wasser zu werfen, habe man sie im Vorfeld gebrieft und ihnen Merkblätter mit Tipps und Übungen ausgehändigt. Clea habe sich vor dem ersten Treffen mit Sara gut vorbereitet gefühlt, sagt sie. 

Sensibilisierung statt Verbote

Projekte wie jenes vom Solinetz werden von vielen Seiten begrüsst. Auch, weil in den letzten Jahren immer wieder darüber berichtet wurde, dass Badeaufseher:innen regelmässig Geflüchtete aus dem Wasser retten müssten. 2016 schlugen einige Badis im Kanton Zürich Alarm, woraufhin der frühere SVP-Kantonsrat Mischol Tumasch eine Anfrage einreichte, die insgeheim darauf abzielte, Migrant:innen den Zutritt in Badeanstalten zu verbieten. Ein solches Verbot sei weder verhältnismässig noch rechtlich haltbar, hiess es schliesslich seitens des Regierungsrates. 

Die Problematik bestehe auch diesen Sommer, schreibt das Sportdepartement der Stadt Zürich auf Anfrage. Man sei daran, mit der AOZ und der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft (SLRG) Massnahmen zu erarbeiten.

Die SLRG arbeitet schon seit mehreren Jahren mit Behörden zusammen, um Geflüchtete noch besser auf die Gefahren im und ums Wasser zu sensibilisieren. Unter anderem habe man überlebenswichtige Bade- und Flussregeln auf 14 Sprachen übersetzen lassen, so der Mediensprecher der SLRG, Christoph Merki. «Die Verantwortung aber liegt schlussendlich immer bei den Personen, welche sich ins Wasser begeben.»

Ihm sei es wichtig, die Bestrebungen nicht auf gewisse Nationalitäten zu beschränken. Vielmehr soll die potenzielle Ertrinkungsgefahr auf allen Stufen der Gesellschaft erkannt werden. Statt Verboten wünscht sich Merki, dass der «Wasserkompetenz» von Menschen mehr Beachtung geschenkt und dies auch von der Politik mitgetragen wird. 

Laut Auswertungen der SLRG starben in der Schweiz diesen Sommer bereits 34 Personen bei Ertrinkungsunfällen. Wie viele von den Opfern Geflüchtete waren, könne aufgrund der unvollständigen Datenlage jedoch nicht gesagt werden.

Sara taucht auf, holt tief Luft, bevor sie ihren Kopf erneut unter Wasser steckt. Ihre Fortschritte seien enorm, sagt Clea, die neben ihr im Pool hergeht und sie stützt. Erst zum dritten Mal sind die beiden zusammen in der Badi. Noch geht es nicht ohne Schwimmhilfe, doch Sara hofft, dass sie bis Ende dieses Sommers alleine durchs Wasser gleiten kann.

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