Apropos Yuppies an der Langstrasse: Traure nie einem Strip-Schuppen hinterher

<!--more--><br><br> Die Aufwertung verdrängt das Milieu im Kreis 4. Darum finden es die Jungen plötzlich traurig, wenn ein Cabaret schliesst. Ein seltsamer Sexismus breitet sich aus.<br><br> Vor einigen Wochen musste das «Cabaret Royal» seine Türen schliessen. Der Strip-Club an der Stauffacherstrasse ist nur eines von vielen Lokalen, das in den letzten Jahren der Quartieraufwertung weichen musste. Die Kontaktbar «Sonne» ist zu, das Licht im St. Pauli schon lange erloschen. <h3><strong>Der Rapper Tinguely de Chächt reimt schwermütig:</strong></h3> <p style="padding-left: 30px;"><em>«S git kein Stripschuppe meh, es git kei Tänz nüm ade Stange</em></p> <p style="padding-left: 30px;"><em>S Milieu isch vergange und jetzt gseht mr d Nutte nur no im Museum, d Touriste bis us Dütschland bsuechet s Vieri als Kolosseum.»</em></p> Schöne neue Chreis 4.<br><br> <iframe src="https://www.youtube.com/embed/_ZPKqW_Mf1U" width="640" height="360" frameborder="0" allowfullscreen="allowfullscreen"></iframe><br><br> Ja, der Kreis 4 gehört nun den Yuppies und den Eggersdorferinnen, die am Freitagabend anreisen, um sich an der Langstrasse zu betrinken. Die skurrilen Gestalten werden verdrängt, das Sex-Gewerbe ebenso. Die Linken, die Krassen aus dem «Gonzo» und die zugezogenen, selbsterklärten Lokalpatrioten schwanken zwischen lähmender Nostalgie, so als hätten sie die Achtzigerjahre im Quartier selbst erlebt, und aufschäumendem Zorn, der die Europa-Allee vor etwas mehr als einem Jahr in Scherben legte.<br><br> <strong style="color: #333333; font-family: Roboto, Helvetica, 'Helvetica Neue', Arial, sans-serif; font-size: 18px; letter-spacing: 0.05em; line-height: 1.3; text-transform: uppercase;">Und heute? In der Mars-Bar tönt es so:</strong> <p style="padding-left: 30px;"><strong>A:</strong> Hast du gehört, das Cabaret Royal ist zu?</p> <p style="padding-left: 30px;"><strong>B:</strong> Fuck, wieder eines. Jetzt sind dann alle weg.</p> <p style="padding-left: 30px;"><strong>A:</strong> Da kommt bestimmt ein Grafiker-Büro rein oder so.</p> <p style="padding-left: 30px;"><strong>B:</strong> Es geht echt bergab.</p> <p style="padding-left: 30px;"><strong>A:</strong> Scheiss Gentrifizierung echt.</p> <p style="padding-left: 30px;"><strong>B:</strong> Fuck, voll.</p> <p style="padding-left: 30px;"><strong>A:</strong> Nimmst auch nochmals eine Runde?</p> Klar haben die beiden grundsätzlich Recht. Die Aufwertung im Kreis 4 trifft die Schwächsten, die Sprühereien mit «One Solution – Revolution» an jeder Ecke sind durchaus legitim. Aber die Nostalgie all jener (meist weisser, privilegierter Jungs), die sich die «alte Langstrasse» zurückwünschen, ist Fehl am Platz. Früher, als es noch krass war, bedeutet vor allem: als Sex-Arbeit noch weniger reguliert war als heute und jährlich Dutzende von Menschen an einer Überdosis starben. Früher, als die Anwohnerinnen auf der Strasse gefragt wurden, wie viel sie kosten, und sich die Prostituierten auf dem Strassenstrich gegenseitig im Preis unterboten.<br><br> Es ist nicht schade, dass das «Cabaret Royal» zu ist. Es ist sogar begrüssenswert, dass ein Lokal, indem Frauen sich für Geld an der Stange räkeln und sich irgendwelche Kerle daran aufgeilen, bankrott geht. Nicht alles Verdrängte ist schützenswert. Auch die Argumentation, dass es allen Menschen, ob reich, arm, mit oder ohne Pass, automatisch bessergeht, wenn die Yuppies weg sind, greift zu kurz. Die Sache ist komplexer. Aufwertungskritik im Namen der Schwächsten zu betreiben und die Bedürfnisse dieser nicht zu kennen, geht nicht auf. Man muss sich fragen, ob die Strip-Clubs nun in der Agglomeration aufgehen, weil sie an der Langstrasse nicht mehr rentieren? Oder ob die Institutionalisierung der Prostitution mit dem Strichplatz in Altstetten doch etwas Positives bewirkt hat? Müsste man sich vielleicht eher dafür einsetzen, dass Sex-Arbeiterinnen weniger stigmatisiert werden – statt «A.C.A.B.»-Kleber an jede Ampelstange zu kleben und es schade zu finden, dass das Quartier heute weniger krass ist als früher?<br><br> <hr /><br><br> <strong>Tsüri-Mail: Für mich bitte au nomal ä Rundi. </strong> 

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<br><br> <hr /><br><br> Der Gedanke von «Reclaim the Streets» darf nicht zu einer undurchdachten Anti-Haltung verkommen. Es beschleicht einem das Gefühl, dass diejenigen, die am lautesten gegen den neuen Kreis 4 anschreien, das in erster Linie tun, damit sie auch weiterhin in Spelunken saufen können und sich in ihrer moralischen Überlegenheit suhlen können. Eine Diskussion über den Zusammenhang von Aufwertung, Sexarbeit und Geschlecht mag vielleicht weniger krass sein, als vermummt Steine zu werfen – aber wäre eine beeindruckende Wende im etwas chauvinistisch geprägten Gockelkampf zwischen Polizei und Aktivisten im Kreis 4.<br><br> <hr /><br><br> <em>Autorin Nina Kunz nimmt sich aus dieser Kritik nicht heraus. Im Gegenteil möchte sie sich bei der Nase nehmen, da sie sich immer wieder dabei erwischt, wie sie lokalpatriotische Chauvi-Positionen vertritt.</em>

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