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8. Januar 2019 um 14:02

Thomas Meyer: «Alles, was diskriminierend ist, ist dumm»

Die Verfilmung von Thomas Meyers Bestseller «Wolkenbruch» hat in der Schweiz die Diskussion losgetreten, was Humor darf und was nicht. Und vor allem: Wer darf wann Witze über Juden machen oder nicht? Sergio Scagliola vom LYRICS Magazin hat den Buchautor getroffen und ihm all diese Fragen gestellt.

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LYRICS Magazin
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Im Gespräch mit Thomas Meyer für das LYRICS Magazin: Sergio Scagliola

Mordechai Wolkenbruch, genannt Motti, muss sich in Thomas Meyers Bestseller «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» einiges an Sprüchen anhören. Enzo, seines Zeichens Macho und versierter Sprücheklopfer, ist nie um einen schlechten Scherz verlegen à la: «Jetzt werfen die Juden einander schon selbst aus ihren Häusern». Der Entwicklungsroman, der inzwischen auch verfilmt wurde, beschäftigt sich mit dem Ausbruch eines 25-jährigen Schwärmenden aus einer orthodoxen Gesellschaft – und das in humorvoller Art und Weise. Doch wo liegen die Grenzen zwischen einer Preisgabe an die Lächerlichkeit und respektvollem Witz über die Eigenheiten einer Kultur? Ich habe mit Thomas Meyer über Antisemitismus, Kollegah und Humor zwischen Respektlosigkeit und liebevoller Spielerei gesprochen.

Sind Witze über Juden lustig?

Es hängt davon ab, wer sie macht. Ausserdem ist Humor nie unabhängig von seinem Motiv: Warum spotte ich? Spotte ich, weil es einfach eine lustige Umgangsform ist zwischen zwei Menschen, die sich nahe sind? Spotte ich, weil ich darin ein Mittel finde, um Reaktion zu provozieren oder spotte ich aus Verachtung? Meinem Buch kann man durchaus vorhalten, dass es sich über die Community lustig macht, bloss finde ich, dass es das auf eine liebevolle Art macht. Es wird niemand blossgestellt oder degradiert, ich mache mich einfach über diese Eigenheiten lustig.

Das heisst, dort liegt auch der Unterschied, wer spotten darf und wer nicht – in der Beziehung zum Verspotteten?

Ja. Juden dürfen über Juden einiges sagen und Nichtjuden fast nichts. Ich habe schon von Nichtjuden Bemerkungen entgegengenommen, zu denen ich gesagt habe: Wäre lustiger gewesen, wenn ich es gesagt hätte. Es kommt immer darauf an, wie jemand zu mir steht.

Thomas Meyer
Thomas Meyer, 1974 geboren in Zürich, ist ein Schweizer Schriftsteller. Sein Debütroman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schicks» stand 51 Wochen lang auf der offiziellen Schweizer Bestsellerliste. Der Roman handelt von einem jungen frommen Juden, der sich in ein Mädchen verliebt. Seine Religion macht dieses Unterfangen aber verdammt kompliziert. Die Buchverfilmung «Wolkenbruch» läuft seit Oktober in den Schweizer Kinos.

Ich würde Sie gerne mit verschiedenen Rap-Lines konfrontieren, die das Judentum thematisieren: «[...] weil wir wie Judensterne Stars sind im Ghetto», Ali As in «Euphoria».

Das ist vor allem unbeholfen getextet. Ich sehe das Wortspiel mit der Doppeldeutigkeit der Worte, aber es ist schlecht gemacht und auf den Effekt hin konzipiert. Wenn man sowas macht, sollte man es besser machen.

«Verkauf Rauschgift in Massen an blasse Frauen, die aussehen wie Auschwitzinsassen», Kollegah in «Nacht».

Wenn ich die Gangster-Rap-Szene richtig begreife, dann geht es stark darum, möglichst krass zu sein: Ich bin ein unglaublich geiler Hengst und kann alle Frauen flachlegen und bin extrem reich und sehe wahnsinnig gut aus, und alle haben ein wenig Angst vor mir, während ich mich alles traue. Ich bin härter und wilder, auch verbal. Innerhalb dieses Kontextes sind solche Lines ein sehr probates Mittel, um sich Respekt zu verschaffen. Ich persönlich finde es unreif, unnötig und vor allem unbeholfen. Wenn das die Definition von Männlichkeit und Stärke ist, dann ist etwas schiefgelaufen. Was man allerdings festhalten muss, ist: Dieser Auschwitzvergleich ist nicht antisemitisch.

Wieso nicht?

Weil Antisemitismus Judenfeindlichkeit bedeutet. Ein Antisemit macht gegenüber den Juden als Gesamtheit negative Zuschreibungen, er verachtet sie allein dafür, dass sie Juden sind. Er behauptet zum Beispiel, dass alle Nationalbanken der Welt von Juden unterwandert seien. Aber zu sagen, dass Frauen so bleich sind wie Auschwitzinsassen, ist einfach nur dumm und kindisch. Wer so redet, ist ein Trottel, kein Antisemit. Aber die Texte von Kollegah sind ja auch sonst so. Der Mann scheint einfach ein ziemlich heftiges Problem mit sich selbst und Frauen zu haben.

Um einen Vergleich zu ziehen: Diese Lines berufen sich auf die Ebene der Sprache, es sind Metaphern, Wortspiele und so weiter. Mich erinnert das an die Figur Enzo aus Ihrem Buch – ein Macho, der nie um einen Spruch verlegen ist und gerne krasse Vergleiche dieser Art zieht. Die Reaktion Mottis auf diese Sprüche ist generell, dass sie einfach hingenommen werden, jedoch nicht darüber gelacht wird. Er empfindet die Sprüche nicht als Angriff. Was ist der Unterschied zwischen Enzos «Steht Dusche drauf und ist was ganz anderes drin» und dieser Kollegah-Line?

Sprachlich ist das sehr nahe beieinander, der Unterschied liegt jedoch im Absender. Ich zitiere Oliver Polak: «Ich bin Jude, ich darf das.»

Enzo ist aber kein Jude.

Aber ich. Ich darf eine Figur das sagen lassen.

Es geht hier also um den Autor und nicht um den Erzähler des Buches?

In diesem Zusammenhang schon. Das Interessante ist ja, dass dies eine Kollegah-Line sein könnte. Wenn das so wäre, dann muss man sagen: Du bist ein Arschloch. Und jetzt nehme ich sie, platziere sie in mein Wolkenbruch-Buch und dann ist das lustig, weil ein Jude es geschrieben hat.

Und wenn sie ohne Verfasser dasteht?

Dann ist sie strittig. Dann würde ich sagen: Bring mir den Kontext. Wer hat das wann und wie gesagt und warum? Das ist ja das Interessante, es ist nicht kontextunabhängig. Ich darf all diese Jokes machen, andere nicht. Ist das ein Gesetz? Ja. Gibt es ein Argument für dieses Gesetz? Nein.

An was macht man es dann fest?

An der Zugehörigkeit zu einer leidtragenden Minderheit. Mache ich mich über eigenes oder fremdes Leid lustig? Indem ich als Jude derbe Sachen über Juden sage, betreibe ich Humor. Wenn ein Nichtjude das macht, ist es Spott. Das ist der Unterschied. Darum dürfen ja auch nur Schwarze zueinander «Nigger» sagen.

Es stört mich, dass die Antisemitismusdebatte genau hier geführt wird, wo meiner Meinung nach gar kein Antisemitismus vorliegt, sondern nur kindisches Geschwätz.

Thomas Meyer

Wo zieht man dann die Grenze? Was mir spontan einfällt, ist der Name der Restaurantkette «Tschingg». Ich persönlich finde es einfach dumm, dass man ein Restaurant nach einem Fluchwort gegen eine Nationalität benennt.

Ich glaube, das ist auch ein Ausdruck von Selbstbewusstsein. Deine Beleidigung ist mein Schmuck.

Ist es aber langfristig nicht eher kontraproduktiv? Das Restaurant «Tschingg» beispielsweise verleiht dem Begriff wieder eine gewisse Salonfähigkeit.

Erstens ist es immer salonfähig, abwertend über andere zu reden. Zweitens zielt die Frage der Langfristigkeit auf eine Heilungsmöglichkeit ab. Wenn man von der Frage ausgeht, ob etwas im Kampf gegen Diskriminierung förderlich oder nicht förderlich ist, dann bedingt das, dass es einen Punkt gibt, an dem Diskriminierung unter ein kritisches Niveau fällt. Ich glaube nicht, dass es einen solchen Punkt gibt. Es ist eine ganz persönliche Einstellung, wie jemand denkt, spricht und handelt. Wer Achtung vor seinen Mitmenschen hat, hat sie auch, wenn ein Italiener seinen Laden «Tschingg» nennt, und wer sie nicht hat, fühlt sich sowieso durch alles darin bestätigt. Ich persönlich finde den Namen auch doof. Es sind jedoch zwei verschiedene Diskussionen, ob etwas bescheuert oder diskriminierend ist. Alles, was diskriminierend ist, ist dumm. Aber nicht alles was dumm ist, ist diskriminierend.

Wie bringt man Humor in ein so ernstes Thema wie das orthodoxe Judentum?

Ich, und das ist meine persönliche Meinung, finde Religion etwas sehr Humorloses, weil Religion bedingt, dass man viele Dinge sehr ernst nimmt, und Humor ist das Gegenteil. Humor macht sich über Dinge lustig und unterspült sie so. Aber wie bringt man Humor in eine Thematik? Ich denke, man macht es einfach. Das ist kein Rezept.

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Soll man das?

Das ist eine gute Frage, braucht es Humor? Ich glaube Humor ist häufig auch einfach eine Antwort. Wenn ich mich selbst betrachte, wie ich als Kind irgendwann begriffen habe, dass es Religionen gibt und dass die Juden anders betrachtet werden und dann kommt noch die schreckliche Geschichte hinzu – meine Antwort ist einfach Humor. Ich gehe damit um, indem ich mich über weite Strecken darüber lustig mache. So gehe ich generell mit vielem um, und ich fahre ziemlich gut damit.

Ihr Buch thematisiert schlussendlich eine Diskrepanz zwischen der konservativen Orthodoxie und der eher offenen Popkultur. Gibt es etwas, was dem Kontakt dieser Kulturen im Weg steht? Wenn ja, was – und wie lässt sich das umgehen?

Der Name sagt es ja: Die Orthodoxie ist konservativ, weil sie das Orthodoxe bewahrt. Würden die frommen Juden sich öffnen für andere Lebensweisen, wäre das eine Absage an die eigene. Gleichzeitig frage ich mich ganz ehrlich, warum so viele Leute den Juden vorwerfen, sich nicht zu integrieren. Wollen die wirklich alle jüdische Freunde haben?

In Ihrem Buch fällt die Aussage: «Es hätte alles so einfach sein können, schwarzer Anzug, Hemd, Krawatte». Motti bricht in seiner kritischen Reflexion aus seiner Kultur und seinem Habitus aus. Ist es nötig, sich aus einer Thematik auszubrechen, um sie kritisch betrachten zu können? Und könnte man dies auf die «Machokultur» des HipHops projizieren – muss ein Kollegah sich von seiner Musik distanzieren, um sie kritisieren zu können?

Es ist ja nicht üblich, das Eigene zu kritisieren, und wenn ein anderer es tut, wird man erst mal sauer auf ihn. Wir finden, was wir tun und sagen, prinzipiell brillant. Motti bricht aus seiner Kultur aus, weil es für ihn eine Not gab. Ich bezweifle, dass Kollegah diese Not empfindet. Vermutlich sind alle, die ihn kritisieren, in seinen Augen einfach rückgratlose Jasager.

Was stört Sie an der Echo-Antisemitismusdebatte, wenn es denn überhaupt, wie Sie bereits thematisiert haben, eine Antisemitismusdebatte ist?

Es stört mich, dass die Antisemitismusdebatte genau hier geführt wird, wo meiner Meinung nach gar kein Antisemitismus vorliegt, sondern nur kindisches Geschwätz. Die Debatte müsste in Bezug auf die vielen Glaubenssätze geführt werden, die man über «die Juden» mit sich herumträgt und im Alltag von sich gibt. Es ist sehr einfach, auf einen prolligen Rapper zu zeigen. Schwieriger wäre der Blick in den Spiegel.

Was raten Sie der HipHop-Szene in Bezug auf die Antisemitismusdebatte?

Ich würde mir wünschen, dass sich Typen wie Kollegah ihrer Funktion bewusst sind. Die Interpreten tragen eine Mitverantwortung in Bezug auf die sprachliche Akzeptanz und Normalisierung. Wenn ich als Star nie von Frauen, sondern nur von «Bitches» spreche, dann wird das normalisiert und dessen muss man sich bewusst sein. Man macht Musik nicht nur für sich selbst.

Bilder: Claudia Herzog

Wir danken dem LYRICS Magazin für die Bereitstellung dieses Interviews und wünschen viel Erfolg bei ihrer guten und wichtigen Arbeit! Supportet ihre Arbeit: Hier.

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