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29. September 2018 um 11:51

Das neue Babette: Crêperie und Chnelle

Zwei ihrer Beizen hat die Gentrifizierung schon verdrängt, nun wagen sie einen dritten Versuch: Andi Handke und Timon Ruthe übernehmen ab Oktober die Crêperie «Bei Babette» am Idaplatz. Dort wollen sie eine Chnelle inmitten hipper Restaurants und Bars eröffnen.

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Es war für Andi keine Überraschung, als die Kündigung ins Haus flatterte. Er kennt diese Geschichte schon: Zwischen 2011 und 2014 hat er im Restaurant «Mühletal» gleich um die Ecke gewirtet. Nach einer Totalrenovation befindet sich dort nun eine Galerie. Die Wohnungen über dem Lokal kosten das Vierfache der vorherigen Miete. Nur ein Steinwurf weiter konnte Andi Handke dann zusammen mit Geschäftspartner Timon Ruther den «Holzschopf» übernehmen. Nach vier Jahren wird nun auch dieses Haus an der Heinrichstrasse renoviert und erhält zusätzlich eine Maisonette-Wohnung aufgestülpt. Danach lassen die gesetzlichen Vorlagen es nicht zu, dass am gleichen Ort wieder ein Restaurant betrieben wird. Somit verschwindet eine weitere Beiz aus dem Industriequartier.

«Bi euis söll mer eifach sii chöne»

Und gerade Beizen sind für ein Quartier unverzichtbar. Sie sind Treffpunkt für Menschen aller Art. Hier muss man nicht unbedingt essen – ein Bier tut es auch. «Bi euis söll mer eifach sii chöne», in Andis Worten. Nicht umsonst ist der «Holzschopf» Quartiertreff für Fussballvereine, Guggenmusik oder Volleyballer*innen. Eine Beiz, das ist ein Spunten, eine Chnelle. Manche würden sie anrüchig nennen, Andi nennt Beizen ehrlich und authentisch. Hier jasst Stadtrat Leupi, trinken WOZ-Journalist*innen ihr Bier, essen Polizist*innen in der Mittagspause und sitzen alte Menschen in der Gartenwirtschaft, die sonst keinen geselligen Ort zum Verweilen haben. Der älteste Gast ist Susi. Die 88-Jährige kommt regelmässig in den «Holzschopf», oft mit kleinen Geschenken wie Züri-Tirggel.

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v.l.n.r.: Andi, Susi und Timon

Es macht Andi wütend, dass Beizen verschwinden und Löcher hinterlassen, welche nicht mehr gefüllt werden. «Die Beizenkultur ist ein schützenswertes Gut, dem sollte sich die Stadt bewusst sein», sagt Andi. Die Qualität einer Stadt messe sich auch an ihren Begegnungsorten und Freiräumen. Die Stadt richte ihre Zukunft aber wohl eher auf zahlungskräftige junge Menschen aus, als auf die 08/15-Bürger*innen. Nach dem Verlust von zwei Beizen in acht Jahren ist der gelernte Koch vor allem enttäuscht, dass sie der Gentrifizierung so machtlos gegenüberstehen. Er und Timon hätten deshalb vor den Sommerferien beschlossen, das Wirten aufzugeben, weil die Kündigung absehbar war. Doch in diese Untergangsstimmung hinein fiel das Angebot, die Crêperie «Bei Babette» in Wiedikon zu übernehmen. Die Vorbesitzerinnen wollten das Lokal aus «privaten Gründen» abgeben.

Ein Angebot, bei dem man nicht nein sagen kann

«Ich wohne scho sit 10 Jahr im foifi, ich weiss nöd wie's däne lauft», erwidert Andi auf die Frage, ob das mit dem «Babette» klappen wird. «Däne», das ist Wiedikon. Ab Oktober werden Andi und Timon dort das Lokal übernehmen. Man spürt, dass Andi gerne im Kreis 5 geblieben wäre. Hier haben sie ihre Stammkundschaft, hier haben sie sich alles aufgebaut. Susi hat zwar versprochen, jeweils mit dem Taxi in den Kreis 3 zu fahren – jeden Tag wird sie das wohl nicht tun können. Trotzdem ist Andi glücklich über die Chance, welche die zwei Wirte erhalten haben. Zumal der Vertrag über mehrere Jahre läuft und sich so längerfristig planen lasse.

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Das «Babette» an der Bertastrasse

Das «Babette» muss ab Oktober übernommen werden, während Andi und Timon den «Holzschopf» erst im Februar verlassen. Für mehrere Monate werden sie zwei Lokale zugleich führen müssen: Das ist ein enormes finanzielles Risiko. Sie täten es unter anderem auch für die Community, für all die Bäuer*innen und Produzent*innen, die auf sie angewiesen seien. Andi greift hinter den Tresen im «Holzschopf» und reicht eine Visitenkarte von Stephan Bohnenblust, einem Käser aus Meiringen im Berner Oberland. «Stephan lebt auf einer Alp mit 20 Kühen und hat keinen Zugang zum Markt. Ich kaufe aber jedes Jahr fast 350 Kilogramm Käse von ihm», fügt Andi hinzu. Für die Kundschaft geben sie jedes Jahr über 100'000 Franken für Essen aus. Dabei ist es Andi wichtig, dass nicht alles zu den Grossverteilern fliesse.

Ihre Beiz mag klein sein, die Gemeinschaft dahinter ist es nicht. Eine neue Beiz ist ein Risiko, entsprechend sind die beiden Wirte auch auf den entsprechenden Rückhalt angewiesen: Um die dringend nötige finanzielle Unterstützung zusammen zu bekommen, haben Andi und Timon daher ein Crowd-Funding gestartet. 60'000 Franken wollen sie innerhalb von 100 Tagen sammeln. Gut zwei Drittel sind bereits zusammen. Auch der Käser habe drei Laib Käse gespendet.

Eine Beiz mit Crêpes

Den Namen, die Crêpes und das Frühstück des «Babettes» wollen sie behalten – aus Respekt vor den Vorbesitzerinnen und weil es funktioniert. Ansonsten wollen sie jedoch weiterhin eine waschechte Beiz sein. Abends soll es zusätzlich einige Menüs geben, in manchen Wochen Gastköch*innen. Man wolle weiterhin mit regionalen und saisonalen Produkten kochen, wobei die Preise fair bleiben sollen.

Andi gibt sich kämpferisch auf die Frage, ob sie Bedenken hätten, weil sie in ein Lokal in Sichtweite des Idaplatzes ziehen würden. Dieser wurde ja nicht umsonst schon «Paradebeispiel des Aufschwungs» genannt. Im Trendquartier gesellen sich trendige Restaurants wie das «Miki Ramen» zu Spelunken wie dem «Zentralstübli» (ohne Website, ein Statement für sich). «Wir werden uns nicht verbiegen. Wir bleiben unkompliziert im Umgang mit den Leuten und duzen alle. Wir werden eher ein ‹Zentralstübli 2.0› als ein ‹Miki Ramen›», meint Andi dazu.

Ihm schwebe vor, dass das «Babette» tagsüber mehr Crêperie sei und Abends mehr Beiz. Ob der Spagat zwischen Crêpe und Chnelle gelingt, weiss wohl noch niemand. Im Gespräch mit Andi wird vor allem eines klar: Essen ist hier mehr als nur Nahrungsaufnahme. Essen ist politisch. Mehrmals fällt der Satz: «Ich halte es für ein Grundrecht, dass jeder Mensch Zugang auf nachhaltig und fair produzierte Lebensmittel hat.»

Bilder: Marco Büsch

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