Künstler:innen nach 2 Jahren Corona: Cali P - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Isabel Brun

Redaktorin

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20. März 2022 um 05:00

Künstler:innen nach 2 Jahren Corona: «Ich verbringe gern Zeit alleine; dann entstehen oft neue Ideen»

Seit dem ersten Lockdown sind zwei Jahre vergangen. Wie geht es den Zürcher Kunst- und Kulturschaffenden heute? Wir haben einige von ihnen auf ihrem Sofa besucht und nachgefragt. Heute erzählt uns der Dancehall- und Reggae-Musiker Cali P von seiner Zeit im Lockdown – und den positiven Aspekten davon.

Hier fühlt er sich Zuhause: Cali P in seinem Studio an der Gasometerstrasse in Zürich. (Foto: Elio Donauer)

Cali P heisst eigentlich Pierre Nanon, wuchs in der Schweiz auf und lebte sei 2009 auf Jamaika. Während der Pandemie kehrte er der Karibik den Rücken zu und kam zurück in seine Heimat, in der er auch alle seine Alben produzierte. Als er international bekannt wurde, war Cali P gerade mal 23 Jahre alt, heute, 14 Jahre später, veröffentlichte er 2021 bereits seine fünfte Solo-Platte «Vizion». Im Musikbusiness ist der Sänger und Produzent ein alter Hase, hat bereits mit Stress und Phendomden Songs aufgenommen. Mit seinem Label «Senmbelek» will er deshalb vor allem jungen Künstler:innen eine Chance geben.

Welches Werk beschreibt die letzten zwei Pandemie-Jahre für dich am besten?

Mir kommen da zwei Lieder in den Sinn, die ich während dieser Zeit veröffentlicht habe. Zum einen «Lockdown»; der Titel ist zwar selbsterklärend. Aber wenn man den Song richtig auf sich wirken lässt, versteht man, dass es darum geht, dass unsere Arbeit trotz Lockdown nicht aufhört und wir uns selbst auf kreative Weise am Laufen halten. All dies wurde mit lokalen Künstlern – Mykel Costa, Jordan Parat – und in Zürich produziert. Auch das Video zum Song.

Und dann wäre da noch «Rise Up and Shine». Der Song hat mir selbst in dieser Zeit immer wieder zugesprochen und mich aufgeheitert. Es ist ein sehr motivierendes Lied. Es beschreibt, dass wir aufsteigen und scheinen sollen, weil wir nie aufgeben. In diesem Song von meiner aktuellen Platte «Vizion» wurde ich von Stonebwoy, Seun Kuti, dem Sohn von Fela Kuti, und TEKA unterstützt.

Wie haben dich die vergangenen zwei Jahre als Künstler beeinflusst? 

Als Künstler bin ich stets in Entwicklung. Immer. Egal, wie meine Lebenssituation gerade ist, und ich lerne auch immer mehr dazu. Da ich fast keine Konzerte spielen konnte, hatte ich sehr viel Zeit, um mich selbst «weiterzubilden». Ich habe das Musiklabel «Senmbelek» gegründet, das als Plattform dienen soll, auf der jüngere Artists ihre Musik veröffentlichen können. Wo sie Support bekommen von Leuten, denen Musik auch am Herzen liegt und sich im internationalen Markt auskennen.

«Ich liebe mein Musikerleben – ich bin stolz darauf, was ich erreicht habe.»

Cali P

Ich möchte meine Musik auch selber veröffentlichen können und dazu beitragen, dass sich in der Schweiz noch eine viel grössere Musikszene entwickelt als wir schon haben. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich in Zürich die Möglichkeit habe, ein sehr gutes Studio benutzen zu können. Das Dubversive Studio wurde in den zwei Jahren zu meinem Zuhause: Nirgends verbrachte ich so viel Zeit wie dort. Seit meiner Zeit als professioneller Musiker war ich noch nie zuvor eine so lange Zeit in einer Stadt. Es ist ein Segen, dass ich dieses Studio gefunden habe. Aron, einer meiner besten Freunde, hat dieses Studio vor über 20 Jahren gebaut. Fast jeder bekannte internationale Reggae- oder Dancehall-Artist hat schon da aufgenommen. Und jetzt ist es einfach der Ort, wo ich Musik so laut hören kann, wie ich will und meinen Ideen freien Lauf lassen kann. Dies ist die Bedingung, um kreativ funktionieren zu können. Dafür bin ich sehr dankbar. 

Die Kulturbranche hat sehr unter den Corona-Massnahmen gelitten – was waren deine schwierigsten Momente? 

Ich war natürlich besorgt, als ich merken musste, dass ich schon sechs Monate kein Konzert gespielt hatte. Daraus wurden fast zwei Jahre. Das war eine totale Ausnahmesituation. Es schien mir aber wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und diese Zeit gut zu investieren, weil es nicht für immer so bleiben wird. Das waren meine Gedanken und so habe ich mein Bestes versucht, so aktiv wie möglich zu sein und dies hat sehr gut funktioniert. Tatsächlich bin ich erst während Corona wieder in die Schweiz gezogen. Vorher habe ich fast zehn Jahre in Jamaika gelebt. 

Hattest du mal den Gedanken, dein Künstlerleben aufzugeben?

Es ist das erste Mal, dass ich diese Frage überhaupt so vor mir sehe. (lacht)

Ich habe mich das noch nie gefragt. Ich liebe mein Musikerleben – ich bin stolz darauf, was ich erreicht habe. Damit kann ich meine Familie ernähren. Ausserdem habe ich grossen Respekt vor Musik, Kunst und Kreativität. Meine Gedanken gehen eher in die andere Richtung: Wie können wir unsere Kultur weiterbringen, unsere Communities unterstützen? Ich versuche immer, mehr zu machen. Das ist meine Arbeit und ich liebe sie.

Was war gut in den letzten zwei Jahren? Woran hast du dich gewöhnt, was willst du beibehalten?

Ich mochte die Ruhe während den Lockdowns. Ich verbringe gern Zeit alleine; das sind die Momente, in welchen Ideen entstehen. Das möchte ich zu meiner Gewohnheit machen. Das bedeutet aber nicht, dass ich mich irgendwie abschirmen will. Ganz im Gegenteil: Ich schätze den Kontakt mit Menschen sehr. 

Durch die Pandemie wurde ich organisierter. Das hat sicher auch mit dem Umzug in die Schweiz zu tun. Weiter habe ich in den letzten zwei Jahren viele kreative und talentierte Menschen kennengelernt und hoffe auf neue Kollaborationen – sei es in musikalischer Hinsicht oder sonstige Kunst. Kreativität ist meiner Meinung nach nicht limitiert. 

Die unsicheren Zeiten halten an, wenn auch nicht mehr nur pandemiebedingt. Wie willst du die kommenden Monate angehen? Auf welches Projekt von dir können wir uns freuen?

Ich habe zum Glück langsam wieder mehr Konzertanfragen und auch die Events, die ich in der Schweiz veranstalte, können wieder durchgeführt werden. Dazu konzentriere ich mich vor allem auf die Musikproduktion. Wir haben seit dem neuen Jahr eine limitierte Vinylplatte meines neusten Albums «Vizion» veröffentlicht. Musikalisch wird also auch weiterhin viel passieren. 

Auch künstlerisch möchte ich mich nicht einschränken: Ich bin mit meinem Team eine NFT-Kollaboration eingegangen, die «CryptoRastas» heisst. Am 1. April wird zum ersten Mal meine Gestalt digital verpixelt als einmalig bestehendes Bild versteigert und Menschen auf der ganzen Welt verkaufen sich dieses Werk dann gegenseitig weiter. Dabei gewinnt das digitale Kunstwerk an Wert. Das hört sich zwar komplex an, ist aber ganz einfach. Für mich ist es ein grosser Kunstmarkt, an dem ich immer mehr und mehr Gefallen finde. Die Auktion ist öffentlich auf Opensea und jede:r ist willkommen, mal rein zu schauen wie sowas abläuft. Ich selber werde auch dabei sein!

Angenommen, Corona würde erst heute ausbrechen: Welches Produkt würdest du –  mit der Erfahrung aus den letzten zwei Jahren Pandemie – hamstern? 

Lustige Frage! Ich würde wohl ein eigenes Testzentrum eröffnen – aber eines, das gute Musik spielt, während die Gäste warten.

Serie «So geht es Künstler:innen nach 2 Jahren Corona»

Am 16. März 2020 wurde in der Schweiz der erste Corona-Shutdown angeordnet, während dem das öffentliche Leben vom Bundesrat weitgehend zum Erliegen gebracht wurde: Leere Strassen, Plätze und Cafés boten ein ungewohntes Bild. Dass die Pandemie bis heute andauern wird, hätte damals wohl keine:r erwartet. Besonders die Kunst- und Kulturbranche wurde von den immer wieder neu definierten Corona-Massnahmen hart getroffen. Wir wollten deshalb wissen: Wie geht es den Zürcher Kunst- und Kulturschaffenden heute?

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