Künstler:innen nach 2 Jahren Corona: Julia Weber - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Alice Britschgi

Praktikantin Redaktion

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16. März 2022 um 05:00

Künstler:innen nach 2 Jahren Corona: «Aus der Ruhe entstand eine Sprache»

Seit dem ersten Lockdown sind zwei Jahre vergangen. Wie geht es den Zürcher Kunst- und Kulturschaffenden heute? Wir haben einige von ihnen auf ihrem Sofa besucht und nachgefragt. Im ersten Beitrag dieser Serie erzählt Schriftstellerin und Kolumnistin Julia Weber, weshalb sie seit Corona viel besser mit sich allein sein kann.

Julia Weber zu Hause zwischen Kisten: Heute ist Zügeltag. (Foto: Alice Britschgi)

Julia Weber ist Schriftstellerin, Mitbegründerin des feministischen Autorinnenkollektivs RAUF und Kolumnistin bei tsüri.ch. Sie lebt mit ihren beiden Töchtern und ihrem Mann in Zürich. Ihr erster Roman «Immer ist alles schön» (2017) erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Am 7. April erscheint ihr neues Buch «Die Vermengung», eine hochpoetische und sehr persönliche Auseinandersetzung mit der Wechselwirkung zwischen Kunst und Leben. Die Buchpremiere findet am 13. April im Kaufleuten statt.

Tsüri.ch: Welches Werk beschreibt die letzten zwei Pandemie-Jahre für dich am besten?

Julia Weber: Vielleicht die Goldberg Variationen von Bach gespielt von Glenn Gould. Ich habe das Bild der leeren Strassen im Kopf. Der geschlossenen Läden in der Innenstadt und auch der Angst vor etwas, was wir nicht kennen, von dem wir nicht wissen, wie gefährlich es ist. Und aber auch die Ruhe, die Einsamkeit, der Friede darin. Und manchmal war es so still und nichts ist passiert, dass man den eigenen Atem hören konnte, Glenn Gould hört man manchmal auch atmen.

Wie haben dich die vergangenen zwei Jahre als Künstlerin beeinflusst?

Ich hatte durch die ausbleibenden Anlässe und Situationen des Zusammenkommens mit anderen Menschen eine Zeit der Ruhe, in der sich mein Schreiben verändert hat. An den Abenden Zuhause habe ich geschrieben, manchmal Wein getrunken und auch manchmal Schokolade gegessen. Ein Buch ist entstanden, früher als gedacht. Eine Sprache, die aus der Ruhe gekommen ist und die Beschreibungen sind näher an mir, vielleicht auch, weil ich mehr Zeit mit mir verbracht habe. 

«Ich hatte im Herbst 2019 meine Tochter bekommen und war ohnehin in einer sehr kleinen Welt der Windeln und des Kindertragens, des Milchgeruchs und gedämpften Lichts, als Corona kam.»

Julia Weber

Die Kunst- und Kulturbranche hat unter den Corona-Massnahmen gelitten – was waren deine schwierigsten Momente? 

In Bezug auf mein Kunstschaffen kann ich mich an keine schwierigen Momente erinnern. Ich hatte grosses Glück, hatte gerade eine lange Zeit der intensiven Lesereisen und Veranstaltungen hinter mir, hatte im Herbst 2019 meine Tochter bekommen und war ohnehin in einer sehr kleinen Welt der Windeln und des Kindertragens, des Milchgeruchs und gedämpften Lichts, als Corona kam.

Hattest du mal den Gedanken, dein Künstlerinnenleben aufzugeben?

Ich habe schon viele Male darüber nachgedacht (was aber nichts mit der Pandemie zu tun hat und hatte) weil es eine sehr aufreibende und manchmal auch einsame Arbeit ist, in der man sich stark mit sich selbst und auch der Welt beschäftigt, was ungesund sein kann, weil es manchmal dazu führt, das die eigenen Grenzen scheinbar aufgelöst werden, weil viel von Welt und Gefühl in einem wohnen kann, aber es ist mir nie etwas eingefallen, was ich ebenfalls tun könnte, was mich im gleichen Masse erfüllen würde.

Ich liebe die Kunst sehr, sie ermöglicht mir eine Lebendigkeit zu haben, die ich in dieser Leistungsgesellschaft, in der die Menschen so sehr funktionieren und abliefern müssen, brauche, um überhaupt leben zu wollen. Das klingt vielleicht gross, aber das ist es auch.

Was war gut in den letzten zwei Jahren? Woran hast du dich gewöhnt, was willst du beibehalten?

Ich kann viel besser mit mir allein sein. Und ich habe viel Zeit mit meinen beiden Töchtern verbracht, dass will ich beibehalten, ich bin ruhiger geworden, aber das hat nur bedingt mit Corona zu tun.

Die unsicheren Zeiten halten an, wenn auch nicht mehr nur pandemiebedingt. Wie willst du die kommenden Monate angehen? Auf welches Projekt von dir können wir uns freuen?

Am 7. April erscheint mein zweites Buch «Die Vermengung», welches in den letzten Jahren entstanden ist. (Aber nicht die Pandemie zum Thema hat.) Die Buchpremiere ist am 13. April im Kaufleuten. Ich werde daraus lesen, es ist ein sehr persönliches Buch und ich freue mich sehr darauf und dann werde ich im Sommer nach Rom gehen mit meiner Liebe und meinen Töchtern und dort werde ich weiterschreiben.

Angenommen, Corona würde erst heute ausbrechen: Welches Produkt würdest du –  mit der Erfahrung aus den letzten zwei Jahren Pandemie – hamstern?

Keines. Wir hatten das grosse Glück, dass es nie an etwas gefehlt hat. Wir konnten immer essen und trinken und wir konnten manchmal nicht so sehr konsumieren, all das, was wir nicht brauchen, wie ich denke.

Serie «So geht es Künstler:innen nach 2 Jahren Corona»

Am 16. März 2020 wurde in der Schweiz der erste Corona-Shutdown angeordnet, während dem das öffentliche Leben vom Bundesrat weitgehend zum Erliegen gebracht wurde: Leere Strassen, Plätze und Cafés boten ein ungewohntes Bild. Dass die Pandemie bis heute andauern wird, hätte damals wohl keine:r erwartet. Besonders die Kunst- und Kulturbranche wurde von den immer wieder neu definierten Corona-Massnahmen hart getroffen. Wir wollten deshalb wissen: Wie geht es den Zürcher Kunst- und Kulturschaffenden heute?

1. Schriftstellerin und Kolumnistin Julia Weber: «Aus der Ruhe entstand eine Sprache»

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