Künstler:innen nach 2 Jahren Corona: Boskovic-Scarth - Tsüri.ch #MirSindTsüri
account iconsearch
Von Rahel Bains

Redaktionsleiterin

emailwebsite

17. März 2022 um 20:59

Künstler:innen nach 2 Jahren Corona: «Es lief bei uns so gut wie noch nie»

Seit dem ersten Lockdown sind zwei Jahre vergangen. Wie geht es den Zürcher Kunst- und Kulturschaffenden heute? Wir haben einige von ihnen auf ihrem Sofa besucht und nachgefragt. Das Malerduo Boskovic-Scarth über Analysen durch die «Corona-Brille» und neue künstlerische Positionen.

Das Malerduo Boskovic-Scarth in ihrem Atelier im Kreis 6. (Foto: Elio Donauer)

Mehrmals in der Woche arbeitet das Malerduo Boskovic-Scarth gemeinsam in seinem Atelier im Kreis 6 Schulter an Schulter am gleichen Gemälde. Inspirieren lassen sich Vincent Scarth (30) und Lorenz Bachofner Boskovic (31) dabei mal von ihrem Alltag, mal von «Lokalem» wie dem Waldboden oder von Zersetzerpilzen angefressenen Baumstämmen. Die Pandemie hat ihnen bezüglich dem Verkauf ihrer Kunst mehr geholfen als Schwierigkeiten bereitet. Und vielmehr als das Virus selber, haben die beiden in den vergangenen zwei Jahren ohnehin politische Diskurse beschäftigt.

Tsüri.ch: Welches Werk beschreibt die letzten zwei Pandemie-Jahre für euch am besten?

Boskovic-Scarth: Einige Tage vor dem Lockdown waren wir an einem Konzert der britischen Band «Girl Ray». Da konnte man noch Livemusik hören gehen, musste aber bereits angeben, ob man sich in letzter Zeit in China, Italien oder dem Iran aufgehalten hatte. Das war dann für eine ziemlich lange Zeit das letzte Konzert für uns. Das letzte Lied dieses letzten Konzertes hiess «Like the stars». Eigentlich ein ziemlich melancholisch-schnulziges Stück, das bei uns aber noch lange nachklang und am Ende zu einem Bild wurde. Das Werk «Girl Ray (Albani)» stellt die Band dar, währenddem sie dieses Lied im nicht allzu vollen Albani spielen. Oben rechts ist noch ein etwas einsamer und schüchterner Jubel als «uuuuuuuuu» zu sehen. Dieser Song steht für uns besonders mit der ersten Welle der Pandemie in Verbindung.

Wie haben euch die vergangenen zwei Jahre als Künstler beeinflusst?

Es ist interessant, dass man im Moment alle kulturellen Produktionen mit der «Corona-Brille» analysieren und sich fragen kann, was nun wohl der Faktor Pandemie für einen Einfluss darauf hatte. Themen, mit denen wir uns in den letzten zwei Jahren auseinandergesetzt haben, sind unter anderem Pilze und Coop-Zeitungen. Wir haben eine Fernsehsendung namens Boskovic-Scarth TV gestartet und eine Dreierserie von Bildern zur Schweizer Nati gemalt. Eines davon zeigt die gesamte Mannschaft bei Denis Zakaria zuhause, das zweite Zakaria selber, wie er auf etwas Leuchtendes schaut und das dritte einen Fussballrasen im Stadion von Mönchengladbach, bei dem wir jedes wuchernde Gräschen einzeln gemalt haben. Da sieht man mit der «Corona-Brille» vermutlich schnell gewisse Muster.

Vielmehr als das Virus selber, haben uns die letzten zwei Jahre aber die politischen Diskurse zu Rassismus und Postkolonialismus beschäftigt. Wir sind ja beide auch Gymi-Lehrpersonen und im Rahmen dieser Tätigkeit haben wir viel Zeit darin investiert, uns zu überlegen, wie wir diese Themen im Bildnerischen Gestalten angehen können. Diese Auseinandersetzung, die wir noch immer führen, hat uns zu ganz neuen künstlerischen Positionen in der Malerei geführt – inspiriert von zum Beispiel Henry Taylor, Jennifer Packer, Kerry James Marshall oder Noah Davis. Diese Maler:innen beeinflussen uns als Referenzen jetzt stark in unserer Arbeit. Inhaltlich machen wir uns auch viel mehr Gedanken dazu, aus welcher Position und Perspektive heraus wir Bilder produzieren, und wen oder was wir denn überhaupt darstellen wollen und sollen.

Und dann ist in der Zwischenzeit Lorenz Papa geworden, und der Kleine bringt ja auch eine gewisse Veränderung mit sich.

Die Kunst- und Kulturbranche hat sehr unter den Corona-Massnahmen gelitten – was waren eure schwierigsten Momente? (Und hatten diese allenfalls gar nicht mit den Massnahmen zu tun?)

Wir sind da vielleicht wirklich eine Ausnahme, aber bezüglich unserer «Geschäfte» hat die Pandemie eher geholfen als uns Schwierigkeiten bereitet. In den letzten zwei Jahren haben wir unerwartet viele Bilder verkauft, konnten einige Ausstellungen durchführen und bekamen viele tolle Rückmeldungen von verschiedenen Seiten. Das liegt vielleicht daran, dass die Leute während dem Lockdown ihrem Zuhause mehr Aufmerksamkeit widmeten und dabei die Lust auf Gemälde gefördert wurde. Als gegenständliche Maler bieten wir mit unseren Bildern oft ja auch eine Art «Fenster» zu einem anderen Ort, was im Lockdown sicherlich vielen gefehlt hatte. 

Die Massnahmen haben uns zum Glück in unserer künstlerischen Arbeit wenig beeinflusst. Das liegt auch daran, dass wir sowieso im Atelier arbeiten und unsere Arbeiten sozusagen auch «auf Vorrat» produzieren können – wenn sie nicht sofort gezeigt werden, dann ergibt sich auch später oft eine Gelegenheit. Zudem verdienen wir mit der zusätzlichen Arbeit als Lehrpersonen den Grossteil unseres Lebensunterhaltes. Bei der Malerei sind wir deshalb nicht so stark auf finanzielle Einnahmen angewiesen, was ein grosses Privileg ist.

Bezüglich den schwierigen Momenten: Wir müssen immer wieder lernen, auf welche Institutionen und Menschen wir uns mit der Kunst verlassen möchten, und wo allenfalls Skeptik angebracht ist. Wir sind noch ziemlich neu in dieser Welt und haben eher limitierte Zeitressourcen. Da müssen wir herausfinden, was sich lohnt und was eher nicht. Vincent hatte zum Beispiel die Erkenntnis, dass er sich in der «Kunstmarkt-Szene» nicht sehr wohl fühlt. Er möchte nicht, dass irgendwelche Reichen unsere Bilder kaufen – das haben wir eben nicht nötig, deshalb arbeiten wir ja in der Bildung.  

«Soeben haben wir eine Ausstellung abgeschlossen, bei der wir überfahrene Tiere aus dem Thurgau gemeinsam mit ihren Geistern ausstellen.»

Boskovic-Scarth

Kam euch auch schon mal der Gedanke, euer Künstlerleben aufzugeben?

Nein, auf keinen Fall. Aber eben, es lief uns so gut wie noch nie. Und wir sind ja auch nicht «nur» Kunstschaffende, so kommt diese Frage eigentlich gar nicht auf. Man könnte sich ja ehrlich gesagt auch fragen, ob es überhaupt möglich ist, das ganz abzulegen.  

Was war gut in den letzten zwei Jahren? Woran habt ihr euch gewöhnt, was wollt ihr beibehalten?

Wir haben in den letzten zwei Jahren viel gelernt und werden vieles auch weiterverfolgen. Die Video-Arbeiten mit Boskovic-Scarth TV haben uns grossen Spass gemacht. Mit diesen eher vermittlerischen, diskursiven Formaten werden wir bestimmt weiter arbeiten. Und die Auseinandersetzung mit den Pilzen hat uns auch weitere thematische Türen eröffnet. Unsere künstlerische Auseinandersetzung mit der Natur und dem Ort oder Moment, wo diese mit der «Kultur» kontrastiert, spielt jetzt schon seit einiger Zeit eine Rolle in unseren Arbeiten. Soeben haben wir zum Beispiel eine Ausstellung abgeschlossen, bei der wir überfahrene Tiere aus dem Thurgau gemeinsam mit ihren Geistern ausstellen.

Die unsicheren Zeiten halten an, wenn auch nicht mehr nur pandemiebedingt. Wie wollt ihr die kommenden Monate angehen? Auf welches Projekt von euch können wir uns freuen?

Es bleibt bei uns ziemlich konstant. Jetzt läuft gerade eine Ausstellung im Tankkeller in Egnach (TG) und dann freuen wir uns anschliessend auf eine Ausstellung mit «La Capsula» in Zürich. Was uns die nächsten Monate erwartet ist, dass wir unbedingt viel Neues malen müssen!

Angenommen, Corona würde erst heute ausbrechen: Welches Produkt würdet ihr –  mit der Erfahrung aus den letzten zwei Jahren Pandemie – hamstern?

Vor dem Lockdown haben wir im Strehler Farbwaren im Kreis 3 gleich zwei Rollen Papier gekauft – was sich dann aber als eher unnötig herausstellte. Weil man Papier die ganze Zeit über trotzdem kaufen konnte, wenn auch in einem komplexeren Prozedere. Was wir sonst noch hamstern könnten? Ferienhäuschen vielleicht? Aber das ist auch unfair gegenüber anderen. Oder Konzerte! Vincent hat sich geschworen, nie mehr auf ein Konzert zu verzichten, nur weil er nicht mehr «mag» oder so. Und er wäre nach England gegangen, um Marmite zu hamstern. Cenovis ist schon fein, aber ja…

Serie «So geht es Künstler:innen nach 2 Jahren Corona»

Am 16. März 2020 wurde in der Schweiz der erste Corona-Shutdown angeordnet, während dem das öffentliche Leben vom Bundesrat weitgehend zum Erliegen gebracht wurde: Leere Strassen, Plätze und Cafés boten ein ungewohntes Bild. Dass die Pandemie bis heute andauern wird, hätte damals wohl keine:r erwartet. Besonders die Kunst- und Kulturbranche wurde von den immer wieder neu definierten Corona-Massnahmen hart getroffen. Wir wollten deshalb wissen: Wie geht es den Zürcher Kunst- und Kulturschaffenden heute?

1. Schriftstellerin und Kolumnistin Julia Weber: «Aus der Ruhe entstand eine Sprache»

2. Musikerin und Frontfrau von Black Sea Dahu Janine Cathrein: «Als wäre ich konstant auf Abruf»


Das könnte dich auch interessieren