Aufwertung im Kreis 3: Droht Meyer's und Co das baldige Aus? - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Steffen Kolberg

Redaktor

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26. August 2022 um 04:00

Aufwertung im Kreis 3: Droht Meyer's und Co das baldige Aus?

Das Immobilienunternehmen Ledermann aus dem Seefeld hat in den letzten Jahren mehrere Objekte im Kreis 3 aufgekauft. Darunter auch ein Areal gegenüber dem Lochergut, auf dem die Meyer's Bar untergebracht ist. CEO Manuel Itten sieht hier eine Chance, «städtebauliche Akzente zu setzen».

(Foto: Steffen Kolberg)

«Die Meyer's Bar zwischen der Tram-Haltestelle Lochergut und der Ausgehmeile Langstrasse ist legendär», schreibt sogar Zürichs offizielle Tourismus-Organisation in ihrem Online-Reiseführer zuerich.com. Und auch wenn solche Werbe-Verlautbarungen mit Vorsicht zu geniessen sind: Es stimmt schon, dass diese Kneipe im Eckhaus zwischen Badener- und Meinrad-Lienert-Strasse einen ganz besonderen Flair hat. Hört man sich unter den Gästen um, so bestätigen diese: Das Meyer's ist ein zentraler Treffpunkt für die Quartierbewohner:innen, eine Art letzte Bastion in einer Umgebung, die sich in den letzten Jahren stark verändert hat. Die nahe Weststrasse, für 40 Jahre eine der grossen Verkehrsachsen durch die Stadt, wurde 2009 für den Durchgangsverkehr gesperrt. Seither steckt die Gegend rund um das Lochergut in einem rasanten Aufwertungsprozess.

Und dieser ist in absehbarer Zeit noch nicht zu Ende: Der im letzten Jahr vom Volk angenommene Richtplan Siedlung hält in der näheren Umgebung Platz für zwei potentielle Grünflächen-Grossprojekte frei: Eine Überdachung der Gleise an der Seebahnstrasse mit einer Parkanlage sowie die Umwandlung der Sihlfeldstrasse in eine begrünte Fussgänger- und Velo-Magistrale. Sollte auch nur eines der beiden Projekte realisiert werden, würde das die Attraktivität des Quartiers sicher nochmals stark befeuern.

«Seefeldisierung» am Lochergut?

«Wir können uns vorstellen, dass sich das Gebiet in den nächsten Jahren durchaus interessant entwickelt», findet auch Manuel Itten. Er ist CEO der Ledermann Management AG. Das von Urs Ledermann gegründete Unternehmen hat sich vor allem im Seefeld einen Namen gemacht, wo es sich früh auf die hochwertige Sanierung von Altbauten spezialisierte und inzwischen auch verstärkt Ersatzneubauten realisiert. Als wichtiger Akteur der «Seefeldisierung», also der Gentrifizierung im Kreis 8, ist Ledermann dort nicht unumstritten: Gerade Bewohner:innen günstiger Altbauwohnungen fürchten, dass das Unternehmen ihr Gebäude kaufen und eine Luxussanierung durchführen könnte, wie unsere Seefeld-Recherche im Frühjahr gezeigt hat.

In Ledermanns Portfolio findet sich inzwischen auch die Badenerstrasse 219, in der das Meyer's untergebracht ist. Und nicht nur das: Auch die benachbarte Badenerstrasse 217 sowie die Badenerstrasse 211, in der sich früher der Fotoladen Ernst befand, gehören dem Unternehmen. Eine Anfrage beim Grundbuchamt ergibt, dass ausserdem die Badenerstrasse 213 sowie die Meinrad-Lienert-Strasse 18 inzwischen der Ledermann Entwicklung AG gehören. Die fünf Immobilien wurden alle zwischen 2016 und 2020 erworben und bilden ein zusammenhängendes Areal, das sich ideal für einen Ersatzneubau anbieten würde.

Treffpunkt der Quartierbewohner:innen: Die Meyer's Bar. (Foto: Steffen Kolberg)

Atelierwohnungen und Minilofts an der Badenerstrasse

Was das bedeuten kann, lässt sich an einer anderen Erwerbung Ledermanns im Kreis 3 beobachten: Die Gebäude an der Badenerstrasse 423 bis 431 kaufte das Unternehmen bereits vor gut zehn Jahren. Kürzlich reichte es ein Baugesuch für einen Ersatzneubau ein. Die Pläne des Projekts «Amalfiküste» lassen einen grossen, verschachtelten Gebäudekomplex erahnen. Die Anzahl der Wohnungen erhöht sich drastisch, von jetzt 37 auf dann 97. Doch knapp die Hälfte dieser Wohnungen sind «Atelierapartments» oder «Minilofts».

Bei diesen handle sich um kleinere Wohnungen, die zum Teil Wohnen und Arbeiten kombinieren sollen, erklärt Manuel Itten. Sie sollen den Ansprüchen an Flexibilität und einen guten Preis gerecht werden. Wie hoch die Preise letztendlich sein werden, könne er zwar momentan nicht sagen. Insgesamt gehe es bei dem Projekt aber darum, durch eine andere Gebäudetypologie «spannende Wohnnutzungen zu realisieren.» Mit Projekten wie diesem stelle man sich den aktuellen Fragestellungen der Stadtentwicklung: «Da geht es um Zielsetzungen wie das Bevölkerungswachstum, eine gewisse Verdichtung und die verkehrstechnische Entwicklung, die das mitbringt.»

«Die bestehenden Gebäude sind in einem bescheidenen Zustand und haben nur eine begrenzte Attraktivität.»

Manuel Itten, CEO Ledermann Management AG

Ob das Unternehmen auf dem Areal gegenüber dem Lochergut tatsächlich einen Ersatzneubau plane, könne er noch nicht sagen, so Itten. Es sei noch «sehr früh» in der Projektplanung. In drei bis fünf Jahren wolle man eine Perspektive haben, wie es zwischen der Badener- und der Meinrad-Lienert-Strasse weitergeht. Eine gewisse Verdichtung biete sich hier aber an, findet er: «Die bestehenden Gebäude sind in einem bescheidenen Zustand und haben nur eine begrenzte Attraktivität.»

Die Aufwertung ist der Lauf der Dinge

Tatsächlich haben die weit über hundertjährigen Häuser schon bessere Zeiten gesehen, die letzten Sanierungen liegen offensichtlich schon eine Weile zurück. Doch belebt sind sie allemal: Neben dem Meyer's finden sich in den Erdgeschossen unter anderem zwei Coiffeurläden, ein Restaurant, ein Kiosk und eine Ateliergemeinschaft. Fragt man die Menschen hier nach ihrem Mietverhältnis und ihren Zukunftsaussichten, reagieren sie eher zurückhaltend. Man stehe gut mit der Verwaltung, heisst es meist, doch man wisse, dass es irgendwann vorbei sei. Fünf Jahre blieben noch, sagen manche, andere reden von sieben, wieder andere von zehn. Eine konkrete Perspektive scheint den Betroffenen nicht kommuniziert worden zu sein.

Schade sei es schon, meint jemand in der Ateliergemeinschaft: «Die Meinrad-Lienert-Strasse ist eine der letzten Strassen hier, die noch nicht gentrifiziert ist.» Man stelle sich darauf ein, in ein paar Jahren nach einem Raum weiter ausserhalb des Zentrums suchen zu müssen. Doch was bleibe einem schon anderes übrig? Falls abgerissen und neu gebaut werde, müsse er etwas in der Nähe suchen, um seine Stammkundschaft nicht zu verlieren, sagt dagegen der Besitzer eines Coiffeurladens. Auch er findet, das sei nun mal der Lauf der Dinge. «Das Leben selbst ist eine Überraschung», so der Mann.

«Es wäre schlimm, jetzt zumachen zu müssen, wo wir doch gerade erst die Pandemie überstanden haben.»

Musu Meyer, Meyer's Bar

Die Einzige, die sich ausführlicher äussert, ist Musu Meyer, die quartierbekannte Inhaberin des Meyer's. Auch sie berichtet von einem guten Verhältnis zur Verwaltung: «Sie ist uns während der Pandemie sogar mit einem grosszügigen Mieterlass entgegengekommen», erzählt sie. Doch die Vorstellung, dass es nach über 20 Jahren nun schon bald vorbei sein könnte, treibt sie um. Im Moment hat sie einen befristeten Vertrag bis April 2024: «Sollte es dann schon vorbei sein, wäre das dramatisch. Es wäre schlimm, jetzt zumachen zu müssen, wo wir doch gerade erst die Pandemie überstanden haben.» Ob sie im Quartier noch einmal Räumlichkeiten für das Meyer's finden würde, weiss sie nicht: «Ich habe gar keine Ahnung, was das heutzutage bedeutet, eine Bar aufzumachen. Ich kenne die aktuellen Preise ja gar nicht.»

Hätte ein Betrieb wie das Meyer's einen Platz in einem Ledermann-Neubau? Manuel Itten meint, das komme auf die Entwicklungsperspektive an. Das Razzia im Seefeld zeige, dass Kultur und Gastronomie durchaus in Projekte des Unternehmens integriert werden könnten. Das denkmalgeschützte Kinogebäude wurde von der Ledermann AG nach langjährigem Leerstand saniert und beherbergt heute ein Restaurant mit Bar und Kulturbetrieb. Doch das Haus mit edlem Interieur, 12-seitiger Weinkarte und Öffnungszeiten bis 0 Uhr lässt sich wohl kaum mit einer Eckkneipe wie dem Meyer's vergleichen, wo die Gastgeberin auch mal für das Publikum singt und der letzte Gast am Wochenende um 4 Uhr die Bar verlässt.

Städtebauliche Akzente in der Quartiererhaltungszone

Fragt sich noch, wie ein Neubau auf dem Areal überhaupt aussehen könnte. Manuel Itten meint, an dem Standort biete sich die Chance, «städtebauliche Akzente zu setzen.» Dass es am Ende Dimensionen wie das Projekt «Amalfiküste» weiter stadtauswärts annehmen könnte, ist nach jetzigem Stand aber eher unwahrscheinlich. Denn dieses liegt gemäss Bau- und Zonenordnung (BZO) in einer sechsgeschossigen Wohnzone, während das Geviert gegenüber dem Lochergut in einer Quartiererhaltungszone liegt. Solche Zonen sollen laut BZO «in ihrer Nutzungsstruktur oder baulichen Gliederung erhalten oder erweitert werden». Im betreffenden Quartier heisst das: Eine gewerbliche Erdgeschossnutzung bei einem Wohnanteil von mindestens 60 % ist vorgegeben, am Charakter einer «mehrheitlich geschlossenen Bauweise von hoher Dichte» sowie «Strassenfassaden mit Repräsentationsfunktion» müsste sich der Neubau orientieren. Zudem dürfte er voraussichtlich höchstens fünf Vollgeschosse haben.

Laut Anatole Fleck, Projektleiter Kommunikation beim Amt für Städtebau, kann ein solches Areal für ein Bauvorhaben auch nicht einfach umgezont werden: «Anpassungen an der Bau- und Zonenordnung können nur in areal- oder gebietsspezifischen Teilrevisionen, Gestaltungsplänen oder Sonderbauvorschriften erfolgen. Diese werden öffentlich aufgelegt, vom Stadt- und Gemeinderat verabschiedet und vom Kanton genehmigt.» Das Gebiet sei im Richtplan auch nicht als Verdichtungsgebiet ausgewiesen, in welchem eine Verdichtung über die Grenzen der aktuellen Bau- und Zonenordung hinaus ermöglicht werden soll. Sollte die Ledermann Entwicklung AG eine Arealentwicklung über die geltenden Vorgaben hinaus projektieren, müsste sie dafür in direkte Verhandlungen mit der Stadt Zürich treten.

Die Stadt steht einem möglichst umfassenden Neubau übrigens noch auf ganz andere Weise im Weg: In der einzigen Immobilie des Areals, die nicht dem Unternehmen gehört, unterhält sie aktuell Sozialwohnungen. Ein Hindernis für das Ledermann'sche Aufwertungsprojekt? CEO Itten findet nicht: «Zürich hat sich schon immer dadurch ausgezeichnet, dass es eine gewisse Durchmischung gibt. Wir arbeiten an einem guten, nachhaltigen Produkt, mit dem wir versuchen, dem Quartier gerecht zu werden. Das heisst nicht, dass es unbedingt teuer sein muss, sondern adäquat.»

Einzelne Informationen in diesem Artikel stammen aus Recherchen von Aktivist:innen des Mietenplenums. Das Mietenplenum ist ein Bündnis, das sich mit Fragen rund um das Recht auf Wohnen beschfäftigt und offen für Menschen ist, die von Aufwertungsentwicklungen betroffen sind.

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