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22. August 2018 um 07:56

Meinungs-Mittwoch: Lieber ein Rest Anstand als ein Anstandsrest

Unser Redaktor Marco Büsch regt sich im heutigen Meinungs-Mittwoch über den Anstandsrest auf. Denn dieser ist weit weg von anständig. Eine Tirade gegen Menschen, die WC-Rollen mit nur einem Restpapierchen hinterlassen.

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In der neuen Artikel-Reihe «Meinungs-Mittwoch» leistet sich jeden Mittwoch ein Redaktionsmitglied von Tsüri.ch eine Meinung. Sei es als Kolumne, Glosse oder eventuell als Video mit Tanzeinlage. Denn wie hat es Clint Eastwood als Dirty Harry damals so schön auf den Punkt gebracht: Meinungen sind wie Arschlöcher, jeder hat eins.

Wer bei einem Kuchen ungefragt das letzte Stück an sich reisst, hat keinen Anstand. Deshalb lässt man das letzte Stück immer übrig. Daher kommt der Begriff «Anstandsstück» oder «Anstandsrest». Diese Anstandsregel stammt natürlich aus einer Zeit, in der man sich nicht innerhalb von 30 Minuten einen neuen Kuchen im Internet bestellen konnte. Heute ist der «Anstandsrest» eher ein «Faulheitsrest» und mit Anstand hat er nicht mehr viel zu tun.

Es ist eine alltägliche WG-Situation: Man geht auf die Toilette und macht, was man halt so macht auf einer Toilette. Danach greift man zum Toiletten-Papier und an der Rolle hängt nur noch ein kleines Blättchen. Zu viel, um die Rolle wegzuwerfen. Zu wenig, um damit ordentlich arbeiten zu können. Man sucht entnervt nach einer Ersatzrolle, wird aber nicht fündig, weil es die letzte im Haushalt war. Der*die letzte Benutzer*in der Toilette wusste das auch, nicht umsonst hat er*sie noch einen «Anstandsrest» von einem Blättchen WC-Papier übrig gelassen. Dieser kleine kümmerliche Rest entbindet einem nämlich von der mühseligen Pflicht, für einen Ersatz sorgen zu müssen.

Das gleiche gilt für die Milch im Kühlschrank. Es kann mir niemand erzählen, dass er*sie diesen einen übriggelassenen letzten Schluck anständig findet. Das bringt doch niemandem etwas, ausser gerade der Person, welche den Rest übrig gelassen hat und sich insgeheim freut, keine neue Milch bereitstellen zu müssen. Wäre es nicht ein schöneres Zusammenleben, würde jede*r Milch- und Toilettenbenutzer*in nur einen Moment an seinen Nächsten denken. Es wäre eine bessere Welt. Und ich wäre ein besserer Mensch, hätte ich nicht auch schon die fast leere Milch aus dem Kühlschrank genommen, geschüttelt und wieder zurückgestellt, mit dem Gedanken, dass heute ein besonders guter Tag für schwarzen Kaffee sei.

Es ist nicht einfach, sich der Verantwortung zu stellen. Aber irgendjemand muss den 35-Liter-Zürisack aus der Halterung nehmen und versuchen ihn zu verschliessen. Gar nicht so einfach, wenn er bereits mit der doppelten Menge gefüllt ist, weil alle sich gedacht haben: «Einer geht noch, einer geht noch rein». Es ist ein undankbarer Job, weil meistens niemand danebensteht und applaudiert. Aber jemand muss den Müll rausbringen, die WC-Rolle wechseln und neue Milch einkaufen. Arbeiten wir doch aktiv für eine Welt ohne Anstandsrest – dafür für eine Welt mit einem Rest Anstand.

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